Afrika, immer wieder Afrika.
Natürlich treibt mich zur Zeit vorallem der Kongo um. Ich lese alles, was ich in den Medien finde. Es sind immer auch Gedankenreisen, meine persönlichen Erinnerung sind wieder maximal präsent. Wenn ich Reportagen von Kollegen aus dem Kongo lese, lebe ich sehr intensiv mit.
Ich kann die Luft über der feuchten Dschungelstrasse riechen, wenn ich das Bild der beiden toten Soldaten sehe, welche der Fotograf Marcus Bleasdale im Hinterland von Goma aufgenommen hat. Ich höre das leise Knirschen der Sohle seiner Treckingschuhe auf dem nassen, roten-gelben Mergel auf der Strasse, wenn er sein Foto knipst. Ich kenne das unerklärliche Gefühl, das er empfindet, wenn er wieder zu seinem Fahrer in den Landrover steigt und sie vorsichtig - irgendwie respektvoll - um die Leichen auf der Strasse herumkurven und zurück in ihr Hotel in Goma oder Gisenji fahren.
Wenn Thomas Scheen von der FAZ - oder Les Neuhaus von Al-Jazeera oder .....- beschreibt, wie er über den letzten Kontrollposten der UNO hinausfährt, in das von den Rebellen kontrollierte Gebiet, dann sehe ich, wie hinter einer Kurve noch weit weg ein Strassensperre auftaucht. Während wir auf die Sperre – ein simples Seil zwischen zwei leeren Oelfässern - zufahren, zieht eine schales Gefühl zuerst meinen Mund und Hals zusammen und kriecht dann in meinen Bauch. Alle Sinne sind maximal wach, alarmiert, die Welt rundum beginnt in Zeitlupe zu laufen und fokussiert nur noch auf die zwei Gestalten, welche neben der Barrikade herumhängen:
Sind es Mai-Mai? – das wär das heikelste - oder Regierungssoldaten? - vielleicht besser - oder Rebellen? – das wär das Beste, denn die sind die Diszipliniertesten. Wie sind die Typen drauf? Sind sie vollgepumpt mit Drogen oder Alkohol?
Der Kameramann macht die Kamera runter zwischen seine Beine hinterm Beifahrersitz. Wir rollen im Schritt-Tempo auf die Barrikade zu. Low profile, entspannt wirken. Ich weiss, jetzt kommt es auf die ersten 5 Sekunden der direkten Kontaktnahme an, den ersten direkten Blickkontakt, die erste Ansprache: Entspannt sich der Ausdruck in den Augen des jungen Soldaten?... dann können wir zwei Minuten später mit den Typen ein Bier trinken und über blonde Frauen reden. Verhärtet sich der Ausdruck? ........ darüber erlaube ich mir nicht, nachzudenken.
Ich identifiziere mich sehr stark mit den Kollegen, die aus dem Kongo berichten, sobald sie Persönliches beschreiben oder wenn ich sie im Bild sehe. Ich bilde mir ein: sie sind wie ich. Und dann bin ich doch frappiert, wenn sie Sätze sagen oder schreiben, die ich meine, selbst gesagt oder geschrieben zu haben.
Im Interview mit dem ZeitMagazin sagt Marcus Bleasdale auf die Frage: „Warum tun Sie sich den Kongo seit zwölf Jahren immer wieder an?“:
„Ein Freund von mir sagt immer: Der Kongo ist einer dieser seltsamen Orte, den du nach deiner Ankunft gleich wieder verlassen willst. Wenn du ihn dann aber verlässt, sehnst du dich sofort wieder zurück. Das Land ist einnehmend und abstoßend zugleich. Es ist wie eine Droge.“
Ich kenne Marcus Bleasdale nicht, ich bin also sich auch nicht der Freund, den er zitiert, aber genau diese Beziehung zum Kongo - zu Schwarz-Afrika überhaupt - empfinde ich und habe sie auch schon mehrfach in ziemlich genau diesen Worten ausgedrückt.
Auch jetzt ist die Anziehung Afrikas sehr stark. Ich kann gar nicht wirklich verstehen, warum ich nicht dort im Kongo bin. Aber gleichzeitig bin unglaublich froh, dass ich nicht hingehen muss. Ich stelle mir schon vor, wie ich die letzte Nächte vor der Abreise zu Hause im wunderbaren, eigenen Bett von Albträumen heimgesucht werde. Es ist nicht so sehr die Angst, dass ich vielleicht nicht mehr zurückkehren werde. Es sind die alltägliche, praktische Sorgen einer Afrikareportage: Polizisten, die mich schikanieren, weil sie Geld von mir wollen; das Feilschen mit dem Besitzer eines Geländewagen; das Umgarnen eines Kindersoldaten an einer Strassensperre. Es ist dieses Ausgeliefertsein, diese Abhängigkeit von der Willkür von Menschen, die ich nicht wirklich kenne, die ich immer irgendwie auch als Bedrohung empfinde, welche mich stresst.
Und gleichzeitig erlebe ich schon das Gefühl der unglaublichen Erleichterung am Ende eines Afrikatrips, wenn das Flugzeug vom afrikanischen Boden abhebt und ich aus sicherer Höhe auf den traumhaft schönen Kivusee und die Virunga-Berge herunterblicke, wenn dieser Kontinent - in dem ich mich so bedroht fühle, der mich so vereinnahmt, sich langsam im Dunst auflöst. Aber mit jedem Kilometer, den ich mich mich entfernen darf, wächst auch wieder die Sehnsucht, nach Afrika zurückzukehren.
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