Bild: WDR
Wir Menschen sind gar nicht fähig, selbständig zu entscheiden, frei zu denken. Gefühle, Denkprozesse und daraus folgende Entscheidungen sind simple Folge von mechanisch-chemischen Vorgängen im Gehirn. Unser "freier Wille" ist demnach eine Illusion, die uns unser Gehirn nur vorgaukelt. In Wahrheit sind wir eine Art Roboter, die von der Natur so programmiert worden sind, dass wir es gar nicht bemerken. Unser "Geist" sei nichts anders als "Materie".
Diese sogenannt reduktionistisch-naturalistischen Positionen des Determinismus standen in den letzten Jahren im Zentrum der wissenschaftlichen "Erkenntnis" nicht nur der Hirnforschung.
Diese wissenschaftliche "Tatsache" war doch ziemlich deprimierend und es fiel uns schwer zu akzeptieren, dass wir in Wahrheit nicht wirklich kultiviert-rationale und eben freie Entscheide fällen können, sondern dass wir sozusagen nur "Opfer" von mechanisch-chemischen Prozessen in unserem Gehirn seien. Gleichzeitig hat uns das aber auch irgendwie von der Verantwortung für unser Denken und Handeln befreit. Der sogenannte "neurowissenschaftliche Determinismus" führt automatisch auch zum Fatalismus. Wir können die Hände in den Schoss legen, wir haben so keinen Einfluss auf das, was mit uns geschieht. Wir sind nicht wirklich verantwortlich für unsere Handlungen. Ein Straftäter wäre damit immer "unschuldig".
Der Determinismus ist populär, aber nicht nur Philosphen wehren sich vehement gegen die Absolutheit der Hirnforscher. Immer wieder wallt die Diskussion in den Feuilletons der Medien auf. Jetzt grad wieder in Deutschland, zum Beispiel in der neusten "Zeit" ("Freiheit und Fatalismus") oder in der FAZ. faz.net bespricht das neue Buch des deutschen Psychiaters und Philosophen Thomas Fuchs (Bild links) "Das Gehirn - ein Beziehungsorgan". Darin kritisiert der aus München stammende Heidelberger Professor die vorherrschende wissenschaftliche
Doktrin der Gehirnforschung: „Einem Teil des Organismus, dem Gehirn, werden psychologische und personale Tätigkeiten zugeschrieben, die nur dem Menschen als ganzem zukommen.“
Fuchs argumentiert ganzheitliche, auch philosophisch: Das Gehirn vermöge weder Entscheidungen zu treffen noch Handlungen vorzunehmen, denn Begriffe wie Überlegen, Fühlen, Wollen und Entscheiden seien auf die Ebene physiologischer Beschreibungen von vornherein nicht anwendbar. „Nicht Neuronenverbände, nicht Gehirne, sondern nur Personen fühlen, denken, nehmen wahr und handeln.“
Das Gehirn sei losgelöst vom übrigen Körper zunächst einmal bloss totes Organ. Lebendig werde es erst als Organ einer lebendigen Person, „in Verbindung mit unseren Muskeln, Eingeweiden, Nerven und Sinnen, mit unserer Haut, unserer Umwelt und mit anderen Menschen“. Für Professor Fuchs ist das Gehirn ein "Mediator, der uns den Zugang zur Welt ermöglicht, der Transformator, der Wahrnehmungen und Bewegungen miteinander verknüpft.“
Wirklich spannend ist Fuchs' Definition des Gehirns als „Organ des Geistes“ mit weitreichenden Folgen für unsere Verantwortlichkeit für unsere Handlungen und: unserer Verpflichtung, das Gehirn in verantwortlicher Weise zu trainieren. Das Gehirn sei nicht ein Käfig, in dem wir Gefangen seien, sondern ein "Organ der Möglichkeiten". „Nicht der Geist muss tun, was die Neuronen ihm vorschreiben, sondern die Neuronen ermöglichen alles, was sich im Geist entfaltet.“
Für Professor Fuchs ist das Gehirn ein sozial, kulturell und geschichtlich geprägtes Organ. Ein "Organ der Freiheit“. „Denn gerade das Gehirn ist das Organ, dessen zunehmende Komplexität im Verlauf der Evolution den starren Reiz-Reaktions-Mechanismus gelockert und so den Organismen bis hin zum Menschen immer mehr Freiheitsgrade ermöglicht hat.“
Und da kommt der entscheidende Punkt: Wir können die Verantwortung für unser Tun nicht auf das Spiel der Neuronen in unseren Hirnen abwälzen. Wir Menschen, jeder Einzelne, haben die Möglichkeit, "die Fähigkeiten des Denkens, Bewertens, Entscheidens zu erlernen" und dabei die "neuronalen Muster zu bilden, die uns dann zu freiem Handeln befähigen".
Damit aber geht die Verpflichtung einher, sehr vorsichtig damit umzugehen, wie wir unser Gehirn trainieren, mit welchen Informationen wir unser Gehirn füttern und konditionieren.
Drastischer ausgedrückt: Wir machen uns auch irgendwie schuldig, wenn wir unsere Gehirne - und noch viel mehr die Gehirne unserer Kinder - mit Bullshit, mit Pseudoinformationen zumüllen und damit verhindern, dass die Gehirne zu freiem Handeln befähigt werden.
Fuchs Theorie deckt sich übrigens weitgehend mit der rein philosophischen Argumentation des Schweizer Philosophen (und Gehirnforschers - und als Schriftsteller unter dem Pseudonym Pascal Mercier u.a. "Nachtzug nach Lissabon") Professor Peter Bieri, welche er in seinem Buch "Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des freien Willens" entwickelt. Nicht immer leicht zu lesen, aber sehr bereichernd.
Ein spannendes Gespräch mit dem Tübinger Philosophen Manfred Frank findet sich in der aktuellen Zeit, nachzulesen auch auf Zeit.de online hier.
Freitag, 28. August 2009
Sonntag, 23. August 2009
Tariq Ramadan. Islamischer Vordenker aus der Schweiz.
Ich kann mich nur immer wieder wundern, über was die Schweizer Medien NICHT berichten. Oder - wie wenigstens vereinzelt - nur ganz knapp am Rande:
Die Erasmus-Universität Rotterdam hat diese Woche Professor Tariq Ramadan entlassen. Und auch die Stadt Rotterdam verzichtet künftig auf die Dienste des islamischen Intellektuellen als "Berater für Integrationsfragen".
Die Begründung: Tariq Ramadan hat eigene Gesprächsendung "Islam and Life" bei PressTV, einem vom iranischen Staat kontrollierten Fernsehsender.
Was diese Meldung für Schweizer Medien eigentlich interessant machen müsste: Tariq Ramadan ist Schweizer, Genfer. In Genf ist er 1962 geboren. Hier hat er alle Schulen besucht, hier hat er Philosophie (mit Schwerpunkt Nietzsche), Literatur und Sozialwissenschaften studiert. Ramadan hat nicht nur einen Schweizer Pass, er ist auch mit einer Schweizerin verheiratet. Er hat zur Zeit Professuren an den Universitäten Genf, Freiburg, Al Azhar und Oxford inne. Und bis diese Woche eben auch in Rotterdam.
Eine Professur an der katholischen Universität von Notre Dame in Indiana (USA) für "Religion, Konflikt- und Friedensforschung" hat er nicht angetreten, weil ihm die amerikanischen Behörden nach 9/11 das Visum für die Einreise nach Amerika verweigerten.
Tariq Ramadan spricht Französisch, Englisch, Italienisch, Finnisch und Spanisch. Sein Buch „Islam, der Westen und die Herausforderungen der Moderne“ wurde u.a. auch ins Türkische übersetzt.
Ramadan ist einer der führenden Intellektuellen des modernen, europäischen Islam. Das Time Magazine nennt ihn einen "islamischen Superstar" und zählt ihn zu den 100 wichtigsten Persönlichkeiten der Welt. Insbesondere unter den Jugendlichen in der islamischen Diaspora geniesst einen Ruf fast wie ein Popstar. Er konzentriert sich auf die Zukunft des Islam in Europa und hat über 20 Bücher geschrieben. Eine seiner ständigen Botschaften: Muslime müssen als Minderheit in Europa die staatlichen Verordnungen des jeweiligen Landes akzeptieren. Er lehnt jegliche Art von Terroranschlägen ab. Aktuell und speziell interessant das Interview mit Qantara.de hier.
Trotzdem schlägt Tariq Ramadan immer wieder grosses Misstrauen entgegen. "Die Zeit" titelte ihr Ramadanporträt 2004 "Doppelagent", andere nennen ihn "Wolf im Schafspelz". Immer wieder wird er verdächtigt, zwar öffentlich einen aufgeklärten Islam zu predigen, heimlich aber ein Instrument der Fundamentalisten zu sein. Nicht zuletzt gründet der Verdacht in seiner eigenen, privaten Geschichte: Sein Grossvater ist Hassan al-Banna, der Gründer der wohl einflussreichsten, radikalen islamischen Bewegungen, der Muslim-Bruderschaft. Sein Vater Said war ebenfalls ein einflussreicher Kopf der Muslimbruderschaft. Er musste 1954 aus Aegypten in die Schweiz fliegen. Tariqs Bruder Hani leitet das "Centre islamique à Genève", welches als eines der Zentren der Muslimbruderschaft in Europa gilt. Hani wurde 2002 in Genf als Primarlehrer entlassen, nachdem er in einem Artikel der "Le Monde" die Steinigung von Ehebrecherinnen verteidigt hatte.
Tariq Ramadan ist ständiger Gast in den französischen Fernsehsendern, seltener auch im TSR, dem Schweizer Fernsehen der französischen Schweiz, aber kaum in den Deutschschweizer Medien. Offenbar tut man sich einfach schwer, ihn wirklich einzuordnen, auch wenn seine Aussagen wohl auch vielen aufgeklärten Intellektuellen in der Schweiz gefallen.
Jetzt hat ihn die Erasmus-Universität also rausgeschmissen. Weil er eine Gesprächsendung im iranischen Fernsehen PressTV moderiert. Auf seiner persönlichen Homepage wehrt sich Tariq Ramadan gegen die damit verbunden Unterstellungen. Er vermutet den Hintergrund in der holländischen Lokalpolitik, wo das Thema Islam und muslimische Einwanderer seit Jahren und auch im aktuellen Wahlkampf aktuellen Wahlkampf zu einer zentralen Politthema geworden ist.
Wenn man sich die Sendungen auf PressTV ansieht, reibt sich schon die Augen, allerdings ganz anders als man das nach der heftigen Reaktion aus Holland vermuten könnte, weil dort besonders verwerfliches, muslimisches Gedankegut verbreitet würde, sondern im Gegenteil, dass eine so differenzierte Auseinandersetzung über so hochsensible Themen wie zum Beispiel die Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft, so offen in einem vom iranischen Mullah-Staat kontrollierten Sender möglich ist. Hier die Sendung vom 13. August (Doppelklicken auf den Bildschirm):
Die Erasmus-Universität Rotterdam hat diese Woche Professor Tariq Ramadan entlassen. Und auch die Stadt Rotterdam verzichtet künftig auf die Dienste des islamischen Intellektuellen als "Berater für Integrationsfragen".
Die Begründung: Tariq Ramadan hat eigene Gesprächsendung "Islam and Life" bei PressTV, einem vom iranischen Staat kontrollierten Fernsehsender.
Was diese Meldung für Schweizer Medien eigentlich interessant machen müsste: Tariq Ramadan ist Schweizer, Genfer. In Genf ist er 1962 geboren. Hier hat er alle Schulen besucht, hier hat er Philosophie (mit Schwerpunkt Nietzsche), Literatur und Sozialwissenschaften studiert. Ramadan hat nicht nur einen Schweizer Pass, er ist auch mit einer Schweizerin verheiratet. Er hat zur Zeit Professuren an den Universitäten Genf, Freiburg, Al Azhar und Oxford inne. Und bis diese Woche eben auch in Rotterdam.
Eine Professur an der katholischen Universität von Notre Dame in Indiana (USA) für "Religion, Konflikt- und Friedensforschung" hat er nicht angetreten, weil ihm die amerikanischen Behörden nach 9/11 das Visum für die Einreise nach Amerika verweigerten.
Tariq Ramadan spricht Französisch, Englisch, Italienisch, Finnisch und Spanisch. Sein Buch „Islam, der Westen und die Herausforderungen der Moderne“ wurde u.a. auch ins Türkische übersetzt.
Ramadan ist einer der führenden Intellektuellen des modernen, europäischen Islam. Das Time Magazine nennt ihn einen "islamischen Superstar" und zählt ihn zu den 100 wichtigsten Persönlichkeiten der Welt. Insbesondere unter den Jugendlichen in der islamischen Diaspora geniesst einen Ruf fast wie ein Popstar. Er konzentriert sich auf die Zukunft des Islam in Europa und hat über 20 Bücher geschrieben. Eine seiner ständigen Botschaften: Muslime müssen als Minderheit in Europa die staatlichen Verordnungen des jeweiligen Landes akzeptieren. Er lehnt jegliche Art von Terroranschlägen ab. Aktuell und speziell interessant das Interview mit Qantara.de hier.
Trotzdem schlägt Tariq Ramadan immer wieder grosses Misstrauen entgegen. "Die Zeit" titelte ihr Ramadanporträt 2004 "Doppelagent", andere nennen ihn "Wolf im Schafspelz". Immer wieder wird er verdächtigt, zwar öffentlich einen aufgeklärten Islam zu predigen, heimlich aber ein Instrument der Fundamentalisten zu sein. Nicht zuletzt gründet der Verdacht in seiner eigenen, privaten Geschichte: Sein Grossvater ist Hassan al-Banna, der Gründer der wohl einflussreichsten, radikalen islamischen Bewegungen, der Muslim-Bruderschaft. Sein Vater Said war ebenfalls ein einflussreicher Kopf der Muslimbruderschaft. Er musste 1954 aus Aegypten in die Schweiz fliegen. Tariqs Bruder Hani leitet das "Centre islamique à Genève", welches als eines der Zentren der Muslimbruderschaft in Europa gilt. Hani wurde 2002 in Genf als Primarlehrer entlassen, nachdem er in einem Artikel der "Le Monde" die Steinigung von Ehebrecherinnen verteidigt hatte.
Tariq Ramadan ist ständiger Gast in den französischen Fernsehsendern, seltener auch im TSR, dem Schweizer Fernsehen der französischen Schweiz, aber kaum in den Deutschschweizer Medien. Offenbar tut man sich einfach schwer, ihn wirklich einzuordnen, auch wenn seine Aussagen wohl auch vielen aufgeklärten Intellektuellen in der Schweiz gefallen.
