Die
spektakulärsten Bilder fanatisierter Islamisten an Hassdemos gegen
den Westen stammen meist aus Pakistan; hier richten „Gotteskrieger“
ungestraft Schulmädchen hin, die ihr Recht auf Bildung wahrzunehmen
versuchen; Pakistan ist das Land,
das Osama bin Laden jahrelang Unterschlupf geboten hat; hier befinden
sich die Ausbildungslager, in denen auch militante Islamisten
aus Europa ihr Terrorhandwerk lernen; und: Pakistan hat die
«Islamische (Atom-)Bombe».
Dabei
haben wird alle keine Ahnung von Pakistan. Das Land ist längst
hinter den Feindbildern verschwunden.
Blick hinter die Kulissen des Feindbilds
Ich
habe letztes Jahr aus Anlass des Filmprojekts „Jagdausflug in Pakistan“ versucht, mir ein differenzierteres Bild zu machen,
sozusagen einen Blick hinter die Kulissen des Feindbilds zu werfen.
Tatsächlich
habe ich auch andere Bilder gefunden. Pakistan ist schön, vielfältig
und - natürlich – wunderbar exotisch. Aber ich habe vor allem
Menschen getroffen, die sehr „normal“ waren: herzlich, offen –
und sehr besorgt. Vielen geht es schlecht, wirtschaftlich, aber auch
physisch und psychisch. „Pakistan is a mess“, darüber scheinen
sich alle in Pakistan einig zu sein, egal aus welcher Schicht die
Menschen stammen, mit denen man spricht.
Leider
wird das Bild nicht besser, wenn man hinter die schlimme Fassade sieht. Wirtschaftlich scheint das Land stillzustehen. Die Sicherheitssituation ist sehr schlecht. Politisch
motivierte Terroranschläge, aber auch simple gewaltsame kriminelle
Übergriffe wie Entführungen zur Erpressung von Lösegeld, sind an der
Tagesordnung.
Das Land ist durch und durch korrupt. Von der Polizei über die Justiz bis zur Politik. Nur gerade ein Prozent der Einwohner bezahlt Steuern, erzählt man. Eine verlässliche Statistik gibt es aber nicht. Nicht der Staat und seine Gesetze bilden den Rahmen des Lebens der Pakistanis, sondern die ungeschriebenen Gesetze, Werte und Normen der Clan- und Stammesgesellschaft. Ohne die Einbettung in eine Grossfamilie und in einen «Stamm» kann man in Pakistan weder ökonomisch noch physisch überleben. Nicht auf dem Dorf und auch nicht in den überquellenden Städten.
Das Land ist durch und durch korrupt. Von der Polizei über die Justiz bis zur Politik. Nur gerade ein Prozent der Einwohner bezahlt Steuern, erzählt man. Eine verlässliche Statistik gibt es aber nicht. Nicht der Staat und seine Gesetze bilden den Rahmen des Lebens der Pakistanis, sondern die ungeschriebenen Gesetze, Werte und Normen der Clan- und Stammesgesellschaft. Ohne die Einbettung in eine Grossfamilie und in einen «Stamm» kann man in Pakistan weder ökonomisch noch physisch überleben. Nicht auf dem Dorf und auch nicht in den überquellenden Städten.
Dieses Clan- und Klientelsystem ist Fluch und Segen Pakistans zugleich. Ohne sein Regulativ würde das Land im blutigen Chaos untergehen, gleichzeitig verhindert die «Kinship» eine gesunde Entwicklung hin zu einem starken Staat mit einer gewissen Chancengleichheit für alle.
Ein
Gefühl war bei fast allen Menschen mit denen ich in Pakistan
gesprochen habe spürbar, und Einige haben diese Befindlichkeit auch
explizit formuliert: Perspektivelosigkeit; eine grosse Verunsicherung,
was die Zukunft bringen wird und zwar sowohl was die persönliche
Situation betrifft, also auch die ganze Gesellschaft und das Land
Pakistan.
