Bild: Visum-reportagen.de
In den wichtigen Polit-Publikationen hier in den USA ist die Demographie DAS Thema. Das Monatsmagazin "Foreign Affairs" z.B. titelt gross "The New Population Bomb". Und auch Foreign Policy fährt das Thema gross, allerdings mit einem anderen Fokus: "$123,000,000,000,000". So gross werde das Bruttosozialpodukt Chinas im Jahr 2040 sein. Im Untertitel fügt der Autor, Wirtschaftsnobelpreis-Träger Robert Fogel vielsagend an "Be warned", seid gewarnt. (Sehr spannend auch die Replik zum Fogel-Artikel von Nicholas Consonery auf Foreign Affairs).
Der Fokus China zeigt, worum es geht. Die Basisdaten für die alarmistischen Hintergrundartikel in den amerikanischen Publikationen sind nicht neu. Es sind die laufend aufdatierten UNO-Zahlen zur Entwicklung der Weltbevölkerung bis 2050. Bisher hat man sie zwar zur Kenntnis genommen im Sinne von: "Wow, 9,15 Milliarden Menschen", aber die gute Nachricht war, dass das die Obergrenze sein würde, dass die Weltbevölkerung ab 2050 nicht mehr weiter wachsen werde. Und allgemeine war man sich einig: Das müsste zu bewältigen sein.
Der Süden (und China) regiert die Welt
Unter dem Eindruck der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise und dem praktischen Erlebnis, dass der Westen an Einfluss verliert und der Süden (z.B. Brasilien) und insbesondere China inzwischen sehr selbstbewusst demonstrieren, dass die Zeiten der westlichen Dominanz definitiv vorbei sind, erscheinen die Zahlen in einem anderen, viel erschreckenderen Licht: Es herrscht Endzeitstimmung.
Nicht nur, dass die Chinesen mit 40% des Bruttoweltprodukts (GDP) die mit Abstand wichtigste Wirtschaftsmacht sein werden (zum Vergleich: USA 14%, Europa 5%), sie werden wohl auch die Regeln auf diesem Planeten diktieren. Nur logisch, wir haben das ja auch gemacht. Und das Verhalten der neuen Big-Player scheint die Befürchtung zu bestätigen, dass die wichtigste Regel des Kapitalismus auch die Zukunft gelten wird: Wer das Geld hat, hat die Macht.
Den Chinesen geht's bald besser als uns
Bisher schien das alles ja nicht so dramatisch mit der neuen Weltordnung. Wir konnten täglich am Fernsehen sehen, dass es den Chinesen nach wie vor schlecht ging, nicht nur in Sachen "Freiheit", auch in Sachen Lebensqualität und Konsummöglichkeiten. Wir wussten zwar, dass die führende westliche Macht, die USA, inzwischen wirtschaftlich total von China abhängig ist. Gleichzeitig hatten wir aber auch verstanden, dass die Chinesen umgekehrt genauso auf die USA als Abnehmer für ihre Güter angewiesen sind. Wir konnten beruhigt zu unserem gewohnten, privilegierten Alltag zurückkehren. Wir wussten, die Chinesen brauchen uns, als Konsumenten aber auch als Lieferanten von Hightechprodukten und als Berater.
Aber, stellen die Analysten erschreckt fest, das ist nicht mehr lange so. Bald sind wir auch als Knowhowträger und Konsumenten höchstens noch eine Randerscheinung. Bis im Jahr 2030 - das ist in 20 Jahren, dann sind meine Töchter 40 Jahre alt - werden 1,2 Milliarden Menschen der bisherigen 3. Welt den Lebensstil einer Mittelklasse erreicht haben. 1,2 Milliarden - das sind mehr als die Bevölkerung von Europa, Japan und der USA zusammen - mehr als 1,2 Milliarden Chinesen, Brasilianer, Inder oder Indonesier werden sich regelmässig ein Mittelklasse-Auto oder jährlich Ferien leisten können, auf jedem Stock im eigenen Haus nicht nur ein eigenes WC haben, sondern auch die neusten Errungenschaften der Elektronikindustrie.
Noch schlimmer, eigentlich unvorstellbar: Den Chinesen zum Beispiel, jedem Einzelnen, wird es im Schnitt besser gehen als uns. Robert Fogel prognostiziert in Foreign Policy, dass ein Durchschnitts-Chinese 2040 85'000 USDollar verdienen wird, doppelt so viel wie der Durchschnitts-Europäer. Oder anders ausgedrückt: Ein Chinese wird doppelt so gut leben, wie ein Franzose oder Deutscher oder Schweizer. Das ist in der Tat wohl für alle von uns schockierend.
Der Westen wird alt und teuer
Nicht, dass es uns schlecht gehen wird. Wir können noch immer davon ausgehen, dass wir im Durchschnitt nicht darben müssen - zum Beispiel hungern oder frieren, aber wir müssen kämpfen und uns wohl einschränken. Die Zeit des scheinbar gottgegebenen automatischen Immer-Weiter-immer-Mehrs ist vorbei.
Das Bruttosozialprodukt im alten Westen wird sich zwar bis 2050 noch einmal verdoppeln (das BSP der übrigen Welt gleichzeitig verfünffachen; Zahlen gemäss Goldstone: Foreign Affairs Print-Magazin), aber ein guter Teil des Wachstums droht durch steigende Gesundheits- und Sozialkosten aufgefressen zu werden. Es tickt die andere demographische Bombe: Die zunehmende Überalterung der Bevölkerung. Die UNO rechnet mit 47% mehr über-60-Jährigen in Europa. Gleichzeitig verliert Europa aufgrund der demographischen Entwicklung bis 2050 120 Millionen Erwerbstätige. Nicht nur, dass die Finanzierung der Alten zum dominierenden Problem wird, es fehlt schlicht auch an Konsumenten.
Neue Weltordnung
Jack A. Goldstone teilt in seinem Foreign Affairs-Essay die Welt der Zukunft in drei neue Gruppen ein:
1. Welt: Japan, USA, Europa, Südkorea, Taiwan, China nach 2030; Länder mit einer alternde Bevölkerung
2. Welt: Brasilien, Iran, Mexiko, Türkei und China bis 2030: junge, dynamische und gleichzeitig stark wachsende Länder
3. Welt: Länder mit schnell, wachsende Bevölkerung, viele Junge, aber wenig Wachstum, arm, politisch unstabil
Die Einteilung scheint mir etwas Willkürlich bezüglich Rangierung. Den Anspruch auf das Label 1. Welt gehört nicht mehr uns. man kann sich fragen ob wir noch die 2. Welt sind, angesichts der langfristigen Perspektiven wohl auch nicht, also wohl eher 3. Welt. Damit es nicht so negativ tönt, könnten wir uns ja um ein netteres Label bemühen: "Die alte Welt".
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