Montag, 28. Februar 2011

Warum dieses Jean-Ziegler-Bashing?

Um es von Anfang an klar zu stellen: Ich bin seit Jahren ein Fan von Jean Ziegler. Seine Bücher sind sehr wichtig ... und er schreibt sehr gut.

Schon seit vielen Jahren kann ich nicht verstehen, warum Jean Ziegler von den deutschschweizer Medienschaffenden geradezu angefeindet wird. Häufig bösartig, in dem sie versuchen, ihn als lächerliche Figur darzustellen. Und jetzt wieder. Warum bloss?

Ich habe in den letzten Tagen mit Gedanken gespielt, einen Blogbeitrag zu schreiben im Sinne von: Es ist höchste Zeit, Jean Ziegler in der Deutschschweiz zu rehabilitieren. Eilfertig bemüssigt sich die offizielle Schweiz heute, die Konten der gestürzten Machthaber aus dem Süden auf unseren Banken zu blockieren. Immer schön NACHDEM die jeweiligen Potentaten gestürzt sind. Man wäscht die Hände in Unschuld. Dabei war es eben Jean Ziegler ("Die Schweitz wäscht weisser"), der die Schweiz gezwungen hat zu wissen, was man verbergen wollte: dass wir die Komplizen dieser Unrecht-Potentaten sind.

1976 hat Ziegler sein "Une Suisse au-dessus de tout soupçon" ("Eine Schweiz, über jeden Verdacht erhaben") veröffentlicht - vor 35 Jahren. Von "Bankiers und Banditen" hat er seither immer wieder geschrieben oder vom "kriminellen Bankgeheimnis" und von der schweizerischen "Pseudo-Neutralität".
Eigentlich müsste man ihm ein Denkmal setzen. Alle seine Vorwürfe haben sich in der Zwischenzeit zig-fach bestätigt und ein guter Teil seiner inhaltlichen Einschätzungen werden heute auch in der Schweiz von einer Vielzahl von Leuten geteilt - bis weit in bürgerliche Kreise.
Damals wurde Jean Ziegler für seine lauten Kritiken in der Deutschschweiz verachtet, geradezu geächtet. Er galt und gilt als Nestbeschmutzer, vielleicht das Schlimmste, was man einem Schweizer vorwerfen kann: Treulos, irgendwie undankbar, aber auf jeden Fall unanständig. Sogar wenn Manche heimlich fanden, der etwas laute Genfer Nationalrat habe "in der Sache ja eigentlich schon ein wenig Recht" ... darüber öffentlich reden, die Schweiz gar im Ausland beschimpfen, ... sowas tut man nicht.
Zieglers Worte bezüglich dem Umgang mit dem Bankgeheimnis in der Schweiz, gelten auch für die Kritik an der Schweiz generell: "Wer immer die Sünde begeht, zuviel zu reden, entweiht sie." ("Eine Schweiz - über jeden Verdacht erhaben" S. 56/57).

Warum nur konnten die Schweizer Medienschaffenden "Jeannot" bis weit in die Kreise, die man definitiv nicht dem rechten Lager zuordnen kann, nicht ausstehen. Er war und ist ein Star in der französischen Schweiz und vor allem im francophonen Ausland. Aber auch deutsche Medien, haben den Professor aus Genf immer als Autorität respektiert.  In der Deutschschweiz dagegen hat man ihn geschnitten, inhaltlich totgeschwiegen. Wenn überhaupt, wurde abschätzig über Ziegler geschrieben.
Wenn ich es einmal gewagt habe, Ziegler in der Wandelhalle des Bundeshauses für das Schweizer Fernsehen in seiner Funktion als Genfer Nationalrat zu interviewen, musste ich mich bestenfalls rechtfertigen. Im Normalfall wurde ich einfach als "linker Schwärmer" belächelt.

Ich kann es bis heute nicht verstehen, warum man Jean Ziegler in der Deutschweiz immer anfeindet: Er ist ein grosser Schweizer: Seine Sachbücher erreichen ein Millionenpublikum, weltweit; er war Sonderbeauftragter von UNO-Generalsekretär Kofi Annan; er war ständiger Gastprofessor an der renommierten Sorbonne in Paris.