Wir
haben das Filmprojekt kurz vor Weihnachten leider bis auf Weiteres sistieren müssen – aus verschiedenen Gründen, aber nicht zuletzt
auch aus Sorge, mit unserem Dokumentarfilm diejenigen zu gefährden,
die uns den erhofften intimen Einblick in die pakistanische
Gesellschaft geben sollten. Das jüngste Mail aus Pakistan
illustriert das: Die Situation sei zurzeit „difficult and it is
also a risk to have you with us.“ Und: „It will be more
disturbing the next months.“
Wahlkampf
mitten im Bürgerkrieg
„Die
nächsten Monate“ erscheinen nicht nur aus Sicht der gewöhnlichen
Leute in Pakistan als besonders bedrohlich. Zum „normalen“ Chaos
Pakistans kommt 2013 die Katastrophe Wahlkampf hinzu.
Die
herrschenden Eliten kämpfen um die Macht und damit die wichtigsten
Pfründe im Land. Die Stimmung wird sich bis zum definitiven
Wahltermin, der noch nicht festgelegt ist (die Rede ist aktuell von "April oder Mai"),
zusehends aufheizen. Die von dynastischen Clans dominierten Parteien
und Interessengruppen werden die schwierige Situation, für die sie
verantwortlich sind, schamlos nutzen: Mordanschläge auf politische
Gegner und/oder deren Einrichtungen, Organisationen und Supporter,
Massendemos manipulierter Fanatiker aller Couleur, populistische
Medienkampagnen, usw. – in der Summe: Noch mehr Gewalt, noch mehr
Chaos.
Dabei
steht das Land schon heute am Abgrund: Defacto herrscht ein multipler
Bürgerkrieg:
- Eine Vielzahl religiös-extremistischer Organisationen bekämpft das herrschende Establishment.
- Gleichzeitig bekämpfen sich die Terrororganisationen der rivalisierenden (muslimischen) Glaubensrichtungen gegenseitig. Auch in Pakistan ist die innerislamische Konfrontation der Sunniten und Schiiten bereits blutig im Gang.
- Die herrschende Gesetzlosigkeit nutzen auch mafiös-kriminelle Organisationen zur gewaltsamen Durchsetzung ihrer kommerziellen Interessen – oft auch unter einem klassenkämpferischen oder religiösen Deckmantel.
- Die Sicherheitskräfte kämpfen um die Kontrolle der Gebiete an der Grenze zu Afghanistan. Die pakistanischen Taliban liefern der Armee und Polizei dort seit Jahren einen blutigen Guerillakrieg, wobei sie grössere Gebiete zeitweise völlig unter ihre Kontrolle zu bringen vermochten, wie bis 2009 „die Schweiz Asiens“, das Swat-Tal.
- Inzwischen operieren die Kämpfer der afghanischen Taliban längst nicht mehr nur in ihren paschtunischen Stammesgebieten im Nordwesten des Landes, sondern auch in den städtischen Zentren, vorab in der grössten Stadt Pakistans, in Karachi ganz im Süden am indischen Ozean.
Eben
hat die Armeeführung – nach langem Zögern – anerkannt, dass die
grösste Bedrohung Pakistans nicht von aussen, vom Erzfeind Indien,
ausgeht, sondern von innen. In der neuen „Armeedoktrin“ hat die pakistanische Armee ihre „operative Priorität“ neu auf dieses
„grösste Risiko“ ausgerichtet. Ob die
pakistanische Armee - jetzt endlich - entschlossen gegen die
afghanischen Taliban vorgeht und der Staat definitiv wieder die
Kontrolle über die Provinzen im Grenzgebiet übernimmt, ist offen.
Sicher ist, dass damit ein neuer, blutiger (Bürger-) Krieg zu führen
wäre - schlimmer noch als der Krieg im Swattal 2009.
Karte: WarsintheWorld |
Die
allermeisten afghanischen Taliban sind Paschtunen und damit
Stammes-verwandt mit den 27 Millionen Pakistanis, die im Norden und
Westen Pakistans leben.
2013
ist auch ein wegweisendes Jahr für Afghanistan. Pakistan will und
wird bei den entscheidenden Weichenstellungen, die im Jahr vor dem
definitiven Abzug der US-Truppen und ihrer westlichen Verbündeten
aus Afghanistan, der für 2014 geplant ist, eine entscheidende Rolle
spielen.
Aber
das ist ein anderer, noch weiter führender Teil der Geschichte der
pakistanischen „Mess“, welche den Rahmen dieses Blogbeitrags
definitiv sprengen würde.
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