Jetzt hat ihn die Erasmus-Universität also rausgeschmissen. Weil er eine Gesprächsendung im iranischen Fernsehen PressTV moderiert. Auf seiner persönlichen Homepage wehrt sich Tariq Ramadan gegen die damit verbunden Unterstellungen. Er vermutet den Hintergrund in der holländischen Lokalpolitik, wo das Thema Islam und muslimische Einwanderer seit Jahren und auch im aktuellen Wahlkampf aktuellen Wahlkampf zu einer zentralen Politthema geworden ist.
Wenn man sich die Sendungen auf PressTV ansieht, reibt sich schon die Augen, allerdings ganz anders als man das nach der heftigen Reaktion aus Holland vermuten könnte, weil dort besonders verwerfliches, muslimisches Gedankegut verbreitet würde, sondern im Gegenteil, dass eine so differenzierte Auseinandersetzung über so hochsensible Themen wie zum Beispiel die Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft, so offen in einem vom iranischen Mullah-Staat kontrollierten Sender möglich ist. Hier die Sendung vom 13. August (Doppelklicken auf den Bildschirm):
Dienstag, 18. August 2009
Afghanistan: Die Rückkehr der Taliban
Diese Woche wählt Afghanistan. Es sind Präsidentschafts- und Provinzratswahlen. Alle Vorzeichen sind schlecht. Der Krieg wird weitergehen. Viele Soldaten, westliche, afghanische, pakistanische werden sterben, und noch viel mehr Zivilisten: Frauen, Kinder, Alte.
Für alle, die an einem Hintergrund zu diesen Wahlen und Krieg in Afghanistan interessiert sind: erstens der Hinweis auf das Fotoessay von Foreign Policy "Afghanistans long War" und zweitens der Dokfilm von Al-Jazeera "Afghanistan: How the East was lost" (in 4 Teilen). Es ist die Geschichte des vom Westen 2001 eingesetzten Präsidenten Hamid Karzai. Die Geschichte von der Niederschlagung der Taliban 2001 , die enttäuschten Hoffnungen, von der Korruption und den vielen vertanen Chancen .... bis zur Rückkehr der Taliban. Beschämend für die afghanische Elite, beschämend für den Westen:
Teil 1:
Teil 2:
Teil 3:
Teil 4:
Für alle, die an einem Hintergrund zu diesen Wahlen und Krieg in Afghanistan interessiert sind: erstens der Hinweis auf das Fotoessay von Foreign Policy "Afghanistans long War" und zweitens der Dokfilm von Al-Jazeera "Afghanistan: How the East was lost" (in 4 Teilen). Es ist die Geschichte des vom Westen 2001 eingesetzten Präsidenten Hamid Karzai. Die Geschichte von der Niederschlagung der Taliban 2001 , die enttäuschten Hoffnungen, von der Korruption und den vielen vertanen Chancen .... bis zur Rückkehr der Taliban. Beschämend für die afghanische Elite, beschämend für den Westen:
Teil 1:
Teil 2:
Teil 3:
Teil 4:
Montag, 17. August 2009
Die Kreditkrise erklärt für Dummies
Vielleicht trage ich Wasser in den Rhein, weil das untenstehende Video schon so zur Zeit eines der meistgeklickten im Netz ist.
Trotzdem, es zeigt die ganze Absurdität des amerikanischen Kreditsystems, welches zur aktuellen, globalen Wirtschaftskrise geführt hat.
Gleichzeitig ist das Video ein Highlight der animierten Visualisierung eines komplexen Prozesses:
Trotzdem, es zeigt die ganze Absurdität des amerikanischen Kreditsystems, welches zur aktuellen, globalen Wirtschaftskrise geführt hat.
Gleichzeitig ist das Video ein Highlight der animierten Visualisierung eines komplexen Prozesses:
The Crisis of Credit Visualized from Jonathan Jarvis on Vimeo.
Die Türkei unterwegs zur Grossmacht
Bild privat: Contextlink Autor in Istanbul
Für Stratfor-Herausgeber George Friedman ist schon lange klar, dass die Türkei zu einem der wichtigsten politischen Player im 21. Jahrhundert wird. Für Parag Khanna ist die Türkei schlicht
"der mächtigste, demokratischste und säkularste Staat in der islamischen Welt" ("Der Kampf um die 2. Welt" S. 83). Die Türkei ist heute schon eine Wirtschafts- und Militärmacht. Sie gehört zu den 20 grössten Volkswirtschaften dieser Welt mit besten Wachstumsprognosen. Ausser der USA hält keine NATO-Land mehr aktive Soldaten unter Waffen wie die Türkei.
Zentrale Argumente der Türkei-Euphoriker sind die geographische Lage als Brücke zwischen Europa und Asien, damit verbunden die Vermittlerrolle zwischen der christlichen und muslimischen Welt und die Tradition, die Geschichte des Osmanischen Grossreichs.
Skeptischer ist man in der Türkei selbst: Das Land sei viel zu sehr mit sich selbst, mit innern Problemen beschäftigt, um eine aktive Rolle zu spielen, wenn sie denn überhaupt wollte.
Eine wie mir scheint sehr gute Gesamtsicht liefert das Central Asia-Caucasus Institute mit seinen "Silkroadstudies": "Prospects for a ‘Torn’ Turkey: A Secular and Unitary Future?" (Download hier).
Die letzten Monate haben einige Beispiele der inneren Unreife des Landes geliefert (u.a. der Fall "Ergenekon"), aber es hat sich auch gezeigt, dass die Türkei daran ist, viele seiner alten Probleme zumindest aktiv anzugehen. Vor allem zeigt sich, dass die Türkei von den wichtigsten künftigen Partner und Nachbarn im Grossraum zwischen Asien und Europa als künftiger Player akzeptiert, wenn nicht gar gesucht wird:
Die Grossmächte hofieren der Türkei
Im April hat der neue US-Präsident Barack Obama die Türkei als erstes muslimisches Land überhaupt besucht und dessen Wichtigkeit für die Verbindung zwischen der westlichen und der islamischen Welt unterstrichen. Er nannte die Türkei ein "Modell für die Welt". Gleichzeitig hat die Europäer unmissverständlich aufgefordert, die Türkei als Vollmitglied in die EU zu integrieren.
Einen regen Austausch pflegt die Türkei mit Russland. Zuletzt hat Anfang August der russische Regierungschef Vladimir Putin Ankara seine Aufwartung gemacht. Dabei ging es auch um Georgien. Die Türkei hat bisher in der heiklen Frage des russisch-georgische Konflikts an seiner Grenze am Schwarzen Meer erfolgreich eine neutrale Position gefahren. Diese neutrale Position ist das generelle Gebot der Türkei für den Kontakt mit dem noch immer mächtigen und selbstbewussten Nachbarn im Norden. Der gesamte benachbarte Kaukasus-Raum ist traditionell türkisches Einflussgebiet und dürfte ein heikles Dauerthema bleiben in der türkisch-russischen Beziehung. Wobei Russland eher in einer defensiven Position ist, nicht nur wegen der "religiösen" Nähe, sondern weil die Türkei nach wie vor den Flaschenhals des Bosporuskanals kontrolliert, Russlands einzigem Zugang zum Mittelmeer. (Bild oberhalb rechts: Russische Fregatte in Istanbul)
Schlüsselrolle als Energie-Hub
Zentraler Punkt der Putin-Visite war aber die Energiepolitik und die Unterzeichnung des Vertrags für das Projekt Southstream, mit welchem russisches Gas aus Zentralasien via die Türkei nach Europa gepumpt werden soll.
Nicht einmal einen Monat früher, Mitte Juli, hat die Türkei (endlich) einen ähnlichen Vertrag mit den Europäern für deren Projekt Nabucco abgeschlossen. Damit unterstreicht die Türkei seine Politik der Neutralität auch in der Energiefrage, vor allem unterstreicht sie ihre selbsbewusste Rolle als Hub für die Oel- und Gasversorgung Europas aus dem zentralasiatischen Raum.(siehe auch der Nabucco-Beitrag auf Contextlink).
Einflusssphäre Zentralasien ...
Wie grosszügig und weit die Türkei sein Einflussflussgebiet selber definiert, wurde jüngst klar, als sie die Problematik der Uiguren anlässlich der schweren Unruhen in der chinesischen Westprovinz Xinjiang vor den UN-Sicherheitsrat bringen wollte. Sogenannte Turkvölker, die alle zur türkischen Sprachfamilie gehören leben im gesamten, schier endlosen zentralasiatischen Raum bis zum Hindukusch, entlang der historischen Seidenstrasse. Dies ist auch klassischer. muslimischer Kulturraum mit den "grossen" Islam-Städten Buchara und Samarkand (Bild rechts) im heutigen Usbekistan.
Hier in Zentralasien überschneiden sich nicht zuletzt die "Einflusssphären" der Türkei und Russlands (GUS-Staaten oder ehemalige UdSSR-Provinzen) und man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass es hier noch Anlass zu einigem Stress zwischen den Russen und den Türken geben wird.)
Parag Khanna hat die Bedeutung der "neuen Seidenstrasse" und Zentralasiens für die neue Weltordnung zuletzt in seinem Artikel "The Road to Kabul Runs Through Beijing and Tehran". Und wie praktisch die Türkei auf dieser doppelten Achse mitwirkt, wurde diese Woche gleich doppelt belegt: Am vergangenen Freitag startete die erste Testfahrt eines Güterzuges in Islamabad, der Pakistan via Teheran mit Istanbul Verbindung (Karte links: BBC). Die neue Eisenbahnverbindung ist 6500 Kilometer lang und wird nicht zuletzt im Iran als wichtiger Meilenstein gefeiert. Ein Kommentar zum entsprechenden Artikel in der englisch-sprachigen, regierungsnahen Online-Publikation PressTV triumphiert: "Das sind grossartige Neuigkeiten. Alle Muslime sollten sich gemeinsam darüber freuen ... und die Amerikaner und die und haben Grund zum Weinen. Alle ihre Verschwörungen sind vergeblich, Gott sei's gedankt."
... bis Pakistan
Seit einigen Jahren pflegt die Türkei einen regen Austausch mit Pakistan, u.a. in Sicherheits- und Kulturfragen, private türkische Organisationen - unter anderem auch religiöse - unterhalten zahlreiche Projekte in Pakistan. Und Ende Monat findet in Istanbul das Forum "Friends of Democratic Pakistan" statt. Stargast: Richard Holbrooke, der Sondergesandte Präsident Obamas für Pakistan und Afghanistan.
Friedensstifter in Nahost?
Eine Schlüsselrolle können die Türken auch im Nahen Osten einnehmen. Geschickt hat sich Präsident Erdogan während dem jüngsten Gazakrieg von Israel distanziert und Punkte im arabischen Lager gesammelt. Nach einer kurzen Zeit der Verstimmung haben jetzt die Israel ihren alten Vertrauenspartner Türkei offenbar wieder als Unterhändler bei den Friedensgesprächen mit Syrien akzeptiert.
Die arabische Welt ist offenbar bereit, die Türkei wieder als Regionalmacht zu akzeptieren, auch wenn es noch immer auch schlechte Erinnerungen an die jahrhundertelange Dominanz der Region durch die Türken als Osmanisches Reich gibt.
Vorbild als säkularer islamischer Staat
Längst übt die Türkei im gesamten arabischen Raum einen starken kulturellen Einfluss aus, als in der westlichen Welt erfolgreiche, muslimische Nation gilt sie vielen, insbesondere gemässigten Arabern als Vorbild. Nicht nur wegen seinem wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch als Modell eines säkularen muslimischen Staates mit funktionierender Demokratie.
Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der "türkischen" Kultur spielt das Fernsehen. Türkische Fernsehfilme und insbesondere türkische Soap-Operas werden von zahlreichen arabischen Fernsehsender bis in das fundamentalistische Saudiarabien ausgestrahlt und sind wie TV-Serie "Noor" manchmal richtige Strassenfeger in ganz Nahost.
Schlüsselrolle im Irak
Einiges spricht dafür, dass die Türkei jetzt mit dem Abzug der Amerikaner aus dem Irak eine zentrale Rolle an Euphrat und Tigris übernehmen wird. Nicht nur die Amerikaner scheinen auf die Türken zu setzen, auch für den Iran sind sie ein akzeptabler Friedensstifter und künftiger Mit-Machthaber.
Seit dem Juli 2008 gibt es einen türkisch-irakischen "strategischen Kooperationsrat" und eben ist der neue türkische Aussenminister Ahmet Davutoglu von einer Irakreise zurückgekehrt. Offiziell ging es um den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, doch der Türkei geht es auch um vitale Sicherheitsfragen. Die Türkei wird alles unternehmen, um ein Auseinanderbrechen des Iraks zu verhindern. Die Türken befürchten, es könnte an ihrer Südgrenze ein neuer kurdischer Staat entstehen, der auch die staatliche Integrität der Türkei gefährden könnte. (Bild rechts: Türkische Soldaten in Kurdistan)
Auf diesem Hintergrund sind auch die erfreulichen Entwicklungen zu sehen, dass die Türkei offensichtlich endlich bereit ist, ihr "ewiges" Problem mit der kurdischen Identität in Ostanatolien und dem 25-jährigen Bürgerkrieg mit der PKK zu lösen.
Einen weiteren, für die ganze Region symbolischen Schritt hat die Türkei ebenfalls in den letzten Tagen beschlossen: Im Rahmen des Davutoglu-Besuchs hat die Türkei dem Irak zugesichert, künftig rund 40 Prozent mehr Wasser über die Flüsse ins alte Kulturland von Euphrat und Tigris fliessen zu lassen. Nicht zuletzt wegen dem Wasser, ist die Türkei für den arabischen Raum ein lebenswichtiger Partner.
Türkei ist auch Europa
Die Zuwendung der Türkei, die zu erwartende neue Rolle als Grossmacht im Nahen Osten und Zentralasien heisst nicht, dass die Türkei sich von Europa abwenden wird, für Europa "verloren" ist. Parag Khanna bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: "Die Türkei IST bereits ein europäisches Land" ("2.Welt" S. 83).
Unbestritten gehört die Türkei mit einem nicht unwesentlichen Teil der Grossregion Istanbul auch geographisch zu Europa. Und wer schon einmal im hippen Stadtteil Beyoglu in Istanbul (Bild rechts) oder auch jenseits des Bosporus bereits in Asien im Stadtteil Fenerbace unterwegs war, zweifelt nicht daran, dass die Türkei auch europäisch ist. Istanbul ist eine der wichtigste Kulturstädte Europas. Während Jahrhunderten war Konstantinopel die wichtigsten Stadt der christlichen Kultur.
Für Parag Khanna ist das moderne Istanbul mehr: das "Wirtschaftszentrum einer von Budapest bis Baku reichenden Region". In einer seiner spannenden Reisereportagen berichtet Khanna über die rasante, sehr westlich-moderne Entwicklung die der östliche Balkan dank der Türkei in den letzten Jahren erlebt hat. Bulgarien werde "mehr und mehr zu einem Vorort der Megalopolis Istanbul," schreibt er in der "2. Welt". Ein Mischgebilde, das man "Istanbulgarien" nenne könnte.