Dazu ist Jean Ziegler ein begnadeter Kommunikator. Er ist eine charismatische Persönlichkeit, der sein Publikum in den Bann schlägt, wo immer er auftritt. Im persönlichen Gespräch ist er immer charmant, humorvoll. Ja, er ist eitel und wohl auch ehrgeizig und neigt dazu, etwas gar dick aufzutragen. Er inszeniert sich gerne selbst - und lacht darüber. Aber wenn das der Grund für seine negative Wahrnehmung in der Deutschschweiz ist, dann müssten noch ganz andere, die von den Medien geradezu hofiert werden, schlecht dargestellt werden.
Es stimmt, dass Jean Ziegler auch häufig arg unkritisch ist gegenüber Machthabern des Südens, die sich gegen das Diktat des Westen wehren, sich auflehnen. Zuletzt ist ihm das auch wieder in seinem neusten - hervorragenden - Buch "Der Hass auf den Westen" passiert, mit Evo Morales, dem indigenen Staatspräsidenten Boliviens.

Aber jetzt Ziegler an den Pranger zu stellen wegen seiner "Freundschaft" zu Ghadhafi, ist geradezu absurd. Natürlich hat er es genossen, vom widerspenstigen Wüstenpotentaten hofiert zu werden, aber er hat sich nicht heimlich angebiedert. Wenn hier jemand an den Pranger zu stellen ist, dann die offizielle Schweiz und die gesamte europäische Politik, die die Augen geschlossen hat vor den diktatorischen Machenschaften Ghadhafis, weil sie es vorzogen, Ölgeschäfte mit ihm zu machen, Und nicht zuletzt, weil er für sie - für uns - das Dreckgeschäft mit den "Flüchtlingen" aus dem Süden machte: Fernab aller humanitären Traditionen und internationalen Gesetzen und Regelungen war Ghadhafis Libyien die erste Front der Festung Euopas zur Abwehr der "Flüchtlinge" aus dem Süden.

Ich glaube, das Ziegler-Bashing hat viel mit dem Komplex der Schweiz und der Schweizer Journalisten zu tun: Man mag keine herausragenden Persönlichkeiten. Geradezu verbissen versucht man, die Grossen vom Sockel zu stürzen oder ihnen zumindest an ihr Denkmal zu pinkeln. Sogar Roger Federer muss nur zwei Spiele hintereinander verlieren, bis die Neider-Motzer ihr Bein heben.

Wenn es mir gelänge zu verstehen, warum viele Schweizer Medienschaffende ausgerechnet bei Christoph Blocher, einem nur lokalen grossen Schweizer, eine Ausnahme machen und ihn geradezu vergöttern, könnte ich vielleicht auch verstehen, warum sie Jean Ziegler verketzern

6 Kommentare:

Ronnie Grob hat gesagt…

Jean Ziegler 2008:

"Das von den meisten westlichen Medien verbreitete Bild eines unbeherrschten Potentaten ist nach meinem Eindruck total falsch. Muammar al-Ghadhafi ist kein nach Willkür schaltender Charakter. Er ist rational, zweckgerichtet, vernunftgeleitet."

Ist das Gaddafi?

Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Die-Irrungen-des-Jean-Ziegler/story/20259514

Andrea Müller hat gesagt…

Diese Kritik muss sich Ziegler gefallen lassen. Diese àusserung war daneben. Da haben Sie Recht.Und es war nicht die einzige. Nur: reicht Ihnen das, um Zieglers Bedeutung insgesamt zu verneinen. Haben Sie seine Bücher gelesen?

Tin hat gesagt…

Das Bashing ist halt ein sehr praktisches Mittel, perfekt vom eigenen Ungenügen abzulenken. Hat sich die offizielle Schweiz nicht vor gar noch nicht so lang bei Ghadhafis entschuldigt?

