
Natürlich treibt mich zur Zeit vorallem der Kongo um. Ich lese alles, was ich in den Medien finde. Es sind immer auch Gedankenreisen, meine persönlichen Erinnerung sind wieder maximal präsent. Wenn ich Reportagen von Kollegen aus dem Kongo lese, lebe ich sehr intensiv mit.
Ich kann die Luft über der feuchten Dschungelstrasse riechen, wenn ich das Bild der beiden toten Soldaten sehe, welche der Fotograf Marcus Bleasdale im Hinterland von Goma aufgenommen hat. Ich höre das leise Knirschen der Sohle seiner Treckingschuhe auf dem nassen, roten-gelben Mergel auf der Strasse, wenn er sein Foto knipst. Ich kenne das unerklärliche Gefühl, das er empfindet, wenn er wieder zu seinem Fahrer in den Landrover steigt und sie vorsichtig - irgendwie respektvoll - um die Leichen auf der Strasse herumkurven und zurück in ihr Hotel in Goma oder Gisenji fahren.


Der Kameramann macht die Kamera runter zwischen seine Beine hinterm Beifahrersitz. Wir rollen im Schritt-Tempo auf die Barrikade zu. Low profile, entspannt wirken.
Ich identifiziere mich sehr stark mit den Kollegen, die aus dem Kongo berichten, sobald sie Persönliches beschreiben oder wenn ich sie im Bild sehe. Ich bilde mir ein: sie sind wie ich. Und dann bin ich doch frappiert, wenn sie Sätze sagen oder schreiben, die ich meine, selbst gesagt oder geschrieben zu haben.

„Ein Freund von mir sagt immer: Der Kongo ist einer dieser seltsamen Orte, den du nach deiner Ankunft gleich wieder verlassen willst. Wenn du ihn dann aber verlässt, sehnst du dich sofort wieder zurück. Das Land ist einnehmend und abstoßend zugleich. Es ist wie eine Droge.“
Ich kenne Marcus Bleasdale nicht, ich bin also sich auch nicht der Freund, den er zitiert, aber genau diese Beziehung zum Kongo - zu Schwarz-Afrika überhaupt - empfinde ich und habe sie auch schon mehrfach in ziemlich genau diesen Worten ausgedrückt.
Auch jetzt ist die Anziehung Afrikas sehr stark. Ich kann gar nicht wirklich verstehen, warum ich nicht dort im Kongo bin. Aber gleichzeitig bin unglaublich froh, dass ich nicht hingehen muss. Ich stelle mir schon vor, wie ich die letzte Nächte vor der Abreise zu Hause im wunderbaren, eigenen Bett von Albträumen heimgesucht werde. Es ist nicht so sehr die Angst, dass ich vielleicht nicht mehr zurückkehren werde. Es sind die alltägliche, praktische Sorgen einer Afrikareportage: Polizisten, die mich schikanieren, weil sie Geld von mir wollen; das Feilschen mit dem Besitzer eines Geländewagen; das Umgarnen eines Kindersoldaten an einer Strassensperre. Es ist dieses Ausgeliefertsein, diese Abhängigkeit von der Willkür von Menschen, die ich nicht wirklich kenne, die ich immer irgendwie auch als Bedrohung empfinde, welche mich stresst.
Und gleichzeitig erlebe ich schon das Gefühl der unglaublichen Erleichterung am Ende eines Afrikatrips, wenn das Flugzeug vom afrikanischen Boden abhebt und ich aus sicherer Höhe auf den traumhaft schönen Kivusee und die Virunga-Berge herunterblicke, wenn dieser Kontinent - in dem ich mich so bedroht fühle, der mich so vereinnahmt, sich langsam im Dunst auflöst. Aber mit jedem Kilometer, den ich mich mich entfernen darf, wächst auch wieder die Sehnsucht, nach Afrika zurückzukehren.

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