Europa braucht die Türkei
Khanna nennt die Türkei in seinem Beitrag "Die nächste Welt" für "Die Zeit" "die grösste Herausforderung" für Europa. Und er wiederholt die Forderung des US-Präsidenten Obama: Das Land muss unbedingt Vollmitglied der EU werden, um seine Scharnierfunktion zum Mittleren Osten wahrzunehmen."
Die EU muss begreifen, dass es nicht darum geht, die Türkei "gnädigst aufzunehmen und irgendwelche Bedingungen zu stellen (wie ich schon früher in Contextlink geschrieben habe). Europa braucht die Türkei und nicht umgekehrt.
(Bild unten: Skyline des modernen Istanbul bei Nacht)
Für Stratfor-Herausgeber George Friedman ist schon lange klar, dass die Türkei zu einem der wichtigsten politischen Player im 21. Jahrhundert wird. Für Parag Khanna ist die Türkei schlicht
"der mächtigste, demokratischste und säkularste Staat in der islamischen Welt" ("Der Kampf um die 2. Welt" S. 83). Die Türkei ist heute schon eine Wirtschafts- und Militärmacht. Sie gehört zu den 20 grössten Volkswirtschaften dieser Welt mit besten Wachstumsprognosen. Ausser der USA hält keine NATO-Land mehr aktive Soldaten unter Waffen wie die Türkei.
Zentrale Argumente der Türkei-Euphoriker sind die geographische Lage als Brücke zwischen Europa und Asien, damit verbunden die Vermittlerrolle zwischen der christlichen und muslimischen Welt und die Tradition, die Geschichte des Osmanischen Grossreichs.
Skeptischer ist man in der Türkei selbst: Das Land sei viel zu sehr mit sich selbst, mit innern Problemen beschäftigt, um eine aktive Rolle zu spielen, wenn sie denn überhaupt wollte.
Eine wie mir scheint sehr gute Gesamtsicht liefert das Central Asia-Caucasus Institute mit seinen "Silkroadstudies": "Prospects for a ‘Torn’ Turkey: A Secular and Unitary Future?" (Download hier).
Die letzten Monate haben einige Beispiele der inneren Unreife des Landes geliefert (u.a. der Fall "Ergenekon"), aber es hat sich auch gezeigt, dass die Türkei daran ist, viele seiner alten Probleme zumindest aktiv anzugehen. Vor allem zeigt sich, dass die Türkei von den wichtigsten künftigen Partner und Nachbarn im Grossraum zwischen Asien und Europa als künftiger Player akzeptiert, wenn nicht gar gesucht wird:
Die Grossmächte hofieren der Türkei
Im April hat der neue US-Präsident Barack Obama die Türkei als erstes muslimisches Land überhaupt besucht und dessen Wichtigkeit für die Verbindung zwischen der westlichen und der islamischen Welt unterstrichen. Er nannte die Türkei ein "Modell für die Welt". Gleichzeitig hat die Europäer unmissverständlich aufgefordert, die Türkei als Vollmitglied in die EU zu integrieren.
Einen regen Austausch pflegt die Türkei mit Russland. Zuletzt hat Anfang August der russische Regierungschef Vladimir Putin Ankara seine Aufwartung gemacht. Dabei ging es auch um Georgien. Die Türkei hat bisher in der heiklen Frage des russisch-georgische Konflikts an seiner Grenze am Schwarzen Meer erfolgreich eine neutrale Position gefahren. Diese neutrale Position ist das generelle Gebot der Türkei für den Kontakt mit dem noch immer mächtigen und selbstbewussten Nachbarn im Norden. Der gesamte benachbarte Kaukasus-Raum ist traditionell türkisches Einflussgebiet und dürfte ein heikles Dauerthema bleiben in der türkisch-russischen Beziehung. Wobei Russland eher in einer defensiven Position ist, nicht nur wegen der "religiösen" Nähe, sondern weil die Türkei nach wie vor den Flaschenhals des Bosporuskanals kontrolliert, Russlands einzigem Zugang zum Mittelmeer. (Bild oberhalb rechts: Russische Fregatte in Istanbul)
Schlüsselrolle als Energie-Hub
Zentraler Punkt der Putin-Visite war aber die Energiepolitik und die Unterzeichnung des Vertrags für das Projekt Southstream, mit welchem russisches Gas aus Zentralasien via die Türkei nach Europa gepumpt werden soll.
Nicht einmal einen Monat früher, Mitte Juli, hat die Türkei (endlich) einen ähnlichen Vertrag mit den Europäern für deren Projekt Nabucco abgeschlossen. Damit unterstreicht die Türkei seine Politik der Neutralität auch in der Energiefrage, vor allem unterstreicht sie ihre selbsbewusste Rolle als Hub für die Oel- und Gasversorgung Europas aus dem zentralasiatischen Raum.(siehe auch der Nabucco-Beitrag auf Contextlink).
Einflusssphäre Zentralasien ...
Wie grosszügig und weit die Türkei sein Einflussflussgebiet selber definiert, wurde jüngst klar, als sie die Problematik der Uiguren anlässlich der schweren Unruhen in der chinesischen Westprovinz Xinjiang vor den UN-Sicherheitsrat bringen wollte. Sogenannte Turkvölker, die alle zur türkischen Sprachfamilie gehören leben im gesamten, schier endlosen zentralasiatischen Raum bis zum Hindukusch, entlang der historischen Seidenstrasse. Dies ist auch klassischer. muslimischer Kulturraum mit den "grossen" Islam-Städten Buchara und Samarkand (Bild rechts) im heutigen Usbekistan.
Hier in Zentralasien überschneiden sich nicht zuletzt die "Einflusssphären" der Türkei und Russlands (GUS-Staaten oder ehemalige UdSSR-Provinzen) und man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass es hier noch Anlass zu einigem Stress zwischen den Russen und den Türken geben wird.)
Parag Khanna hat die Bedeutung der "neuen Seidenstrasse" und Zentralasiens für die neue Weltordnung zuletzt in seinem Artikel "The Road to Kabul Runs Through Beijing and Tehran". Und wie praktisch die Türkei auf dieser doppelten Achse mitwirkt, wurde diese Woche gleich doppelt belegt: Am vergangenen Freitag startete die erste Testfahrt eines Güterzuges in Islamabad, der Pakistan via Teheran mit Istanbul Verbindung (Karte links: BBC). Die neue Eisenbahnverbindung ist 6500 Kilometer lang und wird nicht zuletzt im Iran als wichtiger Meilenstein gefeiert. Ein Kommentar zum entsprechenden Artikel in der englisch-sprachigen, regierungsnahen Online-Publikation PressTV triumphiert: "Das sind grossartige Neuigkeiten. Alle Muslime sollten sich gemeinsam darüber freuen ... und die Amerikaner und die und haben Grund zum Weinen. Alle ihre Verschwörungen sind vergeblich, Gott sei's gedankt."
... bis Pakistan
Seit einigen Jahren pflegt die Türkei einen regen Austausch mit Pakistan, u.a. in Sicherheits- und Kulturfragen, private türkische Organisationen - unter anderem auch religiöse - unterhalten zahlreiche Projekte in Pakistan. Und Ende Monat findet in Istanbul das Forum "Friends of Democratic Pakistan" statt. Stargast: Richard Holbrooke, der Sondergesandte Präsident Obamas für Pakistan und Afghanistan.
Friedensstifter in Nahost?
Eine Schlüsselrolle können die Türken auch im Nahen Osten einnehmen. Geschickt hat sich Präsident Erdogan während dem jüngsten Gazakrieg von Israel distanziert und Punkte im arabischen Lager gesammelt. Nach einer kurzen Zeit der Verstimmung haben jetzt die Israel ihren alten Vertrauenspartner Türkei offenbar wieder als Unterhändler bei den Friedensgesprächen mit Syrien akzeptiert.
Die arabische Welt ist offenbar bereit, die Türkei wieder als Regionalmacht zu akzeptieren, auch wenn es noch immer auch schlechte Erinnerungen an die jahrhundertelange Dominanz der Region durch die Türken als Osmanisches Reich gibt.
Vorbild als säkularer islamischer Staat
Längst übt die Türkei im gesamten arabischen Raum einen starken kulturellen Einfluss aus, als in der westlichen Welt erfolgreiche, muslimische Nation gilt sie vielen, insbesondere gemässigten Arabern als Vorbild. Nicht nur wegen seinem wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch als Modell eines säkularen muslimischen Staates mit funktionierender Demokratie.
Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der "türkischen" Kultur spielt das Fernsehen. Türkische Fernsehfilme und insbesondere türkische Soap-Operas werden von zahlreichen arabischen Fernsehsender bis in das fundamentalistische Saudiarabien ausgestrahlt und sind wie TV-Serie "Noor" manchmal richtige Strassenfeger in ganz Nahost.
Schlüsselrolle im Irak
Einiges spricht dafür, dass die Türkei jetzt mit dem Abzug der Amerikaner aus dem Irak eine zentrale Rolle an Euphrat und Tigris übernehmen wird. Nicht nur die Amerikaner scheinen auf die Türken zu setzen, auch für den Iran sind sie ein akzeptabler Friedensstifter und künftiger Mit-Machthaber.
Seit dem Juli 2008 gibt es einen türkisch-irakischen "strategischen Kooperationsrat" und eben ist der neue türkische Aussenminister Ahmet Davutoglu von einer Irakreise zurückgekehrt. Offiziell ging es um den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, doch der Türkei geht es auch um vitale Sicherheitsfragen. Die Türkei wird alles unternehmen, um ein Auseinanderbrechen des Iraks zu verhindern. Die Türken befürchten, es könnte an ihrer Südgrenze ein neuer kurdischer Staat entstehen, der auch die staatliche Integrität der Türkei gefährden könnte. (Bild rechts: Türkische Soldaten in Kurdistan)
Auf diesem Hintergrund sind auch die erfreulichen Entwicklungen zu sehen, dass die Türkei offensichtlich endlich bereit ist, ihr "ewiges" Problem mit der kurdischen Identität in Ostanatolien und dem 25-jährigen Bürgerkrieg mit der PKK zu lösen.
Einen weiteren, für die ganze Region symbolischen Schritt hat die Türkei ebenfalls in den letzten Tagen beschlossen: Im Rahmen des Davutoglu-Besuchs hat die Türkei dem Irak zugesichert, künftig rund 40 Prozent mehr Wasser über die Flüsse ins alte Kulturland von Euphrat und Tigris fliessen zu lassen. Nicht zuletzt wegen dem Wasser, ist die Türkei für den arabischen Raum ein lebenswichtiger Partner.
Türkei ist auch Europa
Die Zuwendung der Türkei, die zu erwartende neue Rolle als Grossmacht im Nahen Osten und Zentralasien heisst nicht, dass die Türkei sich von Europa abwenden wird, für Europa "verloren" ist. Parag Khanna bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: "Die Türkei IST bereits ein europäisches Land" ("2.Welt" S. 83).
Unbestritten gehört die Türkei mit einem nicht unwesentlichen Teil der Grossregion Istanbul auch geographisch zu Europa. Und wer schon einmal im hippen Stadtteil Beyoglu in Istanbul (Bild rechts) oder auch jenseits des Bosporus bereits in Asien im Stadtteil Fenerbace unterwegs war, zweifelt nicht daran, dass die Türkei auch europäisch ist. Istanbul ist eine der wichtigste Kulturstädte Europas. Während Jahrhunderten war Konstantinopel die wichtigsten Stadt der christlichen Kultur.
Für Parag Khanna ist das moderne Istanbul mehr: das "Wirtschaftszentrum einer von Budapest bis Baku reichenden Region". In einer seiner spannenden Reisereportagen berichtet Khanna über die rasante, sehr westlich-moderne Entwicklung die der östliche Balkan dank der Türkei in den letzten Jahren erlebt hat. Bulgarien werde "mehr und mehr zu einem Vorort der Megalopolis Istanbul," schreibt er in der "2. Welt". Ein Mischgebilde, das man "Istanbulgarien" nenne könnte.
Europa braucht die Türkei
Khanna nennt die Türkei in seinem Beitrag "Die nächste Welt" für "Die Zeit" "die grösste Herausforderung" für Europa. Und er wiederholt die Forderung des US-Präsidenten Obama: Das Land muss unbedingt Vollmitglied der EU werden, um seine Scharnierfunktion zum Mittleren Osten wahrzunehmen."
Die EU muss begreifen, dass es nicht darum geht, die Türkei "gnädigst aufzunehmen und irgendwelche Bedingungen zu stellen (wie ich schon früher in Contextlink geschrieben habe). Europa braucht die Türkei und nicht umgekehrt.
(Bild unten: Skyline des modernen Istanbul bei Nacht)
Donnerstag, 13. August 2009
Rückkehr nach Bosnien: Von Krieg ist die Rede
Screenshot Video Mike Kirsch Bosnien 1995
Sehr gerne würde ich nach Bosnien zurückkehren. Ich muss mit Jasna sprechen. Vielleicht mit Stampi oder Halida oder Beba oder Secer.
Mike Kirsch hat es getan. Er ist wieder hingegangen und hat unter anderem den Sohn des Soldaten Senahid Hadzic besucht, den er 1995 gefilmt hat. Senahid ist letztes Jahr, 39-jährig, an Krebs gestorben. Seine alten Kollegen sprechen heute, 2009, vom Krieg. Nicht vom vergangenen, sondern vom kommenden Krieg: "Die Frage ist nicht, ob es wieder Krieg in Bosnien gibt", sagt einer von ihnen in Kirsch's Al-Jazeera-Video, "sondern, wann es wieder Krieg gibt." Senahid Hadzic hat damals seine Pistole unter ein Kissen in der Krippe seines Neugeborenen Semir gelegt. Dies sei nur ein Souvenir, beschwichtigt der 14-jährige Semir heute. Haris Silajdzic, der grosse alte Mann der bosnischen Politik, sagt, er hoffe, die Pistole bleibe nur ein Souvenir. Er spricht aber bereits wieder davon, zur Not sei man in Bosnien auch wieder bereit zu kämpfen.
Sehr gerne würde ich nach Bosnien zurückkehren. Ich muss mit Jasna sprechen. Vielleicht mit Stampi oder Halida oder Beba oder Secer.
Mike Kirsch hat es getan. Er ist wieder hingegangen und hat unter anderem den Sohn des Soldaten Senahid Hadzic besucht, den er 1995 gefilmt hat. Senahid ist letztes Jahr, 39-jährig, an Krebs gestorben. Seine alten Kollegen sprechen heute, 2009, vom Krieg. Nicht vom vergangenen, sondern vom kommenden Krieg: "Die Frage ist nicht, ob es wieder Krieg in Bosnien gibt", sagt einer von ihnen in Kirsch's Al-Jazeera-Video, "sondern, wann es wieder Krieg gibt." Senahid Hadzic hat damals seine Pistole unter ein Kissen in der Krippe seines Neugeborenen Semir gelegt. Dies sei nur ein Souvenir, beschwichtigt der 14-jährige Semir heute. Haris Silajdzic, der grosse alte Mann der bosnischen Politik, sagt, er hoffe, die Pistole bleibe nur ein Souvenir. Er spricht aber bereits wieder davon, zur Not sei man in Bosnien auch wieder bereit zu kämpfen.