Hans Peter Graf hat gesagt…

Ich war Kommunikationschef einer Bundesratspartei, als Jean Ziegler im Nationalrat sass - wenn er nicht gerade irgendwo in der weiten Welt unterwegs war. Ich kenne viele Parlamentarier, die zu seiner Zeit und mit ihm im Rat sassen und in Kommissionen Ratsgeschäfte vorbereiteten. Ich kenne auch ein paar sehr reputierte (ehemalige) Bundeshausjournalisten, welche Jean Ziegler über Jahre hautnah bei seinem Wirken verfolgten. Hätte Ziegler diese Substanz, die sie ihm zuschreiben, hätte er dieses Charisma und diesen Charm, die Überzeugungskraft und die Fähgikeit, Menschen zu begeistern und für sich einzunehmen, dann müssten doch heute Dutzende von Persönlichkeiten aus Politik und Medien für den Thuner Hans Ziegler die Stimme erheben und sich für ihn in die Bresche schlagen? Wo sind sie? Wo ist die Front zur Verteidigung von Jean Ziegler. Oder könnte es sein, dass viele seiner Zeitgenossen aus der Berner Politik - selbst solche aus der SP - mit ihrem Stillschweigen was ganz anderes dokumentieren? Jean Ziegler ist ein Mensch mit allen Defekten und Defiziten. Und an ihm zeigt sich wieder mal die Wahrheit des Sprichworts: wer das Schwert führt, wird durch das Schwert umkommen. Wer sich als eidgenössisches "Lästermaul" kapriziert, der muss sich nicht wundern, wenn am Ende des Tages alle genüsslich über ihn herfallen. Jeder besteigt den Sockel selbst, von dem er herunterstürzt. Das passiert halt nun auch dem Preisträger 2002 des Muammar Gaddafi Menschenrechtspreises....

Andrea Müller hat gesagt…

@Hans Peter Graf:
Selbstverständlich akzeptiere ich Ihre persönliche - und aus Ihrer Zeit als ehemaliger Informationschef der SVP in Bundesbern sicher auch authentische - Wahrnehmung von Jean Ziegler.
Auch ich habe in meiner Zeit als Bundeshauskorrespondent des Schweizer Fernsehens in Bern erlebt, wie Jean Ziegler selbst von einem Teil seiner Parteikollegen geschnitten wurde. Ich weiss immer noch nicht so recht warum.
Ich habe Jean Ziegler persönlich sehr positiv wahrgenommen. Ja, manchmal auch schwierig, immer eigenständig, fast exotisch. Sicher kein treuer Parteisoldat. Aber immer sehr persönlich, menschlich, engagiert. Ich glaube, er ist sich oft auch ziemlich fremd vorgekommen im Bundesbetrieb in Bern. Er hat sich glaub' oft gewundert darüber, welche Themen als relevant galten und für Aufregung sorgten, während Anderes, was ihm wichtig war, Wenige interessierte.
Er war aber auch jemand, der offen war für Gespräche und Argumente von Nationalratskollegen anderer Parteien - bis hin zur damals noch sehr anderen SVP. Er war - ausser in seinen bekannten Schlüsselthemen - in vielen Fragen, anders als öffentlich wahrgenmommen, kein Dogmatiker, sondern offen für Argumente. Und vorallem hat er seine Kollegen als Personen/Menschen immer akzeptiert, mochten Sie noch so anderer Meinung wie er gewesen sein. Diese Qualität hat er übrigens mit einigen der damaligen Exponenten aus dem bürgerlichen Lager (damals noch inkl. SVP) geteilt.

Andrea Müller hat gesagt…

Gerhard Ingold hat Contextlink den folgenden Kommentar geschick":

"Propheten gelten nichts im eigenen Land. Jean Ziegler sieht Zusammenhänge, welchen man sich am liebsten verschließt.

So hofiert man ja auch China, wie einst Gaddafi und anderen Diktatoren.

Ich zähle zu den Ver-rückten und habe entsprechend verrückte Anzeigen gemacht. Bewusste Provokation. Siehe dazu www.Gerhard-Ingold.blog.de."