Donnerstag, 10. Juli 2008

Mare Nostrum

"Mare Nostrum"
"Mare Nostrum" nannten die Römer das Mittelmeer. In der Spätantike war das Mare Nostrum auch gleichbedeutend mit dem Erdkreis, schlicht die bekannte oder zumindest die relevante Welt. Und mit dem Zusatz "nostrum", "unser", wurde gleichzeitig den Besitz- und Machtanspruch Roms auf diese Welt umschrieben.

In Anlehnung an das "Mare Nostrum" der Römer titelt die "Zeit" in ihrer aktuellen Ausgabe "Unser Mittelmeer". Die aktuelle Verbindung ist so brisant wie intelligent: Es geht um die "Allianz für das Mittelmeer", mit welcher der französische Staatspräsident Sarkozy seit einiger Zeit kokettiert. Doch der kleine Mann mit dem grossen Geltungsdrang kokettiert nicht nur: Er hat als neuer Ratspräsident der EU auch die Macht, Nägel mit Köpfen zu machen.


Sarkozy's Ansatz "Unser Mittelmeer"

Sonntag/Montag zelebriert Sarkozy den Beginn „seines“ Jahres als höchster Europäer mit einem "Mittelmeergipfel". Und nach einigem zögernden Nasenrümpfen sind am Sonntag schliesslich praktisch alle wichtigen Machthaber des modernen Europa, zahlreiche Staatschefs der nordafrikanischen und nahöstlichen Anrainerstaaten und UNO-Generalsekretär Ban Ki Monn nach Paris angereist und haben dem "kleinen Napoleon" die Ehre erwiesen. Nicht zuletzt auch, weil diese "Union für das Mittelmeer" vielleicht der spannendste Zukunftsansatz und ein Ausweg aus der aussenpolitischen Ratlosigkeit des modernen Europas mit grossem Potential darstellt.
Es ist die Wiederausrichtung Europas auf seinen alten Kulturraum, den "Erdkreis" der (europäischen) Antike.
Logisch, dass zuerst die Briten (und die Deutschen) etwas irritiert auf Sarkozy’s Mittelmeer-Offensive reagieren. Sie fühlen sich als nicht-Mittelmeeranrainer ausgeschlossen und, vorallem, würde eine neu-alte Ausrichtung Europas Richtung Süden eine Relativierung der aktuell dominierenden, einseitig anglophonen, transatlantischen Ausrichtung Europas bedeuten. Bei allen reichlich pikierten Kommentaren der deutschen Medien am Wochenende, hat doch auch das Nachdenken, das Suchen nach einer Chance dieser Politik und das Rückbesinnen auf deren Tradition begonnen. So sub-titelt die Süddeutsche Zeitung am Wochenende „Europa war immer eine mittelmeerische Zivilisation“ und spricht vom Mittelmeer als „europäischer Kernraum“.

Eigenständige (Amerika-unabhängige) Politik

Auch Mittelmeer-ferne Analytiker erkennen, dass in dieser Südausrichtung grosse Attraktionen und Chance liegt: Eine Befreiung Europas von der Abhängigkeit von der US-amerikanischen Politik und mehr Spielraum für eine eigenständige Politik nicht zuletzt im östlichen Mittelmeer. Schmerzlich mussten die Europäer in den letzten Jahren erfahren, wie sie immer gezwungen wurden, die rücksichtslose, aggressive Politik der USA im Nahen Osten mit zugehen und gar mitzutragen (u.a. Irak-Kriege), obwohl diese stets einseitig nur die Wirtschaftsinteressen der USA (Oel) und die politischen Interessen einer der wichtigsten Lobbies in den USA, der Juden, wahrgenommen hat.
Eine vermehrte Ausrichtung Europas Richtung Süden könnte Spielraum für eine Strategie schaffen, welche wirklich den Interessen Europas entspricht. Sie bietet die Chance, eigene Lösungen mit den unmittelbaren Nachbarn zu finden:
Im Kleinen zum Beispiel eine Lösung des Palästina-Konfliktes, welcher das Klima der Beziehungen zum wirtschaftlich so wichtigen Nachbarn am Ostende des Mittelmeers mit seinen gerade für Europa so wichtigen Rohstoffquellen jahrzehntelang vergiftet hat. Eine Lösung des Palästinakonflikts ist die Voraussetzung für eine Normalisierung unseres Verhältnisses mit der ganzen islamischen Welt, welche die USA zum Schaden des gesamten globalisierten Erdkreises zum neuen Feindbild der "zivilisierten Welt" empor stilisiert hat.