Dienstag, 11. August 2009
Victor Bout (42), "Händler des Todes": Bald frei?
Bild: The National (UAE/AFP): V. Bout nach dem Gerichsttermin vom 11.8.2009 in Bangkok
Tailand liefert Victor Bout, den "Händler des Todes", NICHT an die USA aus. Die USA haben jetzt 72 Stunden Zeit, gegen den Entscheid des thailändischen Gerichts zu appellieren. Ansonsten wird der Russe mit seiner nicht zuletzt für die USA höchst unangenehmen und bedrohlichen Geschichte auf freien Fuss gesetzt. (Contextlink hat schon anfangs 2009 unter dem Titel "Eine Geschichte die zum Himmel stinkt" über den Fall berichtet.)
Hier der aktuelle Bericht des englisch-sprachigen russische Fernsehsenders RT:
Der Entscheid des thailändischen Gerichts, Bout nicht an die USA auszuliefern, ist gemäss der Formulierung von The National, der Tageszeitung aus der langjährigen Operationsbasis des Russen in den Arabischen Emiraten, "ein herber Rückschlag für die USA". Die USA haben im März 2008 den russischen "Geschäftsmann" in einer dubiosen Aktion ihrer Anti-Drogen-Behörde DEA Bout 2008 unter einem Vorwand nach Thailand gelockt haben, um ihn dort festzunehmen.
Bout war so etwas wie der "Postbote" zahlreicher Herren. Er hat mit seiner grossen Flotte von Frachtflugzeugen alle Arten von "Güter", von Nahrungsmitteln über Waffen oder Diamanten bis Personal, für zahlreiche Auftraggeber an Orte transportiert, wohin sonst niemand geliefert hat: In die afrikansichen Bürgerkriegsländer Kongo oder Liberia, nach Afghanistan, in den Irak, usw.. Auftraggegber waren mal die lokalen Warlords oder Rebellenkommandanten oder die Taliban, aber andere Male auch die UNO oder die USA (die US Army).
Einen kleinen, sehr spannenden Einblick in die Welt des Victor Bout bietet ein Interview von Peter Landesman aus dem Jahr 2003, welches die Süddeutsche Zeitung letztes Jahr veröffentlicht hat.
Ich habe in den letzten Monaten immer wieder punktuell über den Fall Victor Bout recherchiert und Verfüge inzwischen über ein spannendes Dossier. Leider habe ich noch keine Zeit (viel Zeit) gefunden, um etwas zu publizieren. Es ist ein Traumstoff für einen DOK-Film, besser als der Kinofilm "The Lord of War" mit Nicholas Cage in der Hauptrolle, der angeblich die Geschichte des Victor Bout erzählt.
Tailand liefert Victor Bout, den "Händler des Todes", NICHT an die USA aus. Die USA haben jetzt 72 Stunden Zeit, gegen den Entscheid des thailändischen Gerichts zu appellieren. Ansonsten wird der Russe mit seiner nicht zuletzt für die USA höchst unangenehmen und bedrohlichen Geschichte auf freien Fuss gesetzt. (Contextlink hat schon anfangs 2009 unter dem Titel "Eine Geschichte die zum Himmel stinkt" über den Fall berichtet.)
Hier der aktuelle Bericht des englisch-sprachigen russische Fernsehsenders RT:
Der Entscheid des thailändischen Gerichts, Bout nicht an die USA auszuliefern, ist gemäss der Formulierung von The National, der Tageszeitung aus der langjährigen Operationsbasis des Russen in den Arabischen Emiraten, "ein herber Rückschlag für die USA". Die USA haben im März 2008 den russischen "Geschäftsmann" in einer dubiosen Aktion ihrer Anti-Drogen-Behörde DEA Bout 2008 unter einem Vorwand nach Thailand gelockt haben, um ihn dort festzunehmen.
Bout war so etwas wie der "Postbote" zahlreicher Herren. Er hat mit seiner grossen Flotte von Frachtflugzeugen alle Arten von "Güter", von Nahrungsmitteln über Waffen oder Diamanten bis Personal, für zahlreiche Auftraggeber an Orte transportiert, wohin sonst niemand geliefert hat: In die afrikansichen Bürgerkriegsländer Kongo oder Liberia, nach Afghanistan, in den Irak, usw.. Auftraggegber waren mal die lokalen Warlords oder Rebellenkommandanten oder die Taliban, aber andere Male auch die UNO oder die USA (die US Army).
Einen kleinen, sehr spannenden Einblick in die Welt des Victor Bout bietet ein Interview von Peter Landesman aus dem Jahr 2003, welches die Süddeutsche Zeitung letztes Jahr veröffentlicht hat.
Ich habe in den letzten Monaten immer wieder punktuell über den Fall Victor Bout recherchiert und Verfüge inzwischen über ein spannendes Dossier. Leider habe ich noch keine Zeit (viel Zeit) gefunden, um etwas zu publizieren. Es ist ein Traumstoff für einen DOK-Film, besser als der Kinofilm "The Lord of War" mit Nicholas Cage in der Hauptrolle, der angeblich die Geschichte des Victor Bout erzählt.
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Montag, 10. August 2009
Empfehlung Af-Pak Channel (Foreign Policy)
Bei allen so wichtigen, die Schweizer Medien dominierenden Themen wie Schweinegrippe, Federerzwillinge oder Tierschutz-Terroristen sollten wir nicht vergessen: In Afghanistan und in Pakistan herrscht Krieg. Menschen sterben. Nicht nur Soldaten aus den USA, Grossbritannien oder Deutschland (Tote Soldaten der westliche Alliierten seit 2001: 1297; siehe Grafik am Ende dieses Artikels), sondern auch junge einheimische Männer (Zahl unbekannt) ... und viele Zivilisten (allein in den ersten 6 Monaten dieses Jahres waren es über 1000 Menschen).
Das US-amerikanische Magazin Foreign Policy (FP) hat schon viele, sehr lesenswerte Artikel zum Af-Pak-Theater veröffentlicht. Jetzt lanciert es das Projekt Af-Pak-Channel. Diese Infoquelle möchte ich empfehlen. FP ist - und berichtet - sehr amerikanisch und verfügt über exzellente Beziehungen nicht zuletzt auch in US-amerikanischen Militärkreisen. Trotzdem berichtet FP häufig sehr differenziert journalistisch und manchmal gar kritisch. Dazu spannende Autorenblogs.
Speziell lesenswert fand ich jüngst den Artikel "The Militarization of the Afghan Aid" und das sehr schöne Foto-Essay über die Geschichte des Afghanistankriegs.
Quelle: http://icasualties.org/oef/
Das US-amerikanische Magazin Foreign Policy (FP) hat schon viele, sehr lesenswerte Artikel zum Af-Pak-Theater veröffentlicht. Jetzt lanciert es das Projekt Af-Pak-Channel. Diese Infoquelle möchte ich empfehlen. FP ist - und berichtet - sehr amerikanisch und verfügt über exzellente Beziehungen nicht zuletzt auch in US-amerikanischen Militärkreisen. Trotzdem berichtet FP häufig sehr differenziert journalistisch und manchmal gar kritisch. Dazu spannende Autorenblogs.
Speziell lesenswert fand ich jüngst den Artikel "The Militarization of the Afghan Aid" und das sehr schöne Foto-Essay über die Geschichte des Afghanistankriegs.
Quelle: http://icasualties.org/oef/
Sonntag, 9. August 2009
Rohstoffe: Glencore, der Strippenzieher aus der Schweiz
Der britisch-schweizerische Rohstoffmulti Xstrata mit Sitz in Zug greift nach dem südafrikanischen Bergbau-Giganten Anglo American, der u.a. auch den Diamanten-Monopolisten De Beers kontrolliert (siehe Contextlinkbeitrag grad unterhalb).
Noch ist nicht sicher, ob ein wichtiger Teil der südafrikanischen Wirtschaft bald von der Bahnhofstrasse 2 in Zug von der Schweiz aus gesteuert wird. Sicher scheint aber, dass eine andere Schweizer Grossfirma im Rohstoffbusiness, die Glencore International, umsatzstärkstes Unternehmen der Schweiz (noch vor Nestlé und Novartis) und grösster Rohstoffhändler der Welt, von dem Deal profitieren wird. (Ein Porträt der Glencore von SF findet sich am Ende dieses Beitrags).
Internationale Spezialisten sind sich auf jeden Fall einig, dass Glencore, der eigentliche Strippenzieher hinter der aggressiven Politik der Xstrata ist.
John Foley von "BreakingViews" schreibt in World Finance unter dem Titel "Core of the matter": "Xstrata boss Mick Davis mag der König der gewagten Uebernahmen im Minen-Business sein. Aber Glencore ist der Königsmacher."
Tatsächlich ist die Xstrata de facto eine Tochter von Glencore - auch wenn sie auf das Schweizer Traditionsunternehmen Südelektra (gegründet 1926) zurückgeht. Der Zuger (genau Baar ZG) Rohstoffhandelskonzern hält knapp 35% der Aktien des Bergbauunternehmens und die Verwaltungsräte beider Unternehmen werden von dem deutschen Willi R. Strothotte (im Bild links) kontrolliert.
Die Handelszeitung, von der ich den Titel "Strippenzieher aus der Schweiz" abgekupfert habe, schreibt, Glencore spiele im Hintergrund "die Schlüsselrolle" in diesem Deal und "könnte als Großaktionär von Xstrata seinen ohnehin enormen Einfluss auf die globalen Rohstoffmärkte weiter ausbauen." Ohne die Zustimmung und "ohne die tiefen Taschen" seines mit 35 Prozent größten Aktionärs, könnte Xstrata-Boss Mick Davis keine Fusion mit Anglo betreiben.
BoerseGo.de titelt gar "Xstrata, Anglo American & der lachende Dritte". Der Dritte ist natürlich Glencore. "Obwohl offiziell Kostenersparnisse durch Synergien als Argument für einen Zusammenschluss (Xstrata/Anglo; d.V.) angeführt werden, geht es in Wahrheit wohl vor allem um Macht und Zugriff auf Lagerstätten." Und: "Ein Zusammenschluss von AngloAmerican und Xstrata würde die Position von Glencore als führendes Rohstoffhandelsunternehmen der Erde klar verstärken."
Glencor verdient sein Geld mit der Vermarktung der Rohstoffe, die seine Partner weltweit aus dem Boden holen. Mit einer Kontrolle der AngloAmerican würde Glencore wohl auch die Verkaufsrechte der Anglo-Rohstoffe (von Kohle über Diamanten und Gold bis Zink und Kupfer) übernehmen. Damit würde Glencore nicht nur noch mehr Geld verdienen, sondern auch seinen Einfluss auf den Rohstoffmarkt ausbauen. "Die damit verbundene Marktmacht", schreibt boerseGo.de, "kann es dem Konzern ermöglichen, die Preise wenn nicht zu steuern, so doch erheblich zu beeinflussen. Dabei wird es zunehmend wichtiger, tatsächlich Zugriff auf das physische Angebot zu haben. Durch die gegenwärtige Regulierungsdebatte auf dem Finanzmarkt und die Neuordnung der US-Börsenaufsicht werden Geschäfte nur auf dem Papier zukünftig erschwert werden. Das ist schlecht für die Konkurrenz, aber zweitrangig für Glencore. Schließlich handelt man kein Papier, sondern kontrolliert tatsächlich die Warenflüsse."
Mit dem Anglo-Deal könnte die Glencore gleichzeitig aber noch ein anderes Ziel verfolgen: eine raschere Behebung seiner (angeblichen) Liquiditätsengpässe und die Befriedigung seiner eigenen Cashbedürfnisse. Auch Glencore leidet unter der aktuellen Wirtschaftskrise und den sehr tiefen Rohstoffpreisen. John Foley von "BreakingViews" bringt deshalb auch eine Variante ins Spiel, Glencore könnte sich schliesslich direkt am Anglo Deal beteiligen und Aktien kaufen. "So günstig wie jetzt", schreibt boerseGo.de, "lassen sich Bergbaukonzerne wohl auf absehbare Zeit nicht mehr übernehmen. Neben Bargeld sind auch Aktien eine gute Akquisewährung." (siehe auch "Glencore auf Schnäppchenjagd" und "Die Elefanten des Bergbaus sind die Banken von morgen").
Mit neuen Anglo American-Aktien zusätzlich zu ihren Xstrata-Anteilen wäre Glencore in einer exzellenten Position, wenn sich ein anderes Gerücht in der Rohstoffwelt bewahrheiten sollte: Die Nummer 2 der Branche, die Vale (früher Companhia Vale do Rio Doce (CVRD)) aus Brasilien beteiligt sich wieder aktiv am aktuellen Konzentrationsprozess im Bergbau-Business.
Warum sollen nicht Teile der Xstrata und der Anglo neu zusammengefügt an die Brasilianer verkauft werden oder gar die ganze neue Xstrata/Anglo American?
Vor etwas mehr als einem Jahr wollte die Vale die Xstrata schon einmal übernehmen, "unfriendly". Nur ein nicht ganz koscheres Manöver der Glencore, hat die Uebernahme verhindert. Dem Vernehmen nach ist der Deal damals aber nicht zuletzt daran gescheitert, dass die Vale der Glencore nicht sämtliche Vermarktungsrechte der von Xstrata geförderten Rohstoffe garantieren wollte.
Gegenüber damals ist Glencore heute in einer noch stärkeren Position: Vale muss einkaufen, wenn sie gegenüber der Nummer 1 im Rohstoffmarkt, der BHP Billiton, die kräftig weiter acquiriert, nicht weiter an Boden und Einfluss verlieren will. Glencore aber würde einem Ganz- oder Teilverkauf von Xstrata/Anglo American an die Brasilianer wohl nur zustimmen, wenn es seine alte Forderung erfüllt erhält, wie boerseGo.de schreibt: "Weiterreichende Zugeständnisse von Vale bei der Vermarktung der Rohstoffe durch Glencore."
Glencore könnte als mit seinem Poker um AngloAmerican via seine Tochter Xstrata "zwei Fliegen auf einen Schlag" treffen: Mit dem Erlös aus dem Aktienverkauf an Vale würden grosse flüssige Mittel in die Kasse fliessen und gleichzeitig wären zusätzliche, milliardenwerte Verkaufsrechte gesichert.
