Freitag, 22. August 2008

Generation des Zorns

Die NZZ-Online hat ihr hervorragendes "Dossier: Wie begegnen wir dem Islamismus" durch einen weiteren, sehr lesenswerten Artikel ergänzt: "Generation des Zorns". Autor ist der Politologe Volker Perthes. Er leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und hat zahlreiche Studien über den Nahen und Mittleren Osten veröffentlicht.

Er sieht keinen "Clash der Zivilisationen", des Westens mit der arabisch-muslimischen Welt: "Es gibt keinen Kulturkonflikt, der «den Westen» gegen «den Islam» positioniert. Der eigentliche clash findet innerhalb der arabisch-islamischen Zivilisation statt. Er verläuft zwischen denjenigen, die ihre Länder in die Globalisierung führen wollen, und reaktionären Utopisten, die ihren Gesellschaften totalitäre Zwangsjacken verpassen möchten." "Gleichwohl darf man nicht übersehen, dass es in weiten Teilen der arabischen und muslimischen Welt eine transnationale Stimmung gibt, die eine gewaltsame Mobilisierung im Namen eines kämpferischen Islam zumindest erleichtert. Auch wenn die gesellschaftliche Mehrheit dieser Länder keineswegs radikal oder gewaltorientiert ist, finden wir von Marokko bis Pakistan und auch in der muslimischen Diaspora in Europa mittlerweile mindestens zwei Generationen junger Männer – und einiger Frauen –, deren Zorn in Gewaltbereitschaft oder in Indifferenz gegenüber Gewaltaktionen umschlägt."

Diese Generation ist die Generation nach Al-Qaida. sie wurde "im Schatten des amerikanischen Kriegs gegen den Terror sozialisiert, den viele als Kampf des Westens gegen den Islam verstehen. Der Zorn dieser Generationen wird nicht mehr von revolutionären Regimen oder nationalen Befreiungsbewegungen kanalisiert. Der Zorn ist weiter politisch, die Zornigen aber, vor allem ihre Vordenker, bedienen sich einer religiösen Sprache, um den radikalstmöglichen Widerstand gegen die Verhältnisse zu legitimieren.


Mit dem Zorn greift Volker Perthes ein Element auf, das auch Peter Sloterdijk 2006 in seinem "Zorn und Zeit" als zentrales Element der Aggression fundamentalistisch-muslimischer Kreise ansieht. Sloterdij entwickelt eine Theorie der "Weltbank des Zorns": Ueber Generationen hätte sich eine Frustration in der arabischen Welt gegnüber dem Westen aufgestaut und wie Kapital auf einer Bank akkumuliert, welches jetzt politisch von religös-extremistischen Strömungen genutzt werden könne. Der Fundamentalismus ist für Sloterdijk weniger eine Sache des Glaubens, sondern er ist eine "Aufreizung zum Handeln", eine "Bereitstellung von Rollen, durch welche grosse Zahlen potentieller Akteure in den Stand gesetzt werden, von der Theorie zur Praxis überzugehen - eher noch von der Frustration zur Praxis."
"Die Religion liefert zusätzliches Oel für ein Feuer, dessen Ausgangsbrennstoff nicht von ihr stammt." Sloterdijk zitiert hier aus Gunnar Heinsohns "Söhne und Weltmacht".

Der islamische Terror als Racheakt für die Demütigungen, welche die arabische Welt und die islamische Kultur in den letzten Jahrhunderten vom "Westen" erlitten hat.

Sloterdijk kombiniert seine Philosophie der Zornbank mit der Theorie von Gunnar Heinssohn des "Jungmännerüberschusses": "Junge, männliche Singles als Bedrohung der Ordnung". Der Elan und die Rekrutierungsstärke des islamischen Fundamentalismus an gewaltbereiten Jungen Männern resultiert laut Sloterdijk "aus dem Vitalitätsüberschuss einer unaufhaltsam anschwellenden Riesenwelle von arbeitslosen und sozial hoffnungslosen männlichen Jugendlichen zwischen 15 und 30 Jahren".
"Indem die islamistischen Organisationen in ihren Basisländern Gegenwelten zu den bestehenden Ordnungen schaffen, kreieren sie Gitter von alternativen Positionen, in denen sich zornige junge Männer mit Ambitionen wichtig fühlen dürfen - dazu gehört der Drang zum Losschlagen gegen nahe und ferne Feinde, lieber heute als morgen."

...... und: Warum nur erinnert mich das an die Saubannerzüge der "Eidgenossen" im Mittelalter und gleichzeitig an die Fussball-Hooligans?

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