Sonntag, 29. März 2009

Analyse: Die neue Afghanistan-Strategie der USA

Bild: Präsident Obama und der Mann, der seine Afghanistan-Strategie entwickelt hat und jetzt auch umsetzen soll: General David Petraeus

US-Präsident Obama hat am Freitag die schon länger erwartete neue Afghanistan-Strategie der USA vorgestellt. (Die ganze Obama-Rede gibt’s hier). Das Ziel ist, sagte Obama, „al-Qaida in Pakistan und Afghanistan zu zerschlagen und zu besiegen; und zu verhindern, dass sie je wieder in diese Länder zurückkehren können.“

Der Fokus auf al-Qaida verursacht einiges Stirnrunzeln weltweit, doch die 7 Punkte, die Obama zur Erreichung dieses Ziels nannte, zeigen, dass die neue Strategie der neuen US-Administration doch die in den USA aktuellen Kenntnisse und Konzepte der Experten im CIA und bei der Armee-Führung umsetzen will.

Die neue Strategie basiert auf zwei Pfeilern: Die gewachsenen Erkenntnisse und Einsichten der CIA (siehe dazu die Contextlinkbeiträge "Obamas Krieg" und "Kampf um die Seidenstrasse"): Es gibt keine Lösung der Afghanistanfrage ohne Pakistan (und darüber hinaus auch mit den weiteren Nachbarn, China, Iran, etc.) und die Adaption der im Irak gelernten neuen Kriegsführung auf Afghanistan („Counterinsurgency“).

Zur geographischen Orientierung noch einmal die Stratfor-Karte:

Die Spezialisten vom auf Afghanistan spezialisierten Online-Portal „The Long War Journal“ Thomas Joscelyn und Bill Roggio haben die 7 Punkte analysiert. Ich versuche eine Übersetzung:

1. Pakistan:
Der erste Punkt, den Obama genannt hat, war die Lösung der immer schlimmer werdenden Sicherheitssituation in Pakistan. Die USA werden die Hilfe und die Unterstützung für Pakistan so verstärken, dass Pakistan einerseits die Taliban und Al Qaida erfolgreich bekämpfen kann, und dass andrerseits eine verantwortungsvolle Regierungsführung und die demokratischen Institutionen gefördert werden.

Die militärische Unterstützung hat Obama am stärksten betont: "Wir müssen unsere militärische Unterstützung auf Mittel konzentrieren, die Pakistan braucht, um die Terroristen auszurotten (root out: entwurzeln),“ sagte Obama, wobei er gleichzeitig feststellte, die entsprechenden Bemühungen seien in den letzten Jahren gescheitert.
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Obama machte sich in seiner Rede für eine massive Verstärkung der Hilfsprogramme für Pakistan stark. Er rief den Kongress auf, jetzt das Kerry-Lugar Gesetz zu verabschieden, „welches eine jährliche Direktunterstützung von 1,5 Milliarden Dollar für die pakistanische Bevölkerung erlaubt – Mittel, mit denen Schulen, Strassen und Spitäler gebaut werden und die pakistanische Demokratie gestärkt wird.“

Analyse:
Die USA haben in den vergangenen sieben Jahren versucht, finanzielle und militärische Anreize für die pakistanische Regierung zu schaffen, um die Taliban und al-Qaida in den Stammesregionen und in der Provinz Beludschistan zu bekämpfen. 10 Milliarden Dollar haben die USA seit 2001 dafür zur Verfügung gestellt. Milliarden dieser Hilfe sind einfach verschwunden. Die USA haben mehr als 50 Luftschläge in den pakistanischen Stammesgebieten (an der Grenze zu Afghanistan; AM) geflogen und auch einige Bodenangriffe gegen Führungsstrukturen und Trainingsbasen der al-Qaida und der Taliban zerstört. Alle diese Aktionen, welche eine destabilisierende Wirkung auf die pakistanische Regierung haben, haben nicht (wie erhofft) dazu geführt, dass das pakistanische Militär eigene (ernsthafte) Aktionen unternommen hat.
Statt dessen haben die Taliban in dieser Zeit die meisten Gebiete in der Nordwestprovinz übernommen, häufig via Verhandlungen mit der Regierung. Quetta bleibt der Standort der Rats der Talibanführung und in Gross-Beludschistan gibt es eine ganze Anzahl von Trainings- und Rekrutierungslagern; und ganze Landstreifen sind unter der Kontrolle der Taliban. Innerhalb des pakistanischen Geheimdienstes und der Armee gibt es Kreise, welche die Taliban und andere terroristische Gruppen wie die Lashkar-e-Taiba aktiv unterstützen.