Und hier nocheinmal das Glencore-Porträt des Wirtschaftsmagazins "Eco" des Schweizer Fernsehens:
Noch ist nicht sicher, ob ein wichtiger Teil der südafrikanischen Wirtschaft bald von der Bahnhofstrasse 2 in Zug von der Schweiz aus gesteuert wird. Sicher scheint aber, dass eine andere Schweizer Grossfirma im Rohstoffbusiness, die Glencore International, umsatzstärkstes Unternehmen der Schweiz (noch vor Nestlé und Novartis) und grösster Rohstoffhändler der Welt, von dem Deal profitieren wird. (Ein Porträt der Glencore von SF findet sich am Ende dieses Beitrags).
Internationale Spezialisten sind sich auf jeden Fall einig, dass Glencore, der eigentliche Strippenzieher hinter der aggressiven Politik der Xstrata ist.
John Foley von "BreakingViews" schreibt in World Finance unter dem Titel "Core of the matter": "Xstrata boss Mick Davis mag der König der gewagten Uebernahmen im Minen-Business sein. Aber Glencore ist der Königsmacher."
Tatsächlich ist die Xstrata de facto eine Tochter von Glencore - auch wenn sie auf das Schweizer Traditionsunternehmen Südelektra (gegründet 1926) zurückgeht. Der Zuger (genau Baar ZG) Rohstoffhandelskonzern hält knapp 35% der Aktien des Bergbauunternehmens und die Verwaltungsräte beider Unternehmen werden von dem deutschen Willi R. Strothotte (im Bild links) kontrolliert.
Die Handelszeitung, von der ich den Titel "Strippenzieher aus der Schweiz" abgekupfert habe, schreibt, Glencore spiele im Hintergrund "die Schlüsselrolle" in diesem Deal und "könnte als Großaktionär von Xstrata seinen ohnehin enormen Einfluss auf die globalen Rohstoffmärkte weiter ausbauen." Ohne die Zustimmung und "ohne die tiefen Taschen" seines mit 35 Prozent größten Aktionärs, könnte Xstrata-Boss Mick Davis keine Fusion mit Anglo betreiben.
BoerseGo.de titelt gar "Xstrata, Anglo American & der lachende Dritte". Der Dritte ist natürlich Glencore. "Obwohl offiziell Kostenersparnisse durch Synergien als Argument für einen Zusammenschluss (Xstrata/Anglo; d.V.) angeführt werden, geht es in Wahrheit wohl vor allem um Macht und Zugriff auf Lagerstätten." Und: "Ein Zusammenschluss von AngloAmerican und Xstrata würde die Position von Glencore als führendes Rohstoffhandelsunternehmen der Erde klar verstärken."
Glencor verdient sein Geld mit der Vermarktung der Rohstoffe, die seine Partner weltweit aus dem Boden holen. Mit einer Kontrolle der AngloAmerican würde Glencore wohl auch die Verkaufsrechte der Anglo-Rohstoffe (von Kohle über Diamanten und Gold bis Zink und Kupfer) übernehmen. Damit würde Glencore nicht nur noch mehr Geld verdienen, sondern auch seinen Einfluss auf den Rohstoffmarkt ausbauen. "Die damit verbundene Marktmacht", schreibt boerseGo.de, "kann es dem Konzern ermöglichen, die Preise wenn nicht zu steuern, so doch erheblich zu beeinflussen. Dabei wird es zunehmend wichtiger, tatsächlich Zugriff auf das physische Angebot zu haben. Durch die gegenwärtige Regulierungsdebatte auf dem Finanzmarkt und die Neuordnung der US-Börsenaufsicht werden Geschäfte nur auf dem Papier zukünftig erschwert werden. Das ist schlecht für die Konkurrenz, aber zweitrangig für Glencore. Schließlich handelt man kein Papier, sondern kontrolliert tatsächlich die Warenflüsse."
Mit dem Anglo-Deal könnte die Glencore gleichzeitig aber noch ein anderes Ziel verfolgen: eine raschere Behebung seiner (angeblichen) Liquiditätsengpässe und die Befriedigung seiner eigenen Cashbedürfnisse. Auch Glencore leidet unter der aktuellen Wirtschaftskrise und den sehr tiefen Rohstoffpreisen. John Foley von "BreakingViews" bringt deshalb auch eine Variante ins Spiel, Glencore könnte sich schliesslich direkt am Anglo Deal beteiligen und Aktien kaufen. "So günstig wie jetzt", schreibt boerseGo.de, "lassen sich Bergbaukonzerne wohl auf absehbare Zeit nicht mehr übernehmen. Neben Bargeld sind auch Aktien eine gute Akquisewährung." (siehe auch "Glencore auf Schnäppchenjagd" und "Die Elefanten des Bergbaus sind die Banken von morgen").
Mit neuen Anglo American-Aktien zusätzlich zu ihren Xstrata-Anteilen wäre Glencore in einer exzellenten Position, wenn sich ein anderes Gerücht in der Rohstoffwelt bewahrheiten sollte: Die Nummer 2 der Branche, die Vale (früher Companhia Vale do Rio Doce (CVRD)) aus Brasilien beteiligt sich wieder aktiv am aktuellen Konzentrationsprozess im Bergbau-Business.
Warum sollen nicht Teile der Xstrata und der Anglo neu zusammengefügt an die Brasilianer verkauft werden oder gar die ganze neue Xstrata/Anglo American?
Vor etwas mehr als einem Jahr wollte die Vale die Xstrata schon einmal übernehmen, "unfriendly". Nur ein nicht ganz koscheres Manöver der Glencore, hat die Uebernahme verhindert. Dem Vernehmen nach ist der Deal damals aber nicht zuletzt daran gescheitert, dass die Vale der Glencore nicht sämtliche Vermarktungsrechte der von Xstrata geförderten Rohstoffe garantieren wollte.
Gegenüber damals ist Glencore heute in einer noch stärkeren Position: Vale muss einkaufen, wenn sie gegenüber der Nummer 1 im Rohstoffmarkt, der BHP Billiton, die kräftig weiter acquiriert, nicht weiter an Boden und Einfluss verlieren will. Glencore aber würde einem Ganz- oder Teilverkauf von Xstrata/Anglo American an die Brasilianer wohl nur zustimmen, wenn es seine alte Forderung erfüllt erhält, wie boerseGo.de schreibt: "Weiterreichende Zugeständnisse von Vale bei der Vermarktung der Rohstoffe durch Glencore."
Glencore könnte als mit seinem Poker um AngloAmerican via seine Tochter Xstrata "zwei Fliegen auf einen Schlag" treffen: Mit dem Erlös aus dem Aktienverkauf an Vale würden grosse flüssige Mittel in die Kasse fliessen und gleichzeitig wären zusätzliche, milliardenwerte Verkaufsrechte gesichert.
Und hier nocheinmal das Glencore-Porträt des Wirtschaftsmagazins "Eco" des Schweizer Fernsehens:
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Samstag, 8. August 2009
Schweizer Rohstoff-Giganten greifen nach Südafrikas Kronjuwelen
Verrückte, globalisierte Welt: Es ist gut möglich, dass der wichtigste Teil der Südafrikanische Wirtschafts- und Sozialpolitik schon bald von der Schweiz, von einem kleinen Büro an der Bahnhofstrasse 2 in Zug, gesteuert wird. Das ist die Geschichte:
Im internationalen Rohstoffgeschäft gilt schon länger das Motto "fressen und/oder gefressen werden." Zur Zeit geht es allen im Business schlecht, weil die Rohstoffpreise wegen der Wirtschaftskrise im Keller sind. Alle Bergbauunternehmen sind von feindlichen Uebernahmen bedroht, (fast) alle sind aber gleichzeitig selbst Angreifer und bedrohen Konkurrenten.
Ein aktuelles Beispiel ist die britisch-schweizerische Xstrata mit Sitz in Zug.
Mit einer aggressiven Einkaufsstrategie hat "Big Mick", Mick Davis, der CEO des Zuger Multis, die Xstrata innerhalb von knapp 8 Jahren zur Nummer 4 im Milliardenmarkt Bergbau gemacht. Wichtigster Rohstoff der Xstrata ist heute die Kohle (früher Ferrochrom und Vanadium), aber mit den Einkäufen verfügt die Firma über eine strategisch starke Diversifizierung in Kupfer, Platin, Gold Kobalt, Zink, u.a.m..
Anlässlich der Präsentation des Halbjahresergebnisses 2009 letzte Woche (4. August) hat die Xstrata den folgenden Chart präsentiert und auf die Firmenhomepage gestellt: Die Umsatzstärksten Unternehmen im Welt-Minen-Geschäft. Zu beachten, die Marktposition der Xstrata nach der angestrebten Fusion mit der AngloAmerican:
Noch letztes Jahr drohte der Xstrata eine Uebernahme durch die brasilianische Vale, Nummer 2 im Weltmarkt. Das "Unfriendly Takeover" konnte nur dank der tatkräftigen - und nicht in allen Teilen koscheren - Unterstützung von Hauptaktionärin Glencore, abgewendet werden.
Jetzt greift Xstrata einen der traditionellen Top-Player im Bergbaubusiness an, die britisch-südafrikanische Anglo American. Anglo American (AAC) ist noch immer einer der grössten Rohstoffmultis der Welt, aber gleichzeitig eine Legende. Gegründet 1917 von Ernest Oppenheimer steht AAC für die Geschichte des klassischen Minenlandes Südafrika. Im Guten wie im Schlechten. Anglo American kontrolliert mit einer Aktienmehrheit auch den vielleicht noch etwas berühmteren Diamanten-Monopolisten DeBeers.
Ein Mega-Unternehmen gebaut auf Milliarden Schulden
Offiziell ist das Angebot, das Mick Davis der AAC Ende Juni unterbreitet hat, eine "Fusion unter Gleichen". Gleich sind nicht nur - in etwa - die aktuellen Umsätze der beiden Unternehmen, gleich gross - gigantisch gross - ist auch die aktuelle Verschuldung: Die Xstrata sitzt aktuell auf einem Schuldenberg von sage und schreibe 13 Milliarden Dollar, bei der AAC sind es "nur" 11 Milliarden.
Nichts kann aus meiner Sicht den kranken Zustand der Weltwirtschaft besser illustrieren als dieser Umstand, dass zwei total verschuldete Unternehmen zur Sicherung ihres Bestandes nicht zuerst einmal versuchen, ihre Schulden zu reduzieren, sondern im Gegenteil offenbar über Mittel verfügen, die es ihnen erlauben, maximal in die Offensive zu gehen und neue Milliardengeschäfte zu tätigen. Das ganze Business basiert zur Zeit auf Spekulation. Man hofft, dass die Rohstoffpreis bald wieder ansteigen und die Unternehmen wieder so satte Gewinne einfahren wie früher. Tatsächlich spricht da ja einiges dafür, allerdings kommt der Aufschwung nicht so schnell wie erhofft (Die aktuellen Zahlen 1. Hälfte 2009 gibt's hier). Immerhin bauen die Geldgeber im Bergbaugeschäft nicht nur auf virtuelle Werte wie im reinen Finanzbusiness. Die Bodenschätze sind reale Werte, die beim zu erwartenden Wirtschaftsaufschwung auch wirklich gebraucht und verkauft werden können - sei es Eisenerz, Gold, Kupfer, Uran oder Oel.
Mit dem Merger Xstrata/Anglo American würde ein Unternehmen mit einem Umsatz von rund 54 Milliarden US-Dollar entstehen (Zahlen Basis 2008), fast so gross wie die Welt Nummer 1 BHP Billiton. Die Fusion der australischen BHP mit der britischen Billiton 2001 hat gezeigt, dass so eine Elephantenhochzeit tatsächlich nicht nur grosse Synergieeffekte im Sinn von Ersparnissen beim Betrieb bringen kann, sondern auch eine krisenresistentere Position im Markt.
Politischer Widerstand
Trotzdem reagiert man in der Konzernzentrale in London und vor allem in Südafrika selbst sehr alarmiert auf die Offerte aus der Schweiz. Der Staat Südafrika ist nicht nur ein wichtiger Aktionär der Anglo, die AAC ist schlicht ein Teil von Südafrika, Teil seiner Identität und einer der wichtigsten Arbeitgeber. Anglo American und DeBeers sind so etwas wie die Kronjuwelen Südafrikas.
In den internationalen Medien sind denn auch verschiedentlich Kommentare zu lesen, dass der Deal nicht zustande kommen werde, weil die Südafrikanische Regierung ihr Veto einlegen werde. Ein absoluter Insider im Rohstoffbusiness betont gegenüber Contextlink, Südafrikas Staatspräsident Jacob Zuma engagiere sich persönlich: "Er übt grossen Druck auf die AAC aus, die Fusion zu vermeiden." "Allerdings", realisiere er nicht, "dass die AAC schon längst ihr ganzes Geld in London hat, wohin sie ihren Geschäftssitz vor 12 Jahren verlegt hat."
Diese Woche hat Mick Davis sein Angebot an die Anglo nocheinmal bestätigt und es ist ein offenes Geheimnis, dass es eine ganze Reihe von wichtigen AAC-Aktionären gibt, die ein Zusammengehen mit der Schweizer Xstrata sehr gerne sähen, nicht zuletzt, weil sie nach wie vor kein Vertrauen in die Anglo-Chefin Cynthia Carroll (im Bild links) haben. (Dahinter steckt auch eine spannende Geschichte über die Chancen und Schwierigkeiten einer Frau in der Top-Etage des internationalen Business, die ich in einem späteren Beitrag zu erzählen versuchen werde.)
Rohstoffmacht Schweiz
Es ist also sehr gut möglich, dass ein Unternehmen aus der rohstoffarmen Schweiz, bald das Sagen in einem Schlüsselbereich der südafrikanischen Wirtschaft hat. Gleichzeit würde aus der Provinzstadt Zug in der Schweiz das 2. grösste Bergbauunternehmen der Welt gesteuert.
Einer der ganz grossen Profiteure des Deals wäre eine andere Schweizer Firma, umsatzstärkstes Unternehmen der Schweiz (vor Nestlé und Novartis!) und grösster Rohstoffhändler der Welt: die Glencore mit Sitz ebenfalls in Zug (genau in Baar ZG).
Glencore ist mit 35% Aktienanteil nicht nur der grösste Teilhaber an der Xstrata, sondern ihr Verwaltungsratspräsident Willy R. Strothotte ist auch der oberste Boss der Xstrata. Die Xstrata ist eine Tochter der Glencore. In der Rohstoff- und Finanzwelt weiss man denn auch, dass der eigentliche Strippenzieher der andauernden Xstrata-Offensive - und ihre finanzielle Absicherung - die Glencore ist. (Dazu möchte ich aber eine separaten Contextlink-Beitrag verfassen.)
Im internationalen Rohstoffgeschäft gilt schon länger das Motto "fressen und/oder gefressen werden." Zur Zeit geht es allen im Business schlecht, weil die Rohstoffpreise wegen der Wirtschaftskrise im Keller sind. Alle Bergbauunternehmen sind von feindlichen Uebernahmen bedroht, (fast) alle sind aber gleichzeitig selbst Angreifer und bedrohen Konkurrenten.
