Donnerstag, 21. Mai 2009

Al-Qaida: Unfähig zum globalen Jihad

"Al-Qaida befindet sich in einem Prozess der Selbstauflösung." "Die ursprüngliche Bedrohung (eines globalen Jihads; AM) der al-Qaida schwindet." "Fazit: Al-Qaida ist eher eine Sicherheitsbeeinträchtigung ("nuisance": auch im Sinne von "lästiges Aergernis") als eine strategische Bedrohung."

Das sind Schlüsselsätze aus dem Artikel "Al-Qaida today: A movement at the crossroad" auf dem Portal "OpenDemocracy" von Fawaz A Gerges, Dozent an der Sarah Lawrence Universität in New York und Autor verschiedener Bücher über islamischen Extremismus (zuletzt: "Journey of the Jihadist: Inside Muslim Militancy." Harcourt Press, 2006)

Gerges (Bild links) ist überzeugt, "nur ein Wunder kann den globalen Jihad wiederbeleben". Die Frage sei, ob Amerikas "Langer Krieg" (gegen den Terror; AM) Umstände schaffe, welche ein solches Wunder möglich mache. "Z.B. ein destabilisiertes Pakistan oder eine Eskalation der arabisch-israelischen Feindseligkeiten."

Gerges widerspricht damit fundamental der Analyse des US-Geheimdienstes CIA, welche auch die neue Afghanistan-Pakistan-Politik der US-Regierung ist. CIA-Direktor Leon Panetta (Bild rechts) wiederholt in einem Interview auf "Welt Online" genau dieselben Worte, die Präsident Obama bei der Vorstellung seiner neuen Af-Pak-Strategie gebraucht hat: Al-Qaida bleibt die größte Gefahr für Amerika und seine Alliierten. ... Das primäre Ziel der CIA ist deshalb, al-Qaida zu zerschlagen, aufzulösen und zu besiegen."

Fawaz Gerges untermauert seine These der Schwäche der Al-Qaida mit starken Argumenten:

Islamische Bevölkerung gegen al-Qaida
Internationale Umfrage-Agenturen haben in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Befragungen zur Einstellung der Bevölkerung in der islamischen Welt gegenüber al-Qaida gemacht (Details siehe Artikel in OpenDemocracy), welche Gerges zusammenfasst:
"Einer überwältigenden Mehrheit der Muslime ist die Ideologie Osama Bin Ladens und seiner Gefolgsleute mehr als unsympathisch." Die al-Qaida sei Schuld an der schweren "Beschädigung des Images des Islams und der muslimischen Gesellschaften."
Alle diese Umfragen in der islamischen Welt von Arabien bis Indonesien zeige einen "neuen globalen Trend", der "Bände" (volumes) spreche, "über die moralische Diskreditierung der al-Qaida in den Augen der Muslime und über das generelle Scheitern des globalen Jihads."

Al-Qaida haben praktisch keinen Rückhalt mehr in der muslimischen Bevölkerung ausserhalb Europas. Insbesondere die "grausamen Attacken auf Zivilisten, speziell in muslimischen Ländern" hat al-Qaida gemäss Gerges "an den Rand der islamischen Gesellschaft relegiert, mit nur noch wenigen Verbündeten und unsicheren Rückzugsgebieten."
Dieser Verlust des Rückhalts in der muslimischen Bevölkerung habe "direkte Konsequenzen auf den Einflussbereich und die operativen Fähigkeiten der al-Qaida".

Nicht der "Krieg gegen den Terror" der alliierten Militär- und Polizeikräfte, sondern dieser neue "Mainstream der öffentlichen Meinung der Muslime wird sich als stärkste Waffe im Kampf gegen die al-Qaida und andere Terrorgruppen erweisen", schreibt Gerges.