Es fällt schwer sich vorzustellen, wie eine Verstärkung der militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung Pakistan dazu bringen soll, das Problem des islamischen Extremismus jetzt wirklich frontal (head-on) anzugehen. Hier liegt der Teufel im Detail, und einige Details kommen zur Zeit zum Vorschein.

2. Eine militärische Aufrüstung (surge):
Die geplante Aufstockung der US-Truppenbestände in Afghanistan ist seit Monaten öffentlich bekannt. Erst kürzlich haben die USA mehr als 3000 Soldaten in die Problemprovinzen Logar und Wardak entsandt, um das Wiedererstarken der Taliban zu verhindern. Zusätzliche 17'000 Soldaten werden in den Süden und Osten Afghanistans geschickt, wo der Widerstand am stärksten ist. Und eine zusätzliche Brigade von 4000 Mann soll bestimmt werden, um den afghanischen Sicherheitskräften als Ausbildner zur Seite zu stehen.

Analyse:
Afghanistan braucht sicher zusätzliche Kräfte; und man könnte argumentieren, 24'000 zusätzliche Soldaten seien zuwenig um rasch positive Resultate zu erhalten. Aber die Erhöhung der Truppenzahlen wird eine positive Auswirkung haben. Die US Armee plant, die Einheiten in die Hot-Spots zu entsenden, vor allem nach Kandahar und Helmand, die gewalttätigsten Provinzen Afghanistans. Ebenso in die Provinzen Kunar, Paktia, Paktika, Khost und Ghazni im Osten, wo die Taliban mit dem Haqqani Netzwerk und der Hizb-e-Islam Gulbuddin (HIG) stark sind. Der Plan ist, die Kämpfe in die Gebiete zu tragen, die zu eigentlichen Rückzugsgebieten des Feindes geworden sind.

Das US-Kommando in Afghanistan wollte schon länger eine Brigade mit der Ausbildung der Afghanischen Sicherheitskräfte betrauen. Dort, wo es schon angewendet werden konnte, hat das Modell der Partnerschaft gut funktioniert und zusätzliche Ausbildner sollen als Multiplikatoren dienen, welche es den afghanischen Sicherheitskräften erlauben, mehr Verantwortung in dem Bereich zu übernehmen.

3. Aufstockung der Afghanischen Armee und der Polizeikräfte:
Es ist geplant bis 2001 die Zahl der Soldaten in der afghanischen Armee von heute geschätzten 80'000 auf 134'000 Mann zu erhöhen und die Polizei auf 82'000 Mann. "Eine Erhöhung der Bestände der afghanischen (Sicherheits-) Kräfte kann sehr gut nötig werden, wenn unsere Pläne, die Verantwortung im Bereich Sicherheit an die Afghanen abzugeben, weiter voranschreiten,“ sagte Obama.

Analyse:
Die Erhöhung der Zahl der Soldaten in der afghanischen Armee und der Polizeikräfte reicht wahrscheinlich noch nicht aus, um Afghanistan sicher zu machen, aber die Erhöhung der Zahl der Sicherheitskräfte ist nötig. Die Beinahe-Verdoppelung der Armeebestände wird eine schwierige Aufgabe darstellen und die neuen afghanischen Truppen werden nicht fähig sein, sofort Sicherheitsaufgaben zu übernehmen. Wie wir im Irak gelernt haben, kann der Einsatz von nicht wirklich bereiten Soldaten und Polizisten im Feld eine desaströse Wirkung haben, sowohl auf die (allgemeine) Sicherheit als auch auf die Sicherheitskräfte selbst. Die Armee und die Polizei muss bis 2011 noch grösser werden als geplant. Es gibt Schätzungen, die davon ausgehen, dass es mehr als 400'000 Mann Sicherheitskräfte brauche, um das Land wirklich sicher zu machen und die Aufständischen zu bekämpfen.