Ein aktuelles Beispiel ist die britisch-schweizerische Xstrata mit Sitz in Zug.
Mit einer aggressiven Einkaufsstrategie hat "Big Mick", Mick Davis, der CEO des Zuger Multis, die Xstrata innerhalb von knapp 8 Jahren zur Nummer 4 im Milliardenmarkt Bergbau gemacht. Wichtigster Rohstoff der Xstrata ist heute die Kohle (früher Ferrochrom und Vanadium), aber mit den Einkäufen verfügt die Firma über eine strategisch starke Diversifizierung in Kupfer, Platin, Gold Kobalt, Zink, u.a.m..
Anlässlich der Präsentation des Halbjahresergebnisses 2009 letzte Woche (4. August) hat die Xstrata den folgenden Chart präsentiert und auf die Firmenhomepage gestellt: Die Umsatzstärksten Unternehmen im Welt-Minen-Geschäft. Zu beachten, die Marktposition der Xstrata nach der angestrebten Fusion mit der AngloAmerican:
Noch letztes Jahr drohte der Xstrata eine Uebernahme durch die brasilianische Vale, Nummer 2 im Weltmarkt. Das "Unfriendly Takeover" konnte nur dank der tatkräftigen - und nicht in allen Teilen koscheren - Unterstützung von Hauptaktionärin Glencore, abgewendet werden.
Jetzt greift Xstrata einen der traditionellen Top-Player im Bergbaubusiness an, die britisch-südafrikanische Anglo American. Anglo American (AAC) ist noch immer einer der grössten Rohstoffmultis der Welt, aber gleichzeitig eine Legende. Gegründet 1917 von Ernest Oppenheimer steht AAC für die Geschichte des klassischen Minenlandes Südafrika. Im Guten wie im Schlechten. Anglo American kontrolliert mit einer Aktienmehrheit auch den vielleicht noch etwas berühmteren Diamanten-Monopolisten DeBeers.
Ein Mega-Unternehmen gebaut auf Milliarden Schulden
Offiziell ist das Angebot, das Mick Davis der AAC Ende Juni unterbreitet hat, eine "Fusion unter Gleichen". Gleich sind nicht nur - in etwa - die aktuellen Umsätze der beiden Unternehmen, gleich gross - gigantisch gross - ist auch die aktuelle Verschuldung: Die Xstrata sitzt aktuell auf einem Schuldenberg von sage und schreibe 13 Milliarden Dollar, bei der AAC sind es "nur" 11 Milliarden.
Nichts kann aus meiner Sicht den kranken Zustand der Weltwirtschaft besser illustrieren als dieser Umstand, dass zwei total verschuldete Unternehmen zur Sicherung ihres Bestandes nicht zuerst einmal versuchen, ihre Schulden zu reduzieren, sondern im Gegenteil offenbar über Mittel verfügen, die es ihnen erlauben, maximal in die Offensive zu gehen und neue Milliardengeschäfte zu tätigen. Das ganze Business basiert zur Zeit auf Spekulation. Man hofft, dass die Rohstoffpreis bald wieder ansteigen und die Unternehmen wieder so satte Gewinne einfahren wie früher. Tatsächlich spricht da ja einiges dafür, allerdings kommt der Aufschwung nicht so schnell wie erhofft (Die aktuellen Zahlen 1. Hälfte 2009 gibt's hier). Immerhin bauen die Geldgeber im Bergbaugeschäft nicht nur auf virtuelle Werte wie im reinen Finanzbusiness. Die Bodenschätze sind reale Werte, die beim zu erwartenden Wirtschaftsaufschwung auch wirklich gebraucht und verkauft werden können - sei es Eisenerz, Gold, Kupfer, Uran oder Oel.
Mit dem Merger Xstrata/Anglo American würde ein Unternehmen mit einem Umsatz von rund 54 Milliarden US-Dollar entstehen (Zahlen Basis 2008), fast so gross wie die Welt Nummer 1 BHP Billiton. Die Fusion der australischen BHP mit der britischen Billiton 2001 hat gezeigt, dass so eine Elephantenhochzeit tatsächlich nicht nur grosse Synergieeffekte im Sinn von Ersparnissen beim Betrieb bringen kann, sondern auch eine krisenresistentere Position im Markt.
Politischer Widerstand
Trotzdem reagiert man in der Konzernzentrale in London und vor allem in Südafrika selbst sehr alarmiert auf die Offerte aus der Schweiz. Der Staat Südafrika ist nicht nur ein wichtiger Aktionär der Anglo, die AAC ist schlicht ein Teil von Südafrika, Teil seiner Identität und einer der wichtigsten Arbeitgeber. Anglo American und DeBeers sind so etwas wie die Kronjuwelen Südafrikas.
In den internationalen Medien sind denn auch verschiedentlich Kommentare zu lesen, dass der Deal nicht zustande kommen werde, weil die Südafrikanische Regierung ihr Veto einlegen werde. Ein absoluter Insider im Rohstoffbusiness betont gegenüber Contextlink, Südafrikas Staatspräsident Jacob Zuma engagiere sich persönlich: "Er übt grossen Druck auf die AAC aus, die Fusion zu vermeiden." "Allerdings", realisiere er nicht, "dass die AAC schon längst ihr ganzes Geld in London hat, wohin sie ihren Geschäftssitz vor 12 Jahren verlegt hat."
Diese Woche hat Mick Davis sein Angebot an die Anglo nocheinmal bestätigt und es ist ein offenes Geheimnis, dass es eine ganze Reihe von wichtigen AAC-Aktionären gibt, die ein Zusammengehen mit der Schweizer Xstrata sehr gerne sähen, nicht zuletzt, weil sie nach wie vor kein Vertrauen in die Anglo-Chefin Cynthia Carroll (im Bild links) haben. (Dahinter steckt auch eine spannende Geschichte über die Chancen und Schwierigkeiten einer Frau in der Top-Etage des internationalen Business, die ich in einem späteren Beitrag zu erzählen versuchen werde.)
Rohstoffmacht Schweiz
Es ist also sehr gut möglich, dass ein Unternehmen aus der rohstoffarmen Schweiz, bald das Sagen in einem Schlüsselbereich der südafrikanischen Wirtschaft hat. Gleichzeit würde aus der Provinzstadt Zug in der Schweiz das 2. grösste Bergbauunternehmen der Welt gesteuert.
Einer der ganz grossen Profiteure des Deals wäre eine andere Schweizer Firma, umsatzstärkstes Unternehmen der Schweiz (vor Nestlé und Novartis!) und grösster Rohstoffhändler der Welt: die Glencore mit Sitz ebenfalls in Zug (genau in Baar ZG).
Glencore ist mit 35% Aktienanteil nicht nur der grösste Teilhaber an der Xstrata, sondern ihr Verwaltungsratspräsident Willy R. Strothotte ist auch der oberste Boss der Xstrata. Die Xstrata ist eine Tochter der Glencore. In der Rohstoff- und Finanzwelt weiss man denn auch, dass der eigentliche Strippenzieher der andauernden Xstrata-Offensive - und ihre finanzielle Absicherung - die Glencore ist. (Dazu möchte ich aber eine separaten Contextlink-Beitrag verfassen.)
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Sonntag, 2. August 2009
Ein kleiner afrikanischer General und der Kampf um die Weltherrschaft
Vorbemerkung: Wie ich erst heute feststelle, ist ein erster Teil-Entwurf dieses Beitrages schon seit Tagen unfertig im Netz gestanden. Ein Lapsus, für den ich mich entschuldigen möchte. Hier der Artikel, so wie ich ihn für zumutbar halte:
Zwei kleine Meldungen der letzten Woche sind mir besonders hängen geblieben: Die eine hat es in der Schweiz zum Beispiel in die BaZ und in die NZZ geschafft: "Arbeiter in China prügeln Direktor zu Tode" titelt ungewohnt boulevardesk die Zürcher Zeitung (Printausgabe). Gar nicht in die Schweizer Medien geschafft hat es eine Meldung aus Namibia: "Armeechef Namibias wegen Korruption entlassen."
Ich weiss, so eine exotische Afrika-Meldung interessiert hier wirklich fast niemanden ausser mir, zumindest auf den ersten Blick. Erst wenn man etwas genauer hinsieht, entdeckt man, welch spannende, weltpolitisch hochrelevante Geschichte sich dahinter verbirgt ... und dass es erst noch einen Zusammenhang mit der Meldung vom Lynchmord in China gibt. Eine richtige Contextlink-Geschichte:
Es geht um Geostrategie und "Einflusssphären" - um nicht zu sagen um die Weltherrschaft - zwischen China und dem "Westen", um Rohstoffmärkte, um Korruption und um die politische Zukunft der kommunistischen Staatspartei in China.
Zuerst ist es eine leider nicht speziell seltene Korruptionsgeschichte aus Afrika:
1. Ein afrikanischer Mächtiger bereichert sich:
Am 23. Juli hat Hifikepunye Pohamba, der Präsident des südwestafrikanischen Staates Namibia, seinen Armeechef Martin Shalli fristlos entlassen. Der Vorwurf: Korruption. Offenbar hat sich der General von einer staatlichen chinesischen Baufirma schmieren lassen und ihr den Auftrag für den Bau eines neuen Eisenbahnabschnitts zur sambischen Grenze zugehalten, obwohl das chinesische Angebote 3-mal teurer war, als die Offerte einer lokalen Firma, hinter der ein italienisches Konsortium steckt. Eine andere Version erzählt die deutsch-sprachige namibische Zeitung AZ : Es gehe um die Beschaffung von "Armeematerial".
Wie auch immer. So wahnsinnig spannend ist das ja noch nicht, auch wenn es ein weiterer Beleg ist für die Skrupellosigkeit - meist staatlicher - chinesischer Unternehmen bei der Eroberung neuer Märkte in Afrika und für die Anfälligkeit der Mächtigen in Afrika, sich selbst zu bereichern. Brisanter wird's, wenn man liest, dass es bei der kleinen afrikanischen Geschichte eine Verbindung in die absolute Top-Etage des chinesischen Staates gibt:
2. Die Verwicklung des Sohns des chinesischen Staatspräsidenten
Eine Woche früher, am 19. Juli, hat schon ein anderer Korruptionsfall in Namibia für Schlagzeilen gesorgt, in den ein staatliches chinesisches Konsortium verwickelt ist. Dabei ging es um den Verkauf einer grossen Menge von Scannern aus China. Chef der chinesischen Lieferfirma NUCTECH war bis vor einem Jahr der Sohn des chinesischen Staastpräsidenten Hu Jintao mit Namen Haifeng. Beim neusten Fall mit dem General und dem Armeematerial geht es jetzt offenbar unter anderem auch um solche elektronische Apparate.
Es ist zwar etwas unangenehm für Chinas Staatspräsident Hu Jintao, der übrigens letztes Jahr persönlich Namibia besucht hat, wenn sein Sohn im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika polizeilich gesucht wird wegen der Verwicklung in einen Korruptionsfall, während er selbst in China eine Kampagne zur Bekämpfung der Korruption fährt. Aber wirklich brisant wird's erst, wenn die amerikanische Nachrichten-Agentur ("Schatten-CIA") Stratfor einen Zusammenhang der Namibia-Affäre mit der Rio Tinto-Affäre in China und Australien herstellt ("Namibia, China: Curious Cases of Bribery").
Der Zusammenhang mit dem weltweiten Kampf um Rohstoffe
China ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Investoren in der ehemals deutschen Kolonie Südwestafrika, in Namibia geworden. Nicht wegen den schönen Landschaften und den Wildtieren. Namibia ist reich an Rohstoffen: Diamanten und ... Uran. Immerhin einer der begehrtesten, wertvollsten und strategisch heikelsten Rohstoffe der Welt. Die Rössing-Mine, 80 Kilometer östlich der Hauptstadt Windhoek ist die grösste Tagbau-Uran-Mine der Welt. Rund 8 Prozent des jährlich weltweit produzierten Urans stammt aus Namibia. Kontrolliert wird die Rössing-Mine vom australischen Bergbaugiganten Rio Tinto. Er hält 69 Prozent der Rössing-Aktien.
Und China und Rio Tinto sind zur Zeit in einem Clinch, der viel mit Chinas riesigem Bedarf an Rohstoffen hat und auch sehr viel mit der Neuordnung der Welt nach der Finanzkrise:
Die Rio Tinto/China-Affäre
China ist der grösste Stahlproduzent der Welt. Rund 60% des Stahlbusinesses macht die erstaunlich vielfältige chinesische Schwerindsutrie. Die Stahlproduktion ist die Schlüsselindustrie Chinas. Dumm nur, dass es in China selbst gar kein Eisenerz gibt. China ist auf Importe angewiesen und insbesondere von den Lieferungen der drei grössten Bergbaukonzerne der Welt, BH Billiton und Rio Tinto (beide Australien) und Vale (Brasilien) - (siehe die Grafik von Bloomberg.com weiter unten) abhängig, die zusammen 70 Prozent des in China verarbeiteten Eisenerzes liefern. Das Kerngeschäft der Rio Tinto ist nicht Uran, sondern Eisenerz (Iron Ore). Ihre grössten Minen betreiben sie in Australien.
Im vergangenen Jahr, als die Rohstoffpreise aufgrund der Wirtschaftskrise einbrachen, sah China seine Chance gekommen, seine Rohstoffabhängigkeit zu verkleinern. Weltweit ging China auf Schnäppchenjagd . Auch die Rio Tinto hatte Liquiditätsengpässe und einen Schuldenberg von rund 39 Milliarden US Dollar angehäuft. Das chinesische Angebot über rund 20 Milliarden US-Dollar zur Uebernahme eines grösseren Aktienanteils war verlockend. Nur ein Veto der australischen Regierung hat diesen Deal im letzten Augenblick verhindert. Am vergangenen 4. Juni hat Rio Tinto offiziell auf die chinesischen Milliarden verzichtet.
Seither sind die Chinesen stinksauer, sie fühlen sich laut der Financial Times Deutschland „gedemütigt“. Jetzt versuchen sie, Rio Tinto und Australien in einem veritablen Wirtschaftskrimi zu erpressen.
Chinas Preispoker und australische „Spionage“ in China
Am 5. Juli haben die chinesischen Behörden Stern Hu, einen australischen Staatsbürger mit chinesischen Wurzeln verhaften lassen. Er ist der oberste Repräsentant der Rio Tinto in China. Begründung: Bestechung und .... Spionage. Tatsächlich stand der Rio Tinto-Chef (Bild rechts) bei seiner Verhaftung mitten in intensiven Verhandlungen mit der China Iron & Steel Association (CISA). Die CISA hat von der chinesischen Regierung einen exklusiven Verhandlungsauftrag. Rio Tinto und die anderen Eisenerzlieferanten sollen nur mit der CISA über die Preise für den Rohstoff verhandeln.
