Zum Bild: ja, dieses Bild habe ich schon einmal auf Contextlink verwendet. Ich bring's ganz bewusst nocheinmal. Das Kind (aus dem Kongo) ist mit Sicherheit schon längt verhungert, aber an der Situation hat sich nichts verändert.
Die Welt zelebriert zur Zeit die Hilfe für Haiti. Gut für die Haitianer.
Dabei gibt es zahlreiche Katastrophen auf dieser Welt, die von den Medien unbeachtet täglich geschehen, weniger spektakulär, wenn auch nicht minder dramatisch.
Es gibt auch Katastrophen, die sich ankündigen und die vermieden werden könnten, wenn rechtzeitig internationale Hilfe mobilisiert und organisiert würde. Für relativ wenig Geld.
Die UNO hat eben - einmal mehr - einen dringenden Hilfsappell für den Niger an alle "Partner" gerichtet. Doch die Medien berichten nicht darüber. Sogar in Google muss man lange suchen, um neben dem offiziellen UNO-Verlautbarung eine "Multiplikation" des Alarms zu finden. Schon gar nicht in einem Medium im reichen Westen, wo das Geld herkommen müsste.
Haiti ist viel sexier als Niger, und Haiti besetzt zur Zeit das Feld "Hilfe/Spenden" der Medien und damit ist der Wohltätigkeitsbedarf der reichen Menschen bis auf weiteres befriedigt.
Nach Schätzungen der UNO sind in den nächsten Monaten gut 5 Millionen Menschen, 3 von 5 der Bevölkerung des Nigers, vom Hunger bedroht. Es wird wohl im kommenden Sommer wieder die schrecklichen Bilder hungernder Kinder brauchen, den "CNN-Effekt" wie das der Spiegel bei der letzten Hungerkatastrophe im Niger 2005 nannte, dass dann wenigstens ein Alibi-Notprogramm zustande kommt. Es wird nicht nur zu spät kommen, sondern erst noch viel teurer sein, als wenn jetzt die Hilfe organisiert würde.
Dabei wissen alle, was "passieren" wird. Was 2005 galt, gilt auch 2010: "Die ignorierte Hungerkatastrophe", titelte der Stern 2005 auf dem Höhepunkt des Dramas in Niger , dem zweitärmsten Land der Welt. Und der Lead dazu: "Bereits seit Monaten warnen die Vereinten Nationen vor der Nahrungsmittelknappheit im Niger. Doch die internationale Gemeinschaft spendete nicht. Nun sind fast eine Million Kinder vom Hungertod bedroht."
Das können wir gleich copy-pasten im nächsten Sommer. Die Medien gefallen sich dann wieder in der Rolle der Ankläger. Man hätte "wieder einmal zu spät" reagiert (anderes Besipiel von 2005: CBS-News). Ich wette aber, kein einiges westliches Medium schickt jetzt rechtzeitig ein Reportage-Team nach Niamey, Maradi oder Zinder (das sind Städte im Niger; nie gehört oder?), um über die Situation zu berichten.
Herzergreifende, dramatisch inszenierbare Stories gäbe es genug: "Ein Großteil der Bevölkerung muss mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen, 63 Prozent der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Die Kindersterblichkeit ist extrem hoch. 80 Prozent der Kleinkinder unter fünf Jahren sterben an Malaria und Durchfall." (Zitat aus einem Situationsbericht der Caritas vom Juli 2009). Oder: "Rund 80 Prozent der Jugendlichen in der Hauptstadt Niamey finden keine Erwerbsmöglichkeit. Ihr Traum von Freiheit und Unabhängigkeit endet häufig auf der Straße mit ausbeuterischen Arbeitsstrukturen oder in der Kleinkriminalität." (ebenda).
Doch ich sehe vor meinem geistigen Auge schon, wie der verantwortliche TV-Produzent leicht genervt gähnt als Reaktion auf den entsprechenden Niger-Vorschlag eines einsamen Reporters: "Hey, da geht niemand hin oder kannst Du mir EIN wichtiges Medium nennen, das darüber berichtet hat?" Recht hat er. Ein internationales Thema ist erst verkaufbar, wenn breit, also möglichst von allen Medien, darüber berichtet wird. Exklusivität ist nicht gefragt. Nur "more of the same" verkauft sich.
Und die Chancen sind gleich null, dass die internationale Medienkaravane, die zur Zeit Haiti verlässt, weil das Interesse ihrer Zuschauer inzwischen bis zum Letzten ausgewrungen ist, ihre Zelte als Nächstes im unwirtlichen Sahel aufschlägt. Mit dem Niger und einer sich erst ankündigenden Katastrophe macht man keine Quoten.
Niger ist geopolitisch absolut unwichtig. Vielleicht verirrt sich ein Hollywoodstar auf Abenteuerurlaub in die Sahara. Dann könnte man den vielleicht entführen. Oder vielleicht könnten Madonna oder Angelina mit einer Sekte von Gesundbetern ein paar herzige Neger-Kinderchen zur Adoption entführen. Doch die Medien-Massen würde auch dadurch wohl nicht angelockt.
Und so wird's halt wieder "passieren". Diesmal sind nicht wie 2005 die Heuschrecken Schuld an der Hungersnot. 2010 sind noch viel mehr Menschen gefährdet als damals. Der Niger ist so abgewirtschaftet, die Bevölkerung inzwischen so verarmt, dass die ungenügenden Regenfälle im Herbst 2009 ausreichen, um die Katastrophe im Sommer 2009 auszulösen. 2,7 Millionen sind akut bedroht. Weitere 5,1 Millionen könnten zusätzlich betroffen sein. Die Hälfte der Bevölkerung hat laut Angaben der UNO nur noch Nahrungsmittelreserven für 2 Monate. Die nächste Ernte wird aber erst im kommend Oktober möglich sein.
Und so werden wir wohl etwa im Juli/August wieder die Bilder trauriger Kinderaugen und ausgemergelter Körperchen zu sehen bekommen. Oder sind es Bilder aus Somalia oder aus Äthiopien? Wer kann das schon unterscheiden, wer kann die Bilder überhaupt noch sehen?
Dabei würde ein Bruchteil der Hilfe, die jetzt für Haiti bestimmt ist - und dort zur Zeit gar nicht unter die Leute gebracht werden kann - ausreichen, um nicht nur die Katastrophe im Niger abzuwenden.
Rund 1 Milliarde Menschen werden 2010 gemäss UNO Hunger leiden. NUR 25 bis 40 Milliarden wären nötig, um die Welthungerkrise zu überwinden. Die Schweiz allein hat letztes Jahr fast doppelt soviel Geld allein zur Rettung einer einzigen Bank ausgeben.
1 Kommentar:
Nicht nur das sudanesische Kind auf dem Foto ist tot: Kevin Carter der 1994 für das "geschosse" Foto den Pulitzer- Preis bekommen hat, brachte sich 33jährig um. Der Profi ist mit dem Trauma der Krisen-Berichterstattung nicht klar gekommen. -- Sad news, indeed.
Und mindestens so beelendend: Exakt genau so wie im Blog- Beitrag beschrieben geht's in der Medienrealität zu und her. Der Medientross erholt sich nach Haiti zuerst mal ein bisschen, die nächste Katastrophen- Rally kann warten. Ein Narr, wer immer noch an Inhalt vor Form hofft - und selbst die Hoffenden sind dabei, aufzugeben.
Sad, and bad news.
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