Grafik: behzadbashu.com
Neue Sanktionen gegen den Iran scheinen angesichts des anhaltenden Widerstands der Veto-Mächte China und Russland im UN-Sicherheitsrat immer unwahrscheinlicher.
Es deutet einiges daraufhin, dass die Welt zur Zeit die letzten Zuckungen der veralteten und gescheiterten Nahostpolitik der Westmächte erlebt. Die USA stehen womöglich vor einer fundamentalen Kehrtwende, die angesichts der neuen Machtverhältnisse in der neuen Weltordnung ihren Einfluss im Nahen Osten sichern soll: Ein Deal MIT dem Iran. Unfreiwillig soll dabei die Türkei eine Schlüsselrolle spielen.
Noch trommeln die USA zur Zeit für neue, harte Sanktionen des UN-Sicherheitsrats gegen den Iran. Sie machen Druck auf nicht-willige Partner und sie haben die publizistische Propaganda-Maschine in den Medien in Gang gesetzt. Nocheinmal gilt es, glaubhaft zu machen, dass Iran nicht nur kurz vor dem Bau einer Atombombe steht, sondern auch willig ist, diese aggressiv einzusetzen. Zu dieser Propaganda gehört z.B. der grosse Artikel in der renommierten Zeitschrift "Foreign Affairs": "After Iran Gets the Bomb" und ein Artikel derselben Autoren in der Washinton Post.
Doch gleichzeitig erscheinen in anderen renommierten US-Medien (Stratfor, Foreign Policy) Berichte, die darauf hindeuten, dass der Wind in Sachen Iran am Drehen ist: Die USA sind offenbar bereit zu akzeptieren, dass der Iran in absehbarer Frist über die Möglichkeit verfügt, eine Atombombe zu bauen.
In seinem "Foreign Policy"-Beitrag "How not to contain Iran" bezeichnet Harvard-Professor Steven M. Walt den Foreign Affairs-Artikel als "Wolf im Schafspelz", sprich, der Artikel bereite eigentlich das Feld für die neue Politik der Akzeptanz der US für die iranische Atombombe vor und verberge dies bloss (noch) hinter einer aggressiven Rhetorik.
Noch Aufsehen erregender ist ein Artikel der den US-Militär- und Geheimdienstkreisen nahestehenden Analyse-Agentur "Stratfor": "Nachdenken über das Undenkbare: Ein US-iranischer Deal", statt mit aller Gewalt eine iranische Atombombe zu verhindern, könne die USA auch versuchen, "die iranische Frage neu zu definieren."
Das ist ein ziemlicher Hammer. Stratfor ist nicht irgendein (linker) Thinktank, sondern steht bekanntermassen den US-Militär- und Geheimdienstkreisen nahe. Das öffentliche Nachdenken von Stratfor über eine radikale Kehrtwende der US-Politik im Nahen Osten kann kein Zufall sein.
Es deutet einiges darauf hin, dass das aktuelle Säbelrasseln rund um die UN-Sanktion ein Rückzugsgefecht der USA ist, um das Gesicht zu wahren. Einerseits gegenüber Israel und der immer noch starken Israel-Lobby in den USA, aber auch generell gegenüber der Öffentlichkeit. Eine solch fundamentale politische Kehrtwende droht nicht nur die traditionellen Partner, sondern auch die Bevölkerung der westlichen Welt zu überfordern. Immerhin war die Stigmatisierung des Irans als Bedrohung eine der grossen Konstanten, wenn nicht die Basis der Nahostpolitik der letzten fünf US-amerikanischen Präsidenten (siehe: Washington Monthly: The Grand Bargain".)
Der Iran als Partner statt als Feindbild: Tatsächlich eröffnet diese neue Position völlig neue und vielversprechende Perspektiven für den Nahen Osten und den Weltfrieden. Da ist es egal, dass diese Politik wohl aus der Not geboren ist, nicht nur weil die USA den Iran im Irak brauchen, sondern auch aufgrund der geopolitischen Veränderungen mit der aktiven Rolle Chinas in der Region.
