Montag, 27. April 2009

Mein Deutschland. Konzentrationslager.

Ich sei etwas arg germanophil kritisieren mich gute Bekannte. Ich würde insbesondere die üblen dunklen Flecken der deutschen Geschichte und der Deutschen ausblenden. Gemeint ist natürlich in erster Linie der Holocaust.

Also bin ich in die KZ-Gedenkstätte Dachau gefahren, um mich mit dieser Geschichte, über die ich in den vergangenen 30 Jahren sehr viel gelesen und nachgedacht haben, unmittelbar zu konfrontieren.

Dachau: Nüchterne Gedenkstätte des KZ-Modells
Zuerst war da eine Irritation: Als ich auf den öffentlichen Parkplatz der Gedenkstätte knapp ausserhalb Dachaus fahre, tritt mir ein Mann in den Weg. "Parkgebühr 3 Euro." Kein Hinweis auf eine Gebührenpflicht, schon gar kein Einfahrtstor, keine Abschrankung - vielleicht hat man hier eine verständliche Sensibilität gegen Abschrankungen. Mein erster Reflex, der mich in dem Moment schon wundert, als es mir durch den Kopf geht: "Jetzt verdienen die auch noch Geld damit." Der Eintritt in die eigentliche Gedenkstätte war dann gratis.

Dachau war das erste deutsche Konzentrationslager. Die ersten Gefangenen wurden hier schon 1933 interniert. Es waren zuerst politische Gegner, darunter auch Juden, aber vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, später auch Homosexuelle, Romas, Zeugen Jehovas, alle "Menschengruppen, die nicht in das nationalsozialistische Gesellschaftsbild passten und aus der "Volksgemeinschaft" ausgeschlossen werden sollten," wie es auf der Web-Page der Gedenkstätte heisst.

Dachau war das Modell der SS für alle weiteren deutschen Konzentrationslager.
Der Besucher betritt das Lagergelände heute durch denselben Zugang wie die Gefangenen damals: durch ein kleines, schmiedeisernes Tor im "Jourhaus" mit dem berühmt-berüchtigten Schriftzug "Arbeit macht frei".

Mich frappiert zuerst die Grösse des Lagers. Es war ursprünglich für 6000 Gefangene geplant. Bei der Befreiung am 29. April 1945 trafen die US-Truppen aber auf 30'000 Menschen.
Verstärkt wird dieser Eindruck der Grösse durch den Umstand, dass die 34 Baracken des Lagers, streng symmetrisch entlang der von Pappel gesäumten, breiten "Lagerstrasse", bis auf zwei Gebäude abgebaut sind und nur durch ein steinernes Fundament markiert sind. Das Gelände vermittelt den Eindruck einer grossen Leere.

Aktuell-vertraute Parolen
Stehen gelassen wurden verschiedene Funktionsgebäude wie das Krematorium, das Lagergefängnis oder das Wirtschaftsgebäude auf der anderen Seite des grossen Apellplatzes, auf dem die Häftlinge jeden Tag stundenlang zu Zählungen oder anderen Schikanen antreten mussten. Gemäss der Dokumentation in der KZ-Gedenkstätte im Internet blickten die Gefangenen dabei auf eine Inschrift auf dem Dach des Wirtschaftsgebäudes: "Es gibt einen Weg zur Freiheit, seine Meilensteine heißen: Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, Nüchternheit, Wahrhaftigkeit, Opfersinn und Liebe zum Vaterland."
Diese Parolen kommen mir unangenehm vertraut-aktuell vor. Sie sind auch heute, so - oder zumindest sehr ähnlich - auch in der Schweiz wieder in Gebrauch.

