Samstag, 26. Februar 2011

Wir westasiatischen Nabelschauer


Karten sind auch Ausdruck unserer Weltsicht. Unserer Sicht auf die Welt. Karten sind nicht neutral. Sie erzählen viel über diejenigen, die sie zeichnen, respektive zeichnen lassen. Sie sind nicht zuletzt auch politisch und suggestiv - wie die Karten zu den Ereignissen in der arabischen Welt, die zur Zeit in den meisten Medien bei uns zu sehen sind. Das Beispiel oben, stammt aus dem  Spiegel-Dossier "Aufruhr in der arabischen Welt", aber auch in den Schweizer Medien findet man dieselbe Darstellung:
Der arabisch-nordafrikanische Raum ist isoliert dargstellt. Eine Beziehung zu uns, zu Europa, gleich auf der anderen Seite des Mittelmeers, wird ausgeblendet. Die Karte entspricht perfekt unserer Haltung: Die "Revolution" in der arabischen Welt hat nichts mit uns zu tun. Oder gar: Das geht uns nichts an.

Ein realistischerer, weniger beschönigender Kartenausschnitt würde eine andere Botschaft senden: Hey, das passiert vor unserer Haustür. Das geht uns etwas an. Und vor allem: Wir müssen uns darum kümmern!

Doch es geht uns wie Vogel Strauss: Alles Kopf-in-den Sand-Stecken hilft nichts: Den Auswirkungen der aktuellen Entwicklung am Nord- und Ost-Rand des Mare Nostrums ("unseres Meers" wie die Römer das Mittelmeer nannten), können wir uns nicht entziehen: Migranten und steigende Ölpreise.

Europa = Westasien

Überhaupt es ist schon erstaunlich wie sehr wir Europäer trotz aller Globalisierung noch immer in einer eigentlichen Nabelschau verharren. Treten wir kartenmässig noch etwas weiter zurück, dann wird uns bewusst, wo wir sind in dieser Welt, wo wir uns geographisch einordnen müssen, wo wir dazugehören oder wo wir notfalls auf die Länge auch politisch eingeordnet werden:

Eigentlich sind wir Westasiaten. Wir leben am äussersten Ende des Kontinents, der Eurasien genannt wird. Wobei das "Eur-" schon fast zuviel der Ehre ist, denn dieses Europa ist tatsächlich nur eine kleine, arg zerklüftete Region am westlichen Ende Asiens. Europa als eigener Kontinent ist eine Erfindung der alten Griechen und Ausdruck ihrer (beschränkten) Weltsicht. Tektonisch-geologisch leben wir auf der eurasischen Platte. In den Schulbüchern in Japan oder Südamerika zum Beispiel gibt es keinen Kontinent Europa, sondern eben nur "Eurasien".

Für eine relativ kurze Zeitspanne war Europa tatsächlich politisch und wirtschaftlich der Nabel der Welt. Doch jetzt verschiebt sich der Schwerpunkt wieder Richtung Osten. Der politisch aktuelle Blick auf die Welt(-karte) sieht so aus, wie in der Darstellung unten. Europa ist eine Randregion:
Diese - unsere - Randlage ist kein Grund für irgendwelche Komplexe. Auch am Rand lässt es sich gut leben. Es wäre aber gesund, sich richtig einzuordnen. Und alle Profilneurotiker könnten ja künftig sagen: Wir sind Asiaten, Bewohner des Kontinents der seit ewigen Zeiten das Sagen hat. Okay, wie sind ganz ursprünglich alle Afrikaner, aber seit sich die ersten Menschen im Raum des "Fruchtbaren Halbmonds" (im Nahen Osten, in der "arabischen Welt) sesshaft gemacht haben, geben wir Asiaten auf dieser Erde den Ton an.

Weniger neurotisch, aber dringlich und realitsicher wäre es, sich richtig einzuordnen und entsprechend nachhaltig zu gebährden: Kümmern wir uns um unsere unmittelbaren Nachbarn rund um "unser" Mittelmeer. Nicht eine Politik zwischen "Geht-uns-nichts-an" und militärischer Abschottung ist das Gebot der Stunde, sondern ein «Marshall-Plan für Demokratisierung und Modernisierung im Mittelmeerraum», wie ihn Martin Woker in der NZZ heute fordert, mit dem Ziel, unsere Zukunft am Rande der neuen Welt zu sichern. Dies geht nur in friedlicher Zusammenarbeit mit unseren unmittelbaren Nachbarn in einem starken Binnenmarkt rund um das Mittelmeeer.

2 Kommentare:

Titus hat gesagt…

Als Westasiate ;-) ist mir auch aufgefallen, wie einige auch von der "islamischen Welt" sprechen - und auch Du hast Dich "vernebeln" lassen und hast diesen Artikel mit dem Tag "Islam" versehen.

Um Religion geht es hier aber gar nicht, weshalb ich diesen überordnenden Begriff falsch finde. Im arabischen Raum kommt man wohl auch nicht auf die Idee, vom "christlichen Raum" zu sprechen, wenn Europa oder die USA gemeint sind. Oder irre ich mich vielleicht?

Andrea Müller hat gesagt…

Natürlich hast Du Recht, Titus.