Samstag, 9. Mai 2009

Af-Pak: Unrealistische US-Strategie (Up-date)

Bild: Centcom

Die neue Strategie der USA für Afghanistan ist gescheit und richtig. Es ist allerdings zu befürchten, dass sie zu gescheit ist für diejenigen, die sie in die Praxis umsetzen müssen: Die US-Militärs.

Der Vordenker der neuen US-Militärdoktrin und oberster Kommandant der US-Truppen für die ganze Grossregion Arabien/Zentralasien (Centcom), General David Petraeus, hat dem Herausgeber der Zeit, Joseph Joffe, ein weiteres spannendes Interview gegeben. Petraeus' Ideen sind grundsätzlich brillant, er ist differenziert und - natürlich - optimistisch. Aber auch er ist sich bewusst, dass die neue, im Irak in den letzen 3 Jahren angewandte Strategie eine "Kulturrevolution" (Zitat Petraeus) für die Militärs bedeutet.

Up-Date 11.5.09: Innerhalb der obersten Militärkreise und in der obersten Regierungspitze in den USA findet offenbar zur Zeit eine Diskussion über die Praktikabilität und die Richtigkeit der Petraeus-Strategie statt. U.a. wird auch darüber diskutiert, ob die aktuellen massiven Bombardements mit zahlreichen zivilen Opfern, der Hauptstossrichtung der neuen Strategie "Schutz der Bevölkerung" nicht diametral zuwiderläuft. Gen. David Petraeus hat gemäss einem Bericht von Stratfor jetzt davor gewarnt, Taktiken anzuwenden, welche "die strategischen Ziele der USA in Afghanistan untergraben". Nichts scheint mir offensichtlicher. Allein dass man darüber diskutiert, zeigt, dass die Militärs selbst nicht wirklich an Petraeus' Strategie glauben. Aber viel schlimmer noch: Wie Stratfor-Herausgeber Gorge Friedman schreibt, scheinen Präsident Obama und Verteidgungsminister gates nicht merh hinter der Strategie von Petraeus zu stehen. Das Desaster ist vorprogrammiert.

Das Zeit-Gespräch mit General Petraeus:

ZEIT: In der neuen Doktrin heißt es: Wer die moralische Legitimität verliert, der verliert den Krieg. Nur: Wie kann eine fremde Besatzerarmee je legitim sein?

Petraeus (Bild links): Man zeigt durch sein Tun, dass man da ist, um der Bevölkerung zu helfen – ihr Sicherheit zu geben, die Wirtschaft zu beleben, Schulen zu bauen, genau, was wir jetzt im Irak machen.

ZEIT: Eine Armee ist doch kein Wirtschafts- und Wohlfahrtsministerium.

Petraeus: Doch. Wir haben Reservisten, Bürgermeister, die wissen, wie man eine Stadt verwaltet. Ingenieure, die Zivilprojekte leiten.

ZEIT: Trotzdem: Die Aufgabe einer Armee ist es, zu töten, zu zerstören.

Petraeus: Das ist eben das Neue, die bemerkenswerte Verwandlung unserer Soldaten. Die haben wie die Teufel gekämpft. Kaum aber war der Feind besiegt, mussten sie Nation-Building betreiben. Am nächsten Tag die Grundversorgung sicherstellen. Lokalwahlen organisieren.


Kritik an Petraeus-Strategie

Petraeus ist überzeugt, diese Strategie sei im Irak erfolgreich gewesen und könne jetzt auch mit wichtigen Anpassungen in Afghanistan angewandt werden.
Natürlich ist er der Meinung, die Kritiker hätten unrecht, die behaupten, der Erfolg in Irak sei einzig und allein auf die massive Aufstockung der US-Truppe ("Surge") zurückzuführen. Die aktuelle, sich wieder akut verschlechternde Lage im Irak scheint anderen Kritikern Recht zu geben: Petraeus habe mit seiner Strategie, die Milizen der Sunni-Mullahs zu bewaffnen, die Voraussetzungen für die künftige grosse Katastrophe im Irak nach dem Abzug der US-Truppen (ab Juni 2009) geschaffen: ein grosser Bürgerkrieg zwischen den Schiiten und den Sunniten.

Petraeus weiss um die völlig andere Situation in Afghanistan, und dass er noch viele Tassen Tee trinken muss, um echte Fortschritte zu machen, aber Petraeus glaubt - hofft? -, auf seine Soldaten vertrauen zu können:
"... vergessen Sie nicht, wie viel Erfahrung wir inzwischen gesammelt haben. Die Truppe, die jetzt zur Verstärkung nach Afghanistan geht, hat schon vier Jahre im Irak gekämpft, davor in Bosnien. Es gibt keine Armee in der Welt, die so viel Erfahrung mitbringt, außer Teile der britischen."

Überforderung der Soldaten
Doch die bisherigen Erfahrungen mit der US-Armee in Afghanistan lassen nicht nur Obama und Gates, sondern auch aussenstehenden Beobachter am Optimismus von Petraeus zweifeln. Nicht nur die politische Lagebeurteilung Petraeus scheint zweifelhaft, sondern auch seine Einschätzung der Fähigkeiten der US-Truppen und ihrer Kommandanten, die äusserst anspruchsvollen Vorgaben der neuen Strategie in der komplexen, andern Realität in Afghanistan umzusetzen.
Das Beispiel der Katastrophe von Wanat (Bild oben FP Foreign Policy) im vergangenen Juli in Ostafghanistan, wo eine ganze Einheit von US-Soldaten in einem Aussenposten - gemäss der neuen Strategie - verheizt wurde, zeigt, dass die Strategie schon für viele Truppenkommandanten eine Überforderung darstellt. Noch grösser sind die Zweifel, dass die gewöhnlichen Soldaten fähig sind, die Anforderungen der Strategie zur erfüllen. Nicht zuletzt deren wirklich militär-kultur-revolutionäre Forderung der "kulturellen Sensibilität".

Christliche Gotteskrieger
Zu den am häufigsten angeklickten Videos auf Al-Jazeera zählt zur Zeit die Predigt des obersten Militärpfarrers der US-Armee in Afghanistan, Oberstleutnant Gary Hensley in Bagram, einer der grössten US-Militärbasen in Afghanistan. Der evangelikale Fundamentalist Hensley heizt seinen uniformierten Schäflein ein: "Die Jungs von den Spezialeinheiten - sie jagen Männer. Wir tun dasselbe als Christen, wir jagen Menschen für Jesus. Wir tun es, wir jagen sie." und: "Schickt den Himmelhund aus nach ihnen, so werden wir sie ins Königreich bekommen."
Auf dem Boden der US-Militärkapelle: Ein Stapel Bibeln, übersetzt auf Pashtu, die Sprache der meisten Afghanen, die Sprache der Taliban.



Gerne wüsste ich, ob General Petraeus angesichts solcher Vorfälle, die mit Sicherheit nicht einfach als Einzelfälle abgetan werden können, nicht auch von Albträumen geplagt wird.

Eine Strategie kann nur so gut sein, wie die Leute, die sie umsetzen. Ich fürchte, da bleibt wirklich nur das Beten.

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