Doch die staatlich gelenkte CISA hat die Preisverhandlungen verbockt. Amerikanische Medien stellen genüssiglich fest, dass sich die Unterhändler des chinesischen Staates reichlich tappig anstellen. Die chinesische Regierung hat sich verspekuliert. Sie glaubte, deren schwierige Marktsituation der Bergbaukonzerne nutzen und die Preise und Bedingungen diktieren zu können. Während sich andere Stahlnationen wie Japan und Korea mit den drei Grossen (Rio, BHP und Vale) schon Anfang Juni auf eine Preisreduktion von 33% geeinigt hatten, glaubte China, für die eigenen Stahlkocher eine Preissenkung um 45 – 50 Prozent durchsetzen zu können. Doch inzwischen hat der Wind des Marktes gedreht. Nicht zuletzt wegen dem Deal mit Japan und Korea ziehen die Preise für Eisenerz am Rohstoffmarkt jetzt wieder an. Die Chinesen stehen ohne Vertrag da und müssen sich zur Zeit am Spotmarkt eindecken zu Preisen, die teurer sind, als das, was die Konkurrenz in Japan und Korea bezahlen muss. Die Chinesen sind unter Zeitdruck. Obwohl sie in der Zeit der tiefen Preise riesige Mengen Eisenerz gekauft haben, reichen ihre Lager nur noch etwa zwei Monate.
Anfang Juni fanden in Shanghai deshalb neue Verhandlungen zwischen der Rio Tinto und der CISA statt. Die chinesischen Unterhändler hatten gemäss chinesischen Medienberichten ein geheimes Mandat mit einem nach unten begrenzten Spielraum. Dumm nur, dass der Mann am anderen Ende des Tisches, diese Schmerzgrenze offenbar kannte. Als die Chinesen diesen Umstand realisierten, haben sie die Verhandlungsdelegation des australischen Rohstoffmultis kurzerhand verhaftet. Der Vorwurf: Rio-Tinto-Chefunterhändler Stern Hu habe sich mit Schmiergeldzahlungen chinesische Staatsgeheimnisse angeeignet.
Die chinesische Wirtschaftszeitung „Economic Observer“ verdächtigt kleinere chinesische Stahlunternehmen, diese Information an die Australier weitergegeben zu haben: Die Verhaftung der Rio Tinto Leute sei nur die bisher „letzte Salve in der andauernden Schlacht zwischen der CISA und der Mehrheit der Chinesischen Stahlunternehmen". Damit öffnet der Economic Observer den Blick auf den inner-chinesischen Zusammenhang:
Hintergrund interner Machtkampf in China
In China ist offenbar ein Machtkampf im Gang zwischen den nach mehr Unabhängigkeit strebenden Wirtschafts-Unternehmen und dem zentralistisch-dirigistischen Staatsapparat der Kommunistischen Partei. Eine ganze Reihe wichtiger Stahlbaufirmen wehren sich gegen das Diktat der CISA. Die (relativ) unabhängigen Stahlkocher wären bereit gewesen, den höheren Preis zu bezahlen, respektive eine Reduktion um nur 33 Prozent auf Eisenerz zu akzeptieren, den auch ihre wichtigsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt bezahlen. Insbesondere die Unternehmen, die über eine eigene Importlizenz verfügen, haben unter anderem gute Geschäfte gemacht, indem sie einen Teil ihrer Importe teuer an Firmen weiterverkauften, die über keine Lizenz verfügen. Einige haben sogar Ende Juni unter Umgehung der CISA neue Verträge mit dem brasilianischen Eisenerzmulti Vale abgeschlossen.
Die chinesische Staatsführung versucht, die für den chinesischen Aufschwung zentrale Schwerindustrie weiter unter Kontrolle zu halten. Sie hat deshalb im vergangenen Januar einen Wirtschaftsplan verabschiedet, der bis 2011 die Vielzahl der chinesischen Stahlunternehmen zu grösseren Einheiten zusammenführen soll. Unter anderem sollen Firmen geschlossen werden, die nicht den strenger geworden Umweltregeln entsprechend produzieren oder unrentabel sind.
Eine der im Rahmen dieses Plans beschlossenen Firmenzusammenlegung hat diese Woche zu dem auch in der Schweiz gemeldeten Zwischenfalls in Tonghua mit Massenprotesten der Stahlarbeiter und dem Lynchmord an einem Manager geführt. Um die Gemüter etwas zu beruhigen hat die Zentralmacht im Fall von Tonghua inzwischen nachgegeben. Vorübergehend, wie Experten befürchten. China versucht damit Zeit zu gewinnen und den momentanen Druck, der aktuell wegen der Rio-Tinto-Affäre international auf China lastet, etwas abzumildern.
China krebst zurück unter Wahrung des Gesichts
China ist wegen der Rio Tinto-Affäre in den letzten Wochen international unter Druck geraten. "China sollte den Umstand beachten, dass dieser Fall Auswirkungen haben könnte auf die gesamte Internationale Wirtschaftsgemeinschaft, warnte der australische Wirtschaftsminister Stephen Smith schon Mitte Juni. "Pekings Spionage-Unterstellung schwächt das Vertrauen der Investoren", titelte die grosse australische Zeitung "The National" und die Brunei Times im neuen Wirtschaftszentrum am persischen Golf titelte: "Australien sagt, China gefährdet seinen Ruf als Business-Standort." Und das Sprachrohr der US-amerikanischen Finanzwelt, das Wall Street Journal spricht von "China's war for ore", Chinas Krieg um Eisenerz. Der Fall könnte China und der Welt einen "bleibenden Schaden" ("final casualty") verursachen: Die Erkenntnis der "überschätzen ("overblown") makroökonomischen Kompetenz, von der soviele Hoffnungen für eine wirtschaftliche Erholung abhängen". "Die Welt könnte", schreibt der ziemlich wütende WSJ-Kommentar, "ein Zeichen gut gebrauchen", dass "die chinesische Regierung weiss, was sie tut".
Während sich die westlichen Medien besorgt und verärgert geben, mockiert sich Al-Jazeera: Das Chinageschäft sei schon immer ein "Risky Business" gewesen. Die westlichen Firmen hätten aber von den nicht immer rein marktwirtschaftlichen Verhältnissen in China profitiert. Alle kennen die Spielregeln und werden sich auch in Zukunft an diese sehr speziellen Regeln zu halten haben. Al-Jazeera zitiert den Direktor der Marktforschungsfirma "Acess Asia", Matthew Crabbe: "Das viele der fremden Business-Leute in China dazu neigen zu vergessen, dass sie in einem kommunistischen Land stationiert sind, ist verständlich: Sie sind geblendet von all den hellen Lichtern und den marmorgeschmückten Gebäuden."
Tatsächlich scheint jetzt China aber zu erkennen, dass der Schaden der Affäre grösser ist, als der Nutzen. So hat sie nicht nur gegenüber den Stahlarbeitern in Tonghua nachgegeben, sondern auch im "Stahlkrieg": Wie australische Medien berichten will China die Rio Tinto Leute nur noch in Sachen Schmiergeldzahlungen anklagen. Der Vorwurf der Spionage wird fallen gelassen. Als Gegenleistung ist Australien, respektive die Rio Tinto bereit, den Chinesen beim Preis für Eisenerz doch etwas entgegen zu kommen. Im Sinne einer Gesichtswahrung.
Doch der Schaden, den China mit der Tinto Affäre angerichtet hat, dürfte nachhaltig sein. Und das füht uns zurück zur Korruptionsgeschichte in Namibia:
Zahlt China den Preis für die Rio Tinto-Affäre in Namibia?
Die zeitliche Koinzidenz zwischen der Verhaftung des Rio-Tinto-Unterhändler in Shanghai und der Verhaftung der Nuctec-Leute in Namibia und des namibischen Armeechefs kann kein Zufall sein. Stratfor formuliert es vorsichtig: "Wenn da irgendwelche Fäden gezogen werden, dann ist die Rio Tinto der Puppenspieler."
Rio Tinto hat offenbar dafür gesorgt, dass China mit der Aufdeckung der Verwicklung des Präsidentensohnes in die Korruptionsaffäre in Namibia noch mehr unter Druck gerät. Der Bergbau-Multi hat als Retourkutsche für die Verhaftung ihres Chefunterhändlers in China den Sohn des chinesischen Staatspräsidenten sozusagen in Geiselhaft genommen. Es ist schon erstaunlich, welche rustikale Methoden im Kampf um Einflusssphären und Weltmarktanteile zur Anwendung kommen.
Doch der Schaden für China dürfte über die persönliche Desavouierung und Erpressung des chinesischen Staatspräsidenten hinausgehen. Die entscheidende Frage für den internationalen Rohstoffmarkt und die Geostrategie - dem Kampf um Einflusssphären - lautet:
Warum hat sich Namibia in diesem Power-Game zwischen China und dem Westen instrumentalisieren lassen?
China ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Investoren in Namibia geworden. China hat 2007 vertraglich zugesichert, nicht nur grosse Mengen namibische Waren einzukaufen, sondern gewährt Namibia auch attraktive Kredite. Nicht zuletzt ist China auch in Namibia – genau wie in anderen afrikanischen Staaten - daran, die Infrastruktur (Strassen, Eisenbahn, Elektrizität) wieder aufzubauen. Es geht China dabei sowohl um kurzfristige Geschäfte, wie das Scanner-Beispiel zeigt, als auch um geostrategische Massnahmen: Die Ausdehnung seines „Einflussgebiets“, "die "Eroberung Afrikas".
Warum sollte Namibia, wegen vergleichsweiser Bagatellen wie die NUCTEC-Scanner-Geschichte oder der Anekdote mit dem geschmierten Armee-General die Hand beissen, die sie füttert? Namibia würde nie ein Zerwürfnis mit China riskieren, folgert Stratfor messerscharf, „ohne etwas dafür zu bekommen.“ Das können nur Geschäfte mit dem Westen sein, die noch attraktiver sind, als das, was China in den nächsten Jahren zu bieten hat. Natürlich geht es um Diamanten, vielleicht noch mehr um den Rohstoff Uran für die Nukleartechnik.
Die Affäre Rio-Tinto-China-Australien hat damit Auswirkungen auf den „Kampf um Afrika. Der Westen, wohl zuerst die USA, nutzen die chinesische Schwäche und ihre strategischen Fehler im Rohstoffbusiness, um sich eine Einflusssphäre in Afrika, die über strategisch eminent wichtige Rohstoffe verfügt, zurückzuholen, die ernsthaft gefährdet war.
... und der namibische General?
Es macht den Eindruck, dass General-Leutnant Martin Shalli nur zufällig im falschen Moment am falschen Ort war. Namibische Medien bringen Shallis Entlassung in Zusammenhang mit einer internen Auseinandersetzung, einem Machtkampf innerhalb der Staatsgründerpartei SWAPO. Progressive Kräfte nutzen die Gunst der Stunde, die Gelegenheit der Verwicklung des Generals in die chinesische Schmiergeldaffäre, um einen alten Kämpen des SWAPO loszuwerden.
Die lokalen Parteistrategen in Namibia nutzen also den aktuellen Kampf um Rohstoffmärkte und Einflussgebiet, dem Kampf der Grossmächte um die Weltvorherrschaft, um ihre lokalen, partei-internen Probleme zu lösen und ihre persönliche Macht zu vergrössern.
Was für eine wunderbare Geschichte!
Zwei kleine Meldungen der letzten Woche sind mir besonders hängen geblieben: Die eine hat es in der Schweiz zum Beispiel in die BaZ und in die NZZ geschafft: "Arbeiter in China prügeln Direktor zu Tode" titelt ungewohnt boulevardesk die Zürcher Zeitung (Printausgabe). Gar nicht in die Schweizer Medien geschafft hat es eine Meldung aus Namibia: "Armeechef Namibias wegen Korruption entlassen."
Ich weiss, so eine exotische Afrika-Meldung interessiert hier wirklich fast niemanden ausser mir, zumindest auf den ersten Blick. Erst wenn man etwas genauer hinsieht, entdeckt man, welch spannende, weltpolitisch hochrelevante Geschichte sich dahinter verbirgt ... und dass es erst noch einen Zusammenhang mit der Meldung vom Lynchmord in China gibt. Eine richtige Contextlink-Geschichte:
Es geht um Geostrategie und "Einflusssphären" - um nicht zu sagen um die Weltherrschaft - zwischen China und dem "Westen", um Rohstoffmärkte, um Korruption und um die politische Zukunft der kommunistischen Staatspartei in China.
Zuerst ist es eine leider nicht speziell seltene Korruptionsgeschichte aus Afrika:
1. Ein afrikanischer Mächtiger bereichert sich:
Am 23. Juli hat Hifikepunye Pohamba, der Präsident des südwestafrikanischen Staates Namibia, seinen Armeechef Martin Shalli fristlos entlassen. Der Vorwurf: Korruption. Offenbar hat sich der General von einer staatlichen chinesischen Baufirma schmieren lassen und ihr den Auftrag für den Bau eines neuen Eisenbahnabschnitts zur sambischen Grenze zugehalten, obwohl das chinesische Angebote 3-mal teurer war, als die Offerte einer lokalen Firma, hinter der ein italienisches Konsortium steckt. Eine andere Version erzählt die deutsch-sprachige namibische Zeitung AZ : Es gehe um die Beschaffung von "Armeematerial".
Wie auch immer. So wahnsinnig spannend ist das ja noch nicht, auch wenn es ein weiterer Beleg ist für die Skrupellosigkeit - meist staatlicher - chinesischer Unternehmen bei der Eroberung neuer Märkte in Afrika und für die Anfälligkeit der Mächtigen in Afrika, sich selbst zu bereichern. Brisanter wird's, wenn man liest, dass es bei der kleinen afrikanischen Geschichte eine Verbindung in die absolute Top-Etage des chinesischen Staates gibt:
2. Die Verwicklung des Sohns des chinesischen Staatspräsidenten
Eine Woche früher, am 19. Juli, hat schon ein anderer Korruptionsfall in Namibia für Schlagzeilen gesorgt, in den ein staatliches chinesisches Konsortium verwickelt ist. Dabei ging es um den Verkauf einer grossen Menge von Scannern aus China. Chef der chinesischen Lieferfirma NUCTECH war bis vor einem Jahr der Sohn des chinesischen Staastpräsidenten Hu Jintao mit Namen Haifeng. Beim neusten Fall mit dem General und dem Armeematerial geht es jetzt offenbar unter anderem auch um solche elektronische Apparate.
Es ist zwar etwas unangenehm für Chinas Staatspräsident Hu Jintao, der übrigens letztes Jahr persönlich Namibia besucht hat, wenn sein Sohn im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika polizeilich gesucht wird wegen der Verwicklung in einen Korruptionsfall, während er selbst in China eine Kampagne zur Bekämpfung der Korruption fährt. Aber wirklich brisant wird's erst, wenn die amerikanische Nachrichten-Agentur ("Schatten-CIA") Stratfor einen Zusammenhang der Namibia-Affäre mit der Rio Tinto-Affäre in China und Australien herstellt ("Namibia, China: Curious Cases of Bribery").
