Montag, 1. Juni 2009

Europa 2030: vorwärts ins neue Mittelalter

Bild: Europa bei Nacht; von schulbilder.org

Wir Europäer neigen dazu, die Rolle Europas in der neuen Weltordnung gering zu schätzen. Viele Experten prognostizieren eine künftige Dominanz Asiens. Andere sind überzeugt, die USA werden noch das ganze 2. Jahrhundert die dominierende Weltmacht bleiben. (Eine Zusammenfassung der These in diesem Contextlink-Beitrag)

Der indisch-stämmige, US-amerikanische Politologe Parag Khanna vertritt in seinem Buch "Der Kampf um die zweite Welt" die These, entscheidend werde sein, welche Einflusssphären sich die drei wichtigsten Blöcke, USA, China und Europa, in der Zweiten Welt der aufstrebenden Mächte wie Brasilien, Indien oder Iran und der Türkei sichern können.
Khanna ist ein bekennender Europafan. In seinem neusten Artikel auf seiner eigenen Webpage legt er dar, warum er Europa mit seinem regionalen System als Vorbild hält, welches der Rest der Welt nachahmen wird.

Das ist der Artikel leicht gekürzt (in der ganzen Länge ist er hier download-bar):

"Die Globalisierung wird fortschreiten – und ein weiteres Aufweichen nationaler Ordnungsstrukturen bewirken. Der langwierige Transitionsprozess hin zu einem globalen Regierungssystem wird, ähnlich dem Mittelalter, von Unsicherheit geprägt sein. Doch Europa hat ein regionales Governance-System entwickelt, das den Weg durch diese Epoche weisen kann."

"Europa erfand, benannte und prägte sämtliche Zeitalter der Weltgeschichte – und wird das auch in Zukunft tun."
"Im 21. Jahrhundert erweist sich Europa als Vorreiter eines postnationalen Regionalismus samt einer dazugehörigen postmodernen Governance-Struktur, die in der ganzen Welt Nachahmer findet. Verschiedenste Zeichen deuten darauf hin, dass die Welt einmal mehr Europas Weg folgen wird. Man denke nur an die derzeitige globale Finanzkrise, die verständigen Beobachtern die Notwendigkeit einer Balance zwischen einem deregulierten amerikanischen Kapitalismus sowie einer unflexiblen, überdeterminierten Staatssteuerung vor Augen führt – mit einem sozialdemokratischen Kapitalismus europäischen Zuschnitts als gangbarem Mittelweg."

"Das neue Mittelalter – gleichbedeutend mit unserem Zeitalter postmoderner Globalisierung – hat bereits begonnen. Insbesondere der Stadtstaat, als bedeutendste politische Einheit des Mittelalters, wird seine Wiederauferstehung fortsetzen."
"Heute wie damals sind diese Stadtstaaten Zentren des Handels, die weitgehend losgelöst von ihrer Nationeneinbindung agieren und funktionieren. Europa wird sich in seine Nachbarregionen einkaufen und mit seinem regionalen Modell weltweit Nachahmer finden."

"Das neue Mittelalter wird sowohl multipolar sein, mit expandierenden Imperien auf der eurasischen Landmasse, als auch apolar, d.h. ohne eine dominierende globale Führungsmacht. Dem Streben Karls des Großen, das Heilige Römische Reich wieder zu errichten, folgen heute die Nadelstreifenarmeen Brüsseler Eurokraten, die beharrlich die kontinentalen Außenbezirke des Baltikums, des Balkans und möglicherweise auch Anatoliens und des Kaukasus kolonisieren."

"Nicht nur werden die Türkei und die Ukraine im Jahr 2030 Mitglieder der EU sein, sondern mit ein wenig Glück sogar ein entvölkertes und mürrisches Russland. Schon jetzt eine der wichtigsten Energiearterien Europas, spielt die Türkei eine immer wichtigere Rolle als Handelskorridor und Investitionspartner nach Zentralasien und dem Nahen Osten. Das Straßennetz, das Anatolien mit dem Kaspischen Meer verbindet, wird bis nach Syrien, ja dem Iran und Irak ausgebaut und so einen direkten Zugang zu den Energiequellen des Nahen Ostens
gewährleisten – und auf dem Rückweg als Exportroute europäischer Spitzenprodukte dienen. Der Nahe Osten wird 2030 ein Teil der europäischen Einflusszone sein. Zwar wird die arabische Bevölkerung dann zahlreicher als die europäische sein, aber die Energievorkommen sind geschrumpft und daher werden die Handelsbeziehungen immer stärker von einem großen Bedarf europäischer Investitionen und Produkte geprägt – von Autos bis Solarzellen."

"Der Islam wird ein zersplitterter Glaube bleiben, weit praktiziert, aber dem Streben nach ökonomischer Entwicklung untergeordnet. Genauso wie Europa den Kommunismus aufgekauft hat, wird es die Reform des Islamismus hin zu einer konstruktiven, gedeihenden, sozialen Demokratie erkaufen. Die nordafrikanischen Staaten finden sich immer stärker an Europa gebunden, durch Gaspipelines, Billiglohnproduktionen und Landwirtschaft. Sarkozys Vision einer Mittelmeer-Union wird als Wiederauferstehung des Römischen Reiches Wirklichkeit geworden sein – mit Brüssel als Hauptstadt."

"Auch andere Weltregionen werden europäische Hierarchien übernehmen.
China wird seine Restauration des alten Reiches der Mitte abgeschlossen haben und mit seinem massiven Exportvolumen die halbe Welt versorgen und die Pipelines bis tief ins eigene Zentrum ausbauen. Auch die Diaspora weltweit wird für einen belebenden Rückfluss an Gütern und Ideen sorgen. Das dritte globale Gravitationszentrum werden die USA bleiben, demografisch stabil und in immer engerem Austausch mit Lateinamerika."

"Die Übertragung des europäischen Modells auf die USA wird sich zunächst in den Bereichen des sozialdemokratischen Kapitalismus sowie der föderalen Regierungsmechanismen für regionale Institutionen und Märkte zeigen – aber auch im Bereich der Außenpolitik. Durch die ruhige Hand der Strukturreform sowie durch Investitionen wird Europa seine Peripherie modernisiert und liberalisiert haben, eine Strategie, die Amerika als Schlüssel zu einer Stabilisierung Mexikos und Zentralamerikas erkennt. Auch die US-amerikanischen Beziehungen zu China werden hoffentlich von solch einer Vorgehensweise geprägt sein, die den Fokus auf wechselseitige Verantwortung legt und kulturelle Eigenheiten zulässt – anstatt sich auf ein amerikanisches Demokratiemodell als Bedingung zu versteifen."

"Europa ist also hervorragend aufgestellt, als ideologischer und kultureller Mittler zwischen West und Ost zu wirken. Bereits heute werden indische und chinesische Künstler auf dem europäischen Parkett hoch gehandelt, und wohlhabende Chinesen und Inder sind fleißige Käufer der europäischen Impressionisten und Modernisten. Vergleichbares gilt auch für das Gebiet der Bildung. Schon jetzt studieren mehr Chinesen an europäischen Universitäten als an
amerikanischen – und nehmen dort das neue, sozialdemokratische Ethos des 21. Jahrhunderts genauso begierig auf wie einst den europäischen Marxismus und Kommunismus des 19. und 20. Jahrhunderts."

"Das Modell einer regionalen Regierungsstruktur wird auch von Südamerika und Afrika übernommen werden."

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