Sie ist einer der wenigen Leuchttürme im Meer der Belanglosigkeit des deutschsprachigen Journalismus: "Die Zeit". Ein Symbol des Qualitätsjournalismus. Für diesen Journalismus sind wir noch bereit zu bezahlen, weil er viel mehr bietet als das breitgetretene "More of the Same", der Tageszeitungen (gratis oder gegen Bezahlung), welche die ganze Woche unseren Intellekt beleidigen. Die "Zeit" lese ich noch so gerne in der Printform, auch wenn die meisten Artkel auch Online zu lesen sind und das Unformat der gedruckten Zeitung eigentlich nur an einem leeren, grossen Tisch zu bewältigen ist.
Jeder Donnerstag ist ein Festtag. Dann kommt sie, die Zeit. Und sie begleitet mich durch das ganze Wochenende. Meist sind es mehrere Artikel, die es lohnen, die 3 Euro 80 (oder die 7 Franken 10) auszugeben, denn hier findet sich das, was ich unter "guter Journalismus" verstehe: Relevanz, Vertiefung/Einordnung, Bildung und Unterhaltung auf hohem Niveau. Wenn ich "Die Zeit" lese, habe ich das Gefühl, doch kein weltfremder Exote zu sein. Es gibt offenbar noch andere Menschen, die sich für dasselbe interessieren wie ich. Es gibt noch Verlage mit Chfredaktoren, die ihre Journalisten über relevante Themen schreiben lassen. Und häufig sind das Themen, mit denen ich - mangels einer anderen Plattform - hier auf Contextlink beschäftige.
In der aktuellen Ausgabe habe ich - wie meist - die Artikel zur deutschen Innenpolitik überblättert, aber auch diesmal findet sich gleich wie meist, eine ganze Reihe von erstklassigen Stücken, die mich bereichern:
- Der einordnende Türkei-Artikel "Von Freunden umzingelt" - "Wie die Türkei zur regionalen Grossmacht aufsteigt." "Nicht Soldaten, sondern Geschäftsleute sind die Trtäger des türkischen Erfolgs in der Welt", schreibt Autor Michael Thurmann. Und: "Für Koranprediger ist auf dieser Weltbühne kein Platz". (Contextlink u.a. hier)
- Schlicht hervorragend das Dossier zur Wichtigkeit des Rohstoffs Lithium für die Elektrische Zukunft des Autos und die zentrale Rolle, die Bolivien dabei spielen wird: "Der Schatz im Salzsee". (Noch nicht online). Analytisch, kritisch, differenziert. (Contextlink hier)
- Eine sehr vielfältige, analytische Reportage "Das Gold der Slums" über die Favelas in Rio de Janeiro.
- Die ganz andere und deshalb umso erhellendere Sicht auf die Weltklimapolitik: China und Indien nicht als Blockierer, sondern als aktive, selbstbewusste und sehr wohl progressive Macher. (noch nicht online)
- Und wie immer sehr politisch das Feuilleton. Diesmal mit einem wichtigen Essay des Philosophen Jürgen Habermas "Wir brauchen Europa". Habermas wendet sich an die Deutschen, wir Schweizer sollten uns aber mindestens so sehr angesprochen fühlen. (noch nicht online).
- Das Highlight der aktuellen "Zeit" ist aber der Artikel des österreichischen Schriftstellers Robert Menasse: "Die demokratische Gefahr." Ich hoffe, ich finde morgen die Energie, näher auf diese sehr anregende Provokation einzugehen. Jetzt nur ein Zitat: "Demokratie setzt den gebildeten Citoyen voraus. Wenn dieser gegen die von Medien organisierten Massen nicht mehr mehrheitsfähig ist, wird die Demokratie gemeingefährlich." (noch nicht online).
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1 Kommentar:
Diese Hymne stellt vor allem Schweizer Presseerzeugnisse in Frage. Es gibt bald keine Publikationen mehr, die sich dem tiefer schürfenden und auch mal ausladenden Journalismus verschrieben haben. Es gibt die NZZ und die Weltwoche, doch auch dort sind nur selten richtig lange Stücke zu lesen. Ab und zu mal was liefern die Sonntagszeitungen oder die Magazine (vom Tagi und vom Sonntags-Blick), manchmal sind da aber auch lange Stücke mit wenig Substanz zu lesen.
In Deutschland gibt's aber schon noch einiges an Konkurrenz für die Zeit: Frankfurter Allgemeine, Welt, Süddeutsche, Spiegel, taz, sogar die Frankfurter Rundschau sind öfters mal besser als die Zeit - weitere Produkte können durchaus gleichziehen.
Doch in der Deutschschweiz? Klar hat da die "Zeit" Erfolg.
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