Gefahr von Terror-Anschlägen bleibt
Die "Schwächung der al-Qaida" bedeutet aber gemäss Fawaz Gerges nicht , "dass sie nicht mehr gefährlich ist." "Terroranschläge durchgeführt durch einzelnen Zellen werden das nächste Jahrzehnt weitergehen." Diese "Realität", so schlimm sie sei -und diese Realität wird eben mit der "Vereitelung" eiens Anschlags in New York belegt -, dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die al-Qaida keine grundsätzliche strategische Bedrohung der westliche Welt mehr darstelle.
Al-Qaida verfügt gemäss den Recherchen und zahlreichen persönlichen Kontakten Gerges' mit ehemaligen al-Qaida-Leuten nach wie vor über eine gewisse Unterstützung in Zellen in Europa, "insbesondere bei jungen Muslimen, welche speziell entfremdet, ghettoisiert und anfällig für Indoktrination" sind. Aber es gebe auch hier deutliche Zeichen, dass die Unterstützung schwinde und viele Sympathisanten abspringen.

Die Gefahr, dass Osama bin Laden mit Hilfe des Internets oder einem Mobiltelefon aus seinem Versteck im gebirgigen Grenzgebiet von Af-Pak jederzeit einen Anschlag in der westlichen Welt befehlen könne, hält Gerges für "weit überschätzt".
Abgesehen davon, dass sich bin Laden wohl hüte, sein Handy überhaupt zu benutzen, weil er sonst binnen Sekunden geortet werde und von einer unbemannten Drohne der US-Armee bombardiert werde, spreche alles dafür, dass bin Laden schon seit einiger Zeit gar "keine operative Kontrolle" über die nur lose mit ihm verbunden Zellen habe. Gerges schreibt in seinem OpenDemocracy-Artikel: "Tatsächlich bedingt die Annahme, dass die al-Qaida unter enger zentraler Kontrolle stehe, physische Verbindung (zwischen den Zellen draussen und Bin Laden in den pakistanischen Bergen), die schon lange nicht mehr existiert."

Al-Qaida ist nicht gleich Taliban
Fawas Gerges ist aufgrund seiner eigenen jüngsten Erfahrungen und Forschungen auch überzeugt, dass der Einfluss der al-Qaida in Pakistan und Afganistan selbst überschätzt werde.
Al-Qaida sei "ein sehr kleines Element" in der Koalition der Kräfte, die gegen die fremden, westlichen Truppen in der Region kämpfe. Die Al-Qaida sei "eher ein Nebeneffekt, ein Parasit genährt von der herrschenden Gesetzlosigkeit und Instabilität als ein prägendes Element."

Die aktuelle Waffengemeinschaft der Taliban mit al-Qaida, welche im Wesentlichen aus Kämpfern bestehe, die nicht aus der Af-Pak-Region stammen, wird nach Einschätzung auch anderer Experten nur solange halten, wie sie die Paschtunen-Stämme als nützlich erachten. "Ein Abkommen mit den Paschtunen, welches die Taliban zurück in die Regierung bringt - so schmerzhaft und schwierig dies auch sein wird - wird wohl zu einer Ausweisung der al-Qaida und anderer fremden Militanten aus der Region führen."

Als "Schlüsselement" im Kampf gegen die al-Qaida empfiehlt Gerges den USA , die Paschtunen-Stämme und die al-Qaida nicht in einen Topf ("not to lump") werfen, sondern sie klar auseinanderzuhalten, wie man das die US-Armee erfolgreich im Irak in der Anbar-Region praktiziert habe.

Taliban keine Bedrohung für die Welt
Damit unterstützt Gerges eines der zentralen Elemente der neuen Counterinsurgency-Strategie der USA in Af-Pak. Vor allem aber macht er deutlich, dass die Taliban "nur" ein regionales Problem darstellen. Die Führer der Paschtunen-Stämme haben keine globalen Absichten. Ihr Ziel ist es, die fremden Truppe aus dem Land zu vertreiben und ihre persönliche Macht im eigenen Einflussgebiet zu stärken und nicht irgendwelche Terroranschläge in den USA oder in Europa zu verüben.

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