Samstag, 29. November 2008

Noch mehr Zorn

Jetzt haben wir sie wieder 3 Tage lang gesehen, die kalte, selbstzerstörerische Wut der "Generation Zorn" der jungen Islamisten, wie ihn Peter Sloterdijk, aber auch andere Intellektuelle im Westen beschrieben haben (siehe den entsprechenden älteren Contextlink-Beitrag hier). Ein Zorn als Resultat über Generationen aufgestauter Frustrationen, Erniedrigungen und fehlender Perspektiven.
Mumbai scheint wie die pessimistische Antithese, die Bestätigung von Huntington's "Clash of Civilisation", zu Mahbubanis Optimismus über die friedliche Zukunft der Welt dank der "Rückkehr Asiens". Doch auch Mahbubani ist sich wohl bewusst, dass auf dem Weg zu seiner optimistischen Vision, noch viele Schmerzen zu erleiden sein werden.

Es ist sogar möglich, dass sich der Terroranschlag zu einem grösseren Problem nicht nur zwischen Indien und Pakistan entwicklet, sondern auch fü den Rest der Welt. (siehe dazu die aktuelle Analyse von Stratfor "Movement in the Post-Mumbai World")

Trauer und Wut
Viele Intellektuelle aus dem Nicht-Westen sind nicht nur traurig über das, was sich eben wieder in Mumbai erreignet hat, und was sich morgen schon wieder anderswo auf dieser Welt erreignen wird. Sie sind auch zornig - vor Hilflosigkeit. Wie der algerische Schriftsteller Mohammed Moulessehoul, der seine Bücher unter dem Pseudonym Yasmina Khadra veröffentlicht. Er hat dem Tagesanzeiger ein im wörtlichen Sinn bedenkliches Interview gegeben, welches auch auf baz.online erschienen ist. Find ich gut. Die Kommentare dazu zeigen, wie nötig es ist, dass solche Artikel künftig häufiger erscheinen. Wir müssen uns mit der Sicht anderer auf die Welt auseinandersetzen.

Schlüsselsätze von Yasmina Khadra:

"Auf der einen Seite haben wir den Westen, der nur auf seinen Bauchnabel schaut und .... Auf der anderen Seite, was dem Westen gegenübersteht: Gesellschaften, die völlig auf sich selbst gestellt sind und in ihrer Verzweiflung Hand an sich legen."

"Die Menschheit hat einen solchen Grad von Dummheit erreicht, dass sie nicht mehr zwischen Gut und Böse zu unterscheiden weiss. Was in Mumbai geschehen ist, überrascht mich nicht. Der Terror ist das logische Ergebnis eines gesellschaftlichen Nervenzusammenbruchs."

"Der Stoffwechsel mit den alten Werten, die uns zu kulturellen Wesen machten, ist gestört. Wir sind zu Zombies geworden, die nicht mehr wissen, wo sie ihr Heil finden können. Wir sind überzeugt, dass die Jagd nach Profit die einzige Form des Überlebens ist, und fallen zurück in tierische Verhaltensweisen."

"Diese (orientalischen) Gesellschaften sind in der Regel noch ganz benommen von einer langen kolonialen Dunkelheit. Während der ausländischen Besatzungszeit haben sie die alten Massstäbe, die ihre Kraft und Weisheit darstellten, verloren. Das hindert sie daran, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. In dieser Leere setzt eine Fäulnis ein, die das Fundament des Fanatismus bildet."

"Wir (orientalischen Gesellschaften) haben es von innen heraus zerstört wie die Termiten. Irgendetwas fehlt uns. Die Leute haben nichts zu tun. Es gibt keine Kinos, keine Theater, keine Arbeit, keine Wohnungen. Sie können nicht einfach eine Frau lieben oder sich ins Café setzen. Kein Wunder, wenn sie durchdrehen!"

"Die Menschen vegetieren dahin - bis zu dem Tag, da jemand kommt und sagt, ihr seid nicht zur Untätigkeit verdammt, wenn ihr uns folgt."
"Und was haben diese Erlöser zu bieten?"
"Gewalt, immer nur Gewalt. Dahinter steht ein Versagen des Verstands. Das ist aber kein Zukunftsprojekt, wenn die Leute nichts einbringen können ausser ihrer Wut."

"Die muslimische Welt an sich ist keine Bedrohung für den Westen. Ihre Völker haben viel zu viele eigene Probleme, als dass sie sich mit Angriffsstrategien gegen den Westen beschäftigen würden. Heute wird im Westen selbst mit der Angst regiert. Man beschwört eine enorme Bedrohung herauf, die den Verstand der Wähler im entscheidenden Augenblick lähmt..."

"Die Schutzmassnahmen gegen mögliche Anschläge haben den Boden für eine Tyrannei bereitet. Wo Sie gehen und stehen, werden Sie überwacht. ... Die Freiheit ist im Namen der Bedrohung abgeschafft – und die Leute sind nicht einmal schockiert darüber. Sie gleichen einer Schafherde, mit der man anstellen kann, was man will."

Lösungen, Auswege?
Lösungen, wie diese immer Aufflackernde Wut überwunden, wie der Nicht-Westen und die muslimische Welt Wege in eine gemeinsame, friedliche Zukungt entwicklen, hat Yasmina Khadra keine, aussser: "Zwei Dinge muss er (der Weszen) einstellen: Manipulation und Desinformation." Dies ist eine neue Kritik am Westen, die auch Mahbubani erhebt, aber er zeigt positive Wege auf, an die wohl auch Khadra glauben möchte: Die Modernisierung des Nicht-Westen. Und der ist unausweichlich und trotz allen Rückschlägen wie Mumbai in vollem Gang.

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