4. Konflikt-Beilegung (Reconciliation = Versöhnung):
Die USA werden versuchen die Aufständischen - Versöhnbare und Unversöhnbare -auseinander zu divdidieren, um den harten Kern des Widerstandes zu besiegen. Obama hat diesen Prozess so beschrieben:

Es gibt einen kompromisslosen Kern der Taliban. Gegen diese hilft nur Gewalt, sie muss man vernichten. Aber es gibt auch Leute, die haben nur unter Zwang zu den Waffen gegriffen oder schlicht für Geld. Diesen Afghanen müssen wir die Chance geben, einen anderen Weg zu gehen. Und deshalb werden wir mit lokalen Führern, der Regierung Afghanistans und internationalen Partnern zusammenarbeiten, um einen Versöhnungsprozess in allen Provinzen in Gang zu bringen.

Analyse:
Ein offenes Versöhnungsprogramm läuft in Afghanistan seit Jahren. Es hat Tausende gewöhnlicher Taliban-Kämpfer und – Führer aus dem Widerstand befreit.
Die Weiterführung dieser Bemühungen kann weitere gewöhnliche Taliban von der Bewegung wegbringen. Aber die US-Führung sollte keine einfachen Lösungen suchen, um den Widerstand zu beenden, indem sie zum Beispiel versuchen, hochrangige Taliban-Führer oder grosse Gruppen von Kämpfern zum Absprung zu bewegen. Kürzlich hat Vizepäsident Joe Biden geltend gemacht, fünf Prozent des Widerstandes seien hard-core-Extremisten (unversöhnlich), 25 Prozent müssten zum Kampfverzicht bewegt werden, und die verbleibenden 70 Prozent kämpften sowieso nur aus lokaler Verärgerung oder für Geld. Einen Beleg dafür gibt es allerdings nicht.

Es gibt zahlreiche Berichte über Verhandlungen zwischen hochrangigen Taliban-Führern und der afghanischen Regierung. Die sogenannt hochrangigen Taliban-Führer waren aber Leute, die von der (Taliban-)Bewegung rausgeschmissen worden waren. Die oberste Talibanführung und ihr wichtigster Sponsor, der pakistanische ISI (Geheimdienst), hatten Taliban-Mitglieder, die ideologisch nicht verlässlich schienen, ausgemerzt. Die USA müsse gut darauf achten, dass sie nicht politisches Kapital und die beschränkten Mittel verschwenden. Sie dürfen nicht im Sumpf von Phantom-Verhandlungen versinken. Die obere und die mittlere Führungsebene der Taliban werde nicht einlenken. Auch die Berichte über eine Spaltung zwischen Mullah Omar (in Afghanistan) und den übrigen Taliban ist falsch. Tatsächlich sind diese Gruppen unabhängiger geworden seit der US-Invasion 2001.
Darüber hinaus hat Mullah Omar erst kürzlich einen Grossteil der aktuellen Taliban-Führerschaft in Pakistan und Afghanistan zusammengebracht, um den wichtigsten gemeinsamen Feind zu bekämpfen: Die Amerikanischen Truppen in Afghanistan.

5. Die zivile Aufrüstung:
Die USA wollen die „Softpower“- Elemente als Ergänzung zur militärischen Aufrüstung verstärken. Es wird berichtet, 400 Zivilangestellte von Regierungsagenturen aus den Bereichen Handel, Landwirtschaft oder Justiz sollen nach Afghanistan geschickt werden, um die Führungsverantwortung, die Wirtschaft und die Landwirtschaft zu verbessern

Analyse:
Wie auch bei den Truppen, dürfte auch die Zahl der Zivilen Kräfte zu klein, aber trotzdem sehr willkommen sein, wenn sie richtig eingesetzt werden. Im Irak hat die Ausweitung der Wiederaufbauteams in den Provinzen in Verbindung mit der militärischen Aufstockung gute Resultate gebracht. Viele der Wiederaufbaubemühungen in Afghanistan haben sich bisher auf die nationale und provinzielle Ebene konzentriert. Um wirklich Erfolg haben zu können, müssen die Wiederaufbauteams in die Bezirke gehen, um echte Veränderungen zu erreichen.