Professor Walt listet in seinem Foreign Policy- Artikel "How not to Contain Iran" acht Gründe auf, warum Iran auch MIT Atombombe bei weitem nicht so gefährlich ist, wie bisher vom Westen behauptet: Iran sei nicht nur militärisch zu schwach, um die Bombe zu mehr als Abschreckungszwecken zu benutzen, der Schiitische Islam sei keine wirkliche Bedrohung für die anderen (sunnitischen) arabischen Staaten in Nahost und auch eine Weitergabe von Nuklearwaffen an islamische Terroristen hält er für unwahrschenlich.
Verlierer einer solchen Kehrtwende der USA in Nahost wären Israel und Saudiarabien - und vielleicht auch US-Präsident Barack Obama, wenn er überhaupt den Mut aufbringt, diese Kehrtwende zu wagen. Innenpolitisch ist die Israel-Lobby noch immer sehr einflussreich und ein Deal mit dem Iran könnte Obama in de USA leicht als neues Zeichen der Schwäche angekreidet werden. Auch Stratfor bezeichnet ein solches "Manöver" Obamas als "speziell schwierig", aber sicherheits- und realpolitisch ist für Stratfor der Fall klar: Die USA sind nicht bereit, für Israel einen militärisch sehr schwierigen Krieg gegen den Iran zu führen, der nicht in seinem geostrategischen Interesse liegt. "Israel can no more drive American strategy than can Saudi Arabia." Der Iran ist heute schlicht wichtiger als Israel und Saudiarabien.
Ein US-iranischer Deal wäre aber nicht nur ein grosser "Schock" für Israel und Saudiarabien, sondern für die ganze die Welt. Nüchtern hält Stratfor dagegen, es sei auch ein Schock gewesen als Präsident Roosevelt im 2. Weltkireg einen Deal mit Stalins Russland geschlossen habe und später Präsident Nixon mit Mao's China. Es geht um pragmatische Politik, um die Wahrung der eigenen (US-)Interessen:
Und gemäss Stratfor haben der Iran und die USA starke gemeinsame Interessen in der Region Vorderasien. Insbesondere:
1. Beide Mächte haben ernsthafte Streitpunkte (quarrells) mit dem sunnitischen Islam.
2. Beide Mächte sähen gerne eine Reduktion der US-Truppen in der Region und
3. Beide Länder haben ein Interesse an der Sicherung des Ölflusses (im PersiSchen Golf).
Stratfor denkt immer in militärischen-geostrategischen Kategorien: "Der Irak, nicht die Atomwaffen, sind das fundamentale Thema zwischen dem Iran und den USA." Voraussetzung für die Stabilität der Region war und ist für die westlichen Militärstrategen eine Machtbalance zwischen dem Irak und dem Iran.
Die USA planen, ihre Truppen diesen Sommer aus dem Irak abzuziehen. Dagegen wehren sich - immer offener - die US-Militärs und einflussreiche US-Publizisten. Stratfor-Chef George Friedman fürchtet, der Iran werde das entstehende Vakuum füllen und zur einseitig dominierenden Macht am Golf werden. Die US-Militärs wollen zwar auch sobald wie möglich raus aus dem Irak - nicht zuletzt wegen Afghanistan-, aber erst, wenn ein "Gegengewicht zum Iran" gefunden ist. Und dieses Gegengewicht heisst ---- TÜRKEI.
Ein Deal mit dem Iran, so das schon fast hinterhältige Kalkül der Stratfor-Experten, würde automatisch die Türken auf den Plan rufen. Es würde die Türken zwar "verärgern ('infuriate'), weil sie gezwungen wären, schneller (im Irak) aktiv zu werden", schreibt Stratfor, aber "es würde den Interessen der USA dienen." "Sie (die Türken) würden dadurch zum Gegengewicht des Iran im Irak." Die Türken als (unfreiwiliger) Statthalter der USA in Nahost.
Alles nur Sandkastenspiele oder bald Realität? Ein entscheidender Punkt wäre schon noch zu klären: Sind die Chinesen einverstanden (und die Russen)? Die USA (und der Westen) haben heute nicht mehr die Macht, zentrale geostrategische Veränderungen durchzuziehen, die nicht auch im Sinne Chinas (und des Ostens) sind. Aber eben, vielleicht ist ja die mögliche Kehrtwende der USA auch eine Folge der veränderten Machtverhältnisse dieser Welt.
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