Mitschuld der gewöhnlichen Deutschen
Auf der Treppe des "Mahnmals" auf dem Apellplatz, in der wärmenden Sonne des ersten wirklichen Frühlingstages dieses Jahres, lese ich wie zur Verstärkung der Negativ-Suche einen Artikel in der aktuellen Ausgabe der "Zeit": "Celle, 8. April 1945". Er unterstreicht die Mitschuld "gewöhnlicher" Deutscher an den Verbrechen der Nazi-Schergen: Fliehende Lagerhäftlinge wurden damals in der kleinen, nordwestdeutschen Stadt Celle "gnadenlos gejagt". Und an der Jagd beteiligten sich, nur drei Tage vor der Eroberung der Stadt durch die Briten, "auch etliche Celler Bürger".


Emotionale Reaktion
Bei meinem Gang durch das Lagergelände wird mir bewusst, dass mich die sehr nüchtern gehaltene Gedenkstätte emotional wenig berührt. Ganz ähnlich ist es mir übrigens ergangen, als wir 1996 auf den Feldern bei Srebrenica filmten, wo tausende fliehender Männer aus der Stadt ein Jahr zuvor von serbischen Einheiten hingerichtet worden waren: Kein anbiederndes "Spüren der Seelen der Getöteten" oder Ergriffenheit. Eher nüchternes Bewusstsein. Vielleicht ist das auch ein Schutzreflex.
Die einzige emotionale Reaktion, die ich in Dachau an mir selbst registriere, erlebe ich beim Mahnmal und richtet sich nicht etwa gegen die Deutschen, sondern gegen Israel: Die Inschrift mahnt die "Lebenden", sich zu "vereinen zur Verteidigung des Friedens und der Freiheit und in Ehrfurcht vor der Würde des Menschen." Wie kann sein, dass der Staat Israel - der Staat der Juden - sich angesichts dieser Geschichte, so gegenüber den Palästinensern verhält?

Schuld als Alibi?
Die Deutschen, auch die Generationen, die die Nazi-Zeit nicht selbst erlebt haben, müssen mit dieser Geschichte, die auch ihre ist, leben. Viele entziehen sich heute der aktiven Auseinandersetzung. Nur ganz wenige meiner deutschen Freunde und Bekannten waren je in einer der zahlreichen KZ-Gedenkstätten. (Nur Einzelne haben sich aktiv mit ihren Eltern oder Grosseltern mit dem Krieg befasst). Bewusst ist ihnen allen aber diese "Schuld", die sie als Last - oder zumindest als unangenehm - empfinden. Tatsächlich hat dies aber mit ihrem Alltag nichts mehr zu tun. Dies empfinde ich genauso. Ich wünschte mir sehr, sie würden diese Geschichte auch als i h r e Geschichte akzeptieren und nicht aus dem Bewusstsein verdrängen;
sie würden sich noch einmal aktiv mit dem Geschehen auseinandersetzen, um sich davon zu befreien und zu einem positiven Pflichtgefühl finden und Verantwortung für die Zukunft übernehmen, sich nicht auf den eigenen Vorgarten beschränken.
Ich hege für den Bereich der Politik sogar den Verdacht, die belastete deutsche Geschichte diene Deutschland inzwischen auch als Alibi, heute in Europa und in der Welt nicht die Verantwortung zu übernehmen, welche aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke - und vielleicht gerade auch aufgrund seiner Geschichte - übernehmen müsste: Als positive Führungsmacht in Europa. (siehe dazu meine früher Contextlinkbeiträge hier und hier).

Nachtrag: Leben mit der Holocaust-Geschichte
Im unmittelbaren Anschluss an die Lagermauer beginnt in Dachau eine typisch-deutsche Vorstadtsiedlung mit gepflegten Gärten, Grillplatz und Autogarage. Beim Weggehen von der Gedenkstätte habe ich mit dem Handy das unten stehende Foto der deutschen Normalität mit - oder trotz - KZ-Geschichte gemacht: Im Hintergrund einer der Wachtürme des KZ, davor die Gärten und - fast trotzig - eine deutsche Flagge (leider auf dem Fötteli etwas klein).

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