6. Afghanische Regierungsreformen:
Die USA und ihre Koalitionspartner wollen die Afghanische Regierung in die Verantwortung nehmen, für ihre Massnahmen und Reformen fördern. Die USA „suchen neue Wege mit der afghanischen Regierung um korruptes Verhalten zu bekämpfen und klare Massstäbe für die internationale Unterstützung setzen, so dass diese wirklich für Bedürfnisse der Bevölkerung in Afghanistan eingesetzt werden,“ wie es Obama in seiner Rede formulierte.

Analyse:
Das ist leichter gesagt, als getan. In Afghanistan herrscht seit mehr als 30 Jahren Krieg, die Mittelklasse ist längst geflohen. Die Korruption ist allgegenwärtig und nur wenige Offizielle haben, wenn überhaupt, eine saubere Weste. Die USA müssen sicherstellen, dass nicht das Perfekte zum Feind des Guten wird. Das Ziel ist genügend Regierungsqualität und Sicherheit zu gewährleisten, um den Widerstand zu ersticken und den Taliban Rückzugsgebiete zu entziehen. Ein gewisses Mass an Korruption muss man angesichts der Geschichte Afghanistans erwarten. Die amerikanischen Offiziellen müssen sorgfältig darauf achten, nur bei Auswüchsen, welche die Sicherheit und die Staatsführung gefährden, einzuschreiten.

7. Internationale/Regionale Zusammenarbeit:
Die USA werden Lösungen für die Probleme Afghanistans in Zusammenarbeit mit den Nachbarn und den wichtigsten Playern in der Region suchen. Präsident Obama glaubt, diese Länder hätten ein gemeinsames Ziel: die Sicherheit Afghanistans.
„Zusammen mit der UNO werden wir eine neue Kontakt-Gruppe für Afghanistan und Pakistan schaffen, die alle zusammenbringt, welche an der Sicherheit in der Region interessiert sind – unsere NATO-Verbündeten und andere Partner, aber auch die zentralasiatischen Staaten, die Golfstaaten und Iran, Russland, Indien und China,“ sagte Obama. Keine dieser Nationen hat etwas von einer Basis der al-Qaida-Terroristen und einer Region, die im Chaos versinkt. Alle sind an einem dauerhaften Frieden, Sicherheit und Entwicklung interessiert.“

Analyse:
Die selbe Empfehlung hat seinerzeit auch die Studiengruppe Irak gemacht. Eine Arbeitsgruppe ist nicht zustande gekommen und Syrien und Iran, die beiden wichtigsten Helfer der al- Qaida und der sunnitischen und schiitischen Terrorgruppen wurden konsultiert bei der Entwicklung des Sicherheitsplans für den Irak. Irak hat einen beachtlichen Erfolg erzielt, obwohl Syrien und Iran ausgeschlossen blieben.
Nicht alle Nationen verfolgen dies gleichen Ziele in Afghanistan. Indien und Pakistan sind ewige Rivalen mit radikal unterschiedlichen Vorstellungen für Afghanistan, wie auch für das übrige Süd- und Zentralasien.

Iran möchte nicht, dass die Taliban wieder an die Macht kommen, wird aber diese Gruppe unterstützen, um die US- und NATO-Truppen „bluten“ zu lassen und Afghanistan destabilisiert zu belassen. Iran hat kein Interesse, eine sichere, pro-amerikanische Regierung an seiner Ostgrenze zu haben. US-Militärs haben die Iraner wiederholt beschuldigt, die Taliban mit Waffen zu versorgen. Mehr noch: Iran beherbergt zur Zeit ein substanzielles Al-Qaida Netzwerk auf seinem Boden.

China und Russland wünschen zwar auch nicht, dass in Afghanistan wieder islamische Extremisten an die Macht kommen, welche ihre eigene Sicherheit beeinträchtigen. Aber es ist wohl in ihrem Interesse, wenn die USA militärisches und politisches Kapital in einem sich in die Länge ziehenden Kampf ausgeben. So hat sich Russland zum Beispiel dem Interesse der USA für eine Basis in Zentralasien (Stützpunkt Manas in Kirgistan; AM) widersetzt und es gibt Berichte, dass China den Taliban via Iran Waffen geliefert hat.

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