Vision "Der Nahe Osten als Partner Europas"

Noch kaum angedacht oder gar angesprochen erscheint mit Sarkozy's Intitiative eine Vision am orientalischen Horizont Europas: Die islamische Welt nicht als feindliche Bedrohung, sondern als Partner Europas bei Neuordnung des globalisierten Erdkreises.
Was Vielen auf den ersten Blick undenkbar erscheint, ist auf den zweiten Blick nicht nur physisch-geographisch naheliegend, sondern eigentlich vertraut, weil nichts Neues:

Unsere gemeinsame Geschichte
Unsere eurozentrische Geschichte, die wir alle in der Schule vermittelt bekommen haben, erzählt den antiken Erdkreis als "Wiege unserer Kultur". Mittelpunkt dieser, unserer Geschichte ist nicht das heutige Europa im Norden und Westen des Mittelmeers, sondern der Osten.

Der "Fruchtbare Halbmond" im heutigen Anatolien, wo wir uns erstmals sesshaft machten, die ersten städtischen "Hochkulturen" an Euphrat und Tigris, das alte Aegypten, die alten Griechen, deren Blickrichtung fast ausschliesslich nach Osten gerichtet war, wo ihr wichtigster Partner und Konkurrent die Perser: Das ist unsere Geschichte.

Hier, am östlicher Ende des Mittelmeers entstanden auch die Religionen, deren Werte heute die globalisierte Welt beherrschen: Das Christentum und vermehrt der Islam, die beide aus dem selben Kulturgut stammen.

Jesus war genauso ein "Araber" wie Mohammed.

Import der europäischen Kultur aus dem "Orient"
Es waren die arabischen Kulturzentren in Damaskus und Baghdad, welche "unsere" Kultur der Antike nach dem End der Römerzeit bewahrten und weiterentwickelten. Die germanischen Barbaren im Westen und Norden Europas hatte keine Ahnung von Aristoteles. Erst die muslimische Eroberung Nordafrikas und Spaniens brachte die Kultur der alten Griechen, angereichert mit dem Wissen des Orients zurück nach Europa und ermöglichte die "Renaissance" der Antike, inkl. die Kenntnisse ihrer Wissenschaft, Medizin, Mathematik,Philosophie etc..

Der Buchtipp dazu: Ilija Trojanow's "Kampfabsage". Der Titel ist natürlich ganz bewusst als Antithese zu Huntingtons "Kampf der Kulturen" gewählt.
Trojanow übernimmt die Theorie vom "Ineinanderfliessen der Kulturen": Die Berührungspunkte, die Ueberlappungen, der Austausch der Kulturen bilden traditionell der Nährboden für neue Entwicklungen und „Fortschritte“ ist. Die Abgrenzung gegen aussen und eine einseitige Identifikation nach innen, wie in den verschiedenen Formen des Nationalismus praktiziert wird, braucht Feindbilder und widerspricht langfristigen marktwirtschaftlichen Interessen.


Perspektiven:
Eine Partnerschaft Europas mit dem südlichen und östlichen Mittelmeerraum bietet jede Menge spannender Perspektiven. Nicht nur wirtschaftlich mit der Erschliessung und Entwicklung eines attraktiven Marktes. Ansätze einer fruchtbaren Mittelmeerpolitik Europas gibt es bereits, nicht nur mit dem von den deutschen und britischen Medien verniedlichten "Barcelona-Prozess" der EU. Auch ganz praktisch z.B. in der Klima und Energiepolitik (u.a. Solarpolitik).

Nicht zuletzt bietet eine friedliche Partnerschaft ein dringend notwendige sicherheitspolitische Perspektive. Nötig ist schon in Paris ein kurzfristiges Signal: Es kann nicht im Interesse Europas sein, erneut in einen amerikanischen Krieg im Nahen Osten verwickelt zu werden: in einen Krieg gegen den Iran. Dieser Krieg wäre nicht nur eine globale Katastrophe, sondern auch das sofortige Ende aller vorsichtigen Initiativen für eine neue Politik Europas rund um "unser Mittelmeer.

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