Der Zusammenhang mit dem weltweiten Kampf um Rohstoffe
China ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Investoren in der ehemals deutschen Kolonie Südwestafrika, in Namibia geworden. Nicht wegen den schönen Landschaften und den Wildtieren. Namibia ist reich an Rohstoffen: Diamanten und ... Uran. Immerhin einer der begehrtesten, wertvollsten und strategisch heikelsten Rohstoffe der Welt. Die Rössing-Mine, 80 Kilometer östlich der Hauptstadt Windhoek ist die grösste Tagbau-Uran-Mine der Welt. Rund 8 Prozent des jährlich weltweit produzierten Urans stammt aus Namibia. Kontrolliert wird die Rössing-Mine vom australischen Bergbaugiganten Rio Tinto. Er hält 69 Prozent der Rössing-Aktien.
Und China und Rio Tinto sind zur Zeit in einem Clinch, der viel mit Chinas riesigem Bedarf an Rohstoffen hat und auch sehr viel mit der Neuordnung der Welt nach der Finanzkrise:
Die Rio Tinto/China-Affäre
China ist der grösste Stahlproduzent der Welt. Rund 60% des Stahlbusinesses macht die erstaunlich vielfältige chinesische Schwerindsutrie. Die Stahlproduktion ist die Schlüsselindustrie Chinas. Dumm nur, dass es in China selbst gar kein Eisenerz gibt. China ist auf Importe angewiesen und insbesondere von den Lieferungen der drei grössten Bergbaukonzerne der Welt, BH Billiton und Rio Tinto (beide Australien) und Vale (Brasilien) - (siehe die Grafik von Bloomberg.com weiter unten) abhängig, die zusammen 70 Prozent des in China verarbeiteten Eisenerzes liefern. Das Kerngeschäft der Rio Tinto ist nicht Uran, sondern Eisenerz (Iron Ore). Ihre grössten Minen betreiben sie in Australien.
Im vergangenen Jahr, als die Rohstoffpreise aufgrund der Wirtschaftskrise einbrachen, sah China seine Chance gekommen, seine Rohstoffabhängigkeit zu verkleinern. Weltweit ging China auf Schnäppchenjagd . Auch die Rio Tinto hatte Liquiditätsengpässe und einen Schuldenberg von rund 39 Milliarden US Dollar angehäuft. Das chinesische Angebot über rund 20 Milliarden US-Dollar zur Uebernahme eines grösseren Aktienanteils war verlockend. Nur ein Veto der australischen Regierung hat diesen Deal im letzten Augenblick verhindert. Am vergangenen 4. Juni hat Rio Tinto offiziell auf die chinesischen Milliarden verzichtet.
Seither sind die Chinesen stinksauer, sie fühlen sich laut der Financial Times Deutschland „gedemütigt“. Jetzt versuchen sie, Rio Tinto und Australien in einem veritablen Wirtschaftskrimi zu erpressen.
Chinas Preispoker und australische „Spionage“ in China
Am 5. Juli haben die chinesischen Behörden Stern Hu, einen australischen Staatsbürger mit chinesischen Wurzeln verhaften lassen. Er ist der oberste Repräsentant der Rio Tinto in China. Begründung: Bestechung und .... Spionage. Tatsächlich stand der Rio Tinto-Chef (Bild rechts) bei seiner Verhaftung mitten in intensiven Verhandlungen mit der China Iron & Steel Association (CISA). Die CISA hat von der chinesischen Regierung einen exklusiven Verhandlungsauftrag. Rio Tinto und die anderen Eisenerzlieferanten sollen nur mit der CISA über die Preise für den Rohstoff verhandeln.
Doch die staatlich gelenkte CISA hat die Preisverhandlungen verbockt. Amerikanische Medien stellen genüssiglich fest, dass sich die Unterhändler des chinesischen Staates reichlich tappig anstellen. Die chinesische Regierung hat sich verspekuliert. Sie glaubte, deren schwierige Marktsituation der Bergbaukonzerne nutzen und die Preise und Bedingungen diktieren zu können. Während sich andere Stahlnationen wie Japan und Korea mit den drei Grossen (Rio, BHP und Vale) schon Anfang Juni auf eine Preisreduktion von 33% geeinigt hatten, glaubte China, für die eigenen Stahlkocher eine Preissenkung um 45 – 50 Prozent durchsetzen zu können. Doch inzwischen hat der Wind des Marktes gedreht. Nicht zuletzt wegen dem Deal mit Japan und Korea ziehen die Preise für Eisenerz am Rohstoffmarkt jetzt wieder an. Die Chinesen stehen ohne Vertrag da und müssen sich zur Zeit am Spotmarkt eindecken zu Preisen, die teurer sind, als das, was die Konkurrenz in Japan und Korea bezahlen muss. Die Chinesen sind unter Zeitdruck. Obwohl sie in der Zeit der tiefen Preise riesige Mengen Eisenerz gekauft haben, reichen ihre Lager nur noch etwa zwei Monate.
Anfang Juni fanden in Shanghai deshalb neue Verhandlungen zwischen der Rio Tinto und der CISA statt. Die chinesischen Unterhändler hatten gemäss chinesischen Medienberichten ein geheimes Mandat mit einem nach unten begrenzten Spielraum. Dumm nur, dass der Mann am anderen Ende des Tisches, diese Schmerzgrenze offenbar kannte. Als die Chinesen diesen Umstand realisierten, haben sie die Verhandlungsdelegation des australischen Rohstoffmultis kurzerhand verhaftet. Der Vorwurf: Rio-Tinto-Chefunterhändler Stern Hu habe sich mit Schmiergeldzahlungen chinesische Staatsgeheimnisse angeeignet.
Die chinesische Wirtschaftszeitung „Economic Observer“ verdächtigt kleinere chinesische Stahlunternehmen, diese Information an die Australier weitergegeben zu haben: Die Verhaftung der Rio Tinto Leute sei nur die bisher „letzte Salve in der andauernden Schlacht zwischen der CISA und der Mehrheit der Chinesischen Stahlunternehmen". Damit öffnet der Economic Observer den Blick auf den inner-chinesischen Zusammenhang:
Hintergrund interner Machtkampf in China
In China ist offenbar ein Machtkampf im Gang zwischen den nach mehr Unabhängigkeit strebenden Wirtschafts-Unternehmen und dem zentralistisch-dirigistischen Staatsapparat der Kommunistischen Partei. Eine ganze Reihe wichtiger Stahlbaufirmen wehren sich gegen das Diktat der CISA. Die (relativ) unabhängigen Stahlkocher wären bereit gewesen, den höheren Preis zu bezahlen, respektive eine Reduktion um nur 33 Prozent auf Eisenerz zu akzeptieren, den auch ihre wichtigsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt bezahlen. Insbesondere die Unternehmen, die über eine eigene Importlizenz verfügen, haben unter anderem gute Geschäfte gemacht, indem sie einen Teil ihrer Importe teuer an Firmen weiterverkauften, die über keine Lizenz verfügen. Einige haben sogar Ende Juni unter Umgehung der CISA neue Verträge mit dem brasilianischen Eisenerzmulti Vale abgeschlossen.
Die chinesische Staatsführung versucht, die für den chinesischen Aufschwung zentrale Schwerindustrie weiter unter Kontrolle zu halten. Sie hat deshalb im vergangenen Januar einen Wirtschaftsplan verabschiedet, der bis 2011 die Vielzahl der chinesischen Stahlunternehmen zu grösseren Einheiten zusammenführen soll. Unter anderem sollen Firmen geschlossen werden, die nicht den strenger geworden Umweltregeln entsprechend produzieren oder unrentabel sind.
Eine der im Rahmen dieses Plans beschlossenen Firmenzusammenlegung hat diese Woche zu dem auch in der Schweiz gemeldeten Zwischenfalls in Tonghua mit Massenprotesten der Stahlarbeiter und dem Lynchmord an einem Manager geführt. Um die Gemüter etwas zu beruhigen hat die Zentralmacht im Fall von Tonghua inzwischen nachgegeben. Vorübergehend, wie Experten befürchten. China versucht damit Zeit zu gewinnen und den momentanen Druck, der aktuell wegen der Rio-Tinto-Affäre international auf China lastet, etwas abzumildern.
China krebst zurück unter Wahrung des Gesichts
China ist wegen der Rio Tinto-Affäre in den letzten Wochen international unter Druck geraten. "China sollte den Umstand beachten, dass dieser Fall Auswirkungen haben könnte auf die gesamte Internationale Wirtschaftsgemeinschaft, warnte der australische Wirtschaftsminister Stephen Smith schon Mitte Juni. "Pekings Spionage-Unterstellung schwächt das Vertrauen der Investoren", titelte die grosse australische Zeitung "The National" und die Brunei Times im neuen Wirtschaftszentrum am persischen Golf titelte: "Australien sagt, China gefährdet seinen Ruf als Business-Standort." Und das Sprachrohr der US-amerikanischen Finanzwelt, das Wall Street Journal spricht von "China's war for ore", Chinas Krieg um Eisenerz. Der Fall könnte China und der Welt einen "bleibenden Schaden" ("final casualty") verursachen: Die Erkenntnis der "überschätzen ("overblown") makroökonomischen Kompetenz, von der soviele Hoffnungen für eine wirtschaftliche Erholung abhängen". "Die Welt könnte", schreibt der ziemlich wütende WSJ-Kommentar, "ein Zeichen gut gebrauchen", dass "die chinesische Regierung weiss, was sie tut".
Während sich die westlichen Medien besorgt und verärgert geben, mockiert sich Al-Jazeera: Das Chinageschäft sei schon immer ein "Risky Business" gewesen. Die westlichen Firmen hätten aber von den nicht immer rein marktwirtschaftlichen Verhältnissen in China profitiert. Alle kennen die Spielregeln und werden sich auch in Zukunft an diese sehr speziellen Regeln zu halten haben. Al-Jazeera zitiert den Direktor der Marktforschungsfirma "Acess Asia", Matthew Crabbe: "Das viele der fremden Business-Leute in China dazu neigen zu vergessen, dass sie in einem kommunistischen Land stationiert sind, ist verständlich: Sie sind geblendet von all den hellen Lichtern und den marmorgeschmückten Gebäuden."
Tatsächlich scheint jetzt China aber zu erkennen, dass der Schaden der Affäre grösser ist, als der Nutzen. So hat sie nicht nur gegenüber den Stahlarbeitern in Tonghua nachgegeben, sondern auch im "Stahlkrieg": Wie australische Medien berichten will China die Rio Tinto Leute nur noch in Sachen Schmiergeldzahlungen anklagen. Der Vorwurf der Spionage wird fallen gelassen. Als Gegenleistung ist Australien, respektive die Rio Tinto bereit, den Chinesen beim Preis für Eisenerz doch etwas entgegen zu kommen. Im Sinne einer Gesichtswahrung.
Doch der Schaden, den China mit der Tinto Affäre angerichtet hat, dürfte nachhaltig sein. Und das füht uns zurück zur Korruptionsgeschichte in Namibia:
Zahlt China den Preis für die Rio Tinto-Affäre in Namibia?
Die zeitliche Koinzidenz zwischen der Verhaftung des Rio-Tinto-Unterhändler in Shanghai und der Verhaftung der Nuctec-Leute in Namibia und des namibischen Armeechefs kann kein Zufall sein. Stratfor formuliert es vorsichtig: "Wenn da irgendwelche Fäden gezogen werden, dann ist die Rio Tinto der Puppenspieler."
Rio Tinto hat offenbar dafür gesorgt, dass China mit der Aufdeckung der Verwicklung des Präsidentensohnes in die Korruptionsaffäre in Namibia noch mehr unter Druck gerät. Der Bergbau-Multi hat als Retourkutsche für die Verhaftung ihres Chefunterhändlers in China den Sohn des chinesischen Staatspräsidenten sozusagen in Geiselhaft genommen. Es ist schon erstaunlich, welche rustikale Methoden im Kampf um Einflusssphären und Weltmarktanteile zur Anwendung kommen.
Doch der Schaden für China dürfte über die persönliche Desavouierung und Erpressung des chinesischen Staatspräsidenten hinausgehen. Die entscheidende Frage für den internationalen Rohstoffmarkt und die Geostrategie - dem Kampf um Einflusssphären - lautet:
Warum hat sich Namibia in diesem Power-Game zwischen China und dem Westen instrumentalisieren lassen?
China ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Investoren in Namibia geworden. China hat 2007 vertraglich zugesichert, nicht nur grosse Mengen namibische Waren einzukaufen, sondern gewährt Namibia auch attraktive Kredite. Nicht zuletzt ist China auch in Namibia – genau wie in anderen afrikanischen Staaten - daran, die Infrastruktur (Strassen, Eisenbahn, Elektrizität) wieder aufzubauen. Es geht China dabei sowohl um kurzfristige Geschäfte, wie das Scanner-Beispiel zeigt, als auch um geostrategische Massnahmen: Die Ausdehnung seines „Einflussgebiets“, "die "Eroberung Afrikas".
Warum sollte Namibia, wegen vergleichsweiser Bagatellen wie die NUCTEC-Scanner-Geschichte oder der Anekdote mit dem geschmierten Armee-General die Hand beissen, die sie füttert? Namibia würde nie ein Zerwürfnis mit China riskieren, folgert Stratfor messerscharf, „ohne etwas dafür zu bekommen.“ Das können nur Geschäfte mit dem Westen sein, die noch attraktiver sind, als das, was China in den nächsten Jahren zu bieten hat. Natürlich geht es um Diamanten, vielleicht noch mehr um den Rohstoff Uran für die Nukleartechnik.
Die Affäre Rio-Tinto-China-Australien hat damit Auswirkungen auf den „Kampf um Afrika. Der Westen, wohl zuerst die USA, nutzen die chinesische Schwäche und ihre strategischen Fehler im Rohstoffbusiness, um sich eine Einflusssphäre in Afrika, die über strategisch eminent wichtige Rohstoffe verfügt, zurückzuholen, die ernsthaft gefährdet war.
... und der namibische General?
Es macht den Eindruck, dass General-Leutnant Martin Shalli nur zufällig im falschen Moment am falschen Ort war. Namibische Medien bringen Shallis Entlassung in Zusammenhang mit einer internen Auseinandersetzung, einem Machtkampf innerhalb der Staatsgründerpartei SWAPO. Progressive Kräfte nutzen die Gunst der Stunde, die Gelegenheit der Verwicklung des Generals in die chinesische Schmiergeldaffäre, um einen alten Kämpen des SWAPO loszuwerden.
Die lokalen Parteistrategen in Namibia nutzen also den aktuellen Kampf um Rohstoffmärkte und Einflussgebiet, dem Kampf der Grossmächte um die Weltvorherrschaft, um ihre lokalen, partei-internen Probleme zu lösen und ihre persönliche Macht zu vergrössern.
Was für eine wunderbare Geschichte!
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