Samstag, 18. Dezember 2010

Leuchtturm 1: Vor-Weihnachtsgeschichte

Vorrede:
Häufiger schon habe ich auch hier auf Contextlink über den "Bullshit" oder das "Meer der Belanglosigkeit" gelästert, das uns täglich medial entgegendröhnt. Tatsächlich finden sich in diesem fast erstickenden Gedöns auch immer wieder Leuchttürme: Herausragendes, Intelligentes, gar Originelles und Gutgeschriebenes. Mehrfach schon habe ich mir vorgenommen, solche Leuchttürme, die ich entdecke, anzuleuchten und zu multiplizieren. Dieser Post soll jetzt also ein Anfang ein. Mal sehen, ob ich die Energie habe, daraus eine Serie werden zu lassen.

Zu den regelmässigen Leuchtturm-Lieferanten gehört "Die Zeit". In ihrer aktuellen Print-Ausgabe gibt's einmal mehr gleich mehrere. Wirklich genossen habe ich den Artikel "Jesus und sein Bruder Christus", indem "Die Zeit" Auszüge aus dem im kommenden Februar  beim Fischer Verlag erscheinenden Buch "Der Gute Herr Jesus und der Schurke Christus" des englischen Autors Philip Pullman veröffentlicht. Eine wunderbare Vor-Weihnachtsgeschichte, ein echter "Leuchtturm". Nicht nur originell, auch gut geschrieben und - hier speziell- wunderbar blasphemisch. Hier der erste Abschnitt (den ganzen Artikel gibt' leider - noch???- nicht online):

Dies ist die Geschichte von Jesus und seinem Bruder Christus: wie die beide geboren wurden, wie sie lebten und wie einer von ihnen starb. Der Tod des andern gehört nicht zur Geschichte.
Zu jener Zeit war Maria sechzehn Jahre alt, und Joseph hatte sie nie berührt. Eines Abends hörte sie ein Flüstern am Fenster. "Ich bin ein Engel. Lass mich zu dir, und ich verrate dir ein Geheimnis." Sie öffnete das Fenster und liess den Engel eintreten. Um sie nicht zu erschrecken, hatte er die Gestalt eines jungen Mannes angenommen. "Du wirst ein Kind empfangen", sagte der Engel. - "Aber mein Ehemann ist fort", sagte Maria. - "Ja, der Herr hat mich geschickt. Maria, du bist gebenedeit unter den Frauen, dass dir das widerfahren soll." Und in dieser Nacht wurde Maria schwanger.
Als Joseph von seiner Arbeitsreise nach Hause kam, war er über alle Massen empört, dass seine Frau ein Kind erwartete. Er warf sich zu Boden und weinte. "Herr!", klagte er. "Ich hätte besser auf sie aufpassen müssen." Auch Maria weinte. "Ich habe nichts getan. Zu mir ist ein Engel gekommen, weil Gott wollte, dass ich ein Kind empfange." Joseph war ratlos. Falls es wirklich Gottes Wille gewesen sein sollte, dann war es nun seine Pflicht, sich um Maria und das Kind zu kümmern. Einen schlechten Eindruck machte er trotzdem.

Und weil's mir so gut gefällt, gleich noch ein Ausschnitt: Pullmans Buch erzählt also auch die Geschichte von Jesus' Bruder, Christus. Eines Tages ging Christus mit einer Prostituierten ins Bett, "mit denen sich Jesus gern umgab":

Der geschäftliche Teil war schnell abgewickelt, aber danach fühlte sich Christus verpflichtet, ihr zu erklären, wieso er ihre Einladung angenommen hatte. 
"Mein Bruder vertritt die These, dass den Sündern eher vergeben wird als den Gerechten", sagte er. "Vielleicht habe ich bisher nicht genug gesündigt."

Wunderbar. Und irgendwie afrikanisch.

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