Flüchtlinge in Lampedusa 11.2.11 |
Kampagne gegen Waffeninitiative |
Noch vor wenigen Tagen haben wir heimlich mit ihnen mitgefiebert, als sie auf dem Tahrirplatz in Kairo oder in der Strassen von Tunis, Algier, Amman, Sanaa (bald in Dschiddah, Damaskus, Tripolis) "Freiheit" forderten. Heute strömen die Helden des "Volks"-Aufstands erneut zusammen: in Lampedusa, an der Grenze zu Europa. Vorerst sind es meist junge Männer aus Tunesien.
"Freiheit" heisst für die jungen Menschen in der arabischen Welt (und weiter im Süden) nicht das Recht auf die Ordonnanz-Waffe im Schrank. Freiheit heisst teilhaben. Teilhaben am Wohlstand, eine Zukunft haben, in Würde leben, eine Familie gründen und sich und den Seinen das Nötigste kaufen können. Freiheit heisst auch, reisen zu können. Dorhin, wo's eine Zukunft gibt. Dorthin, wo die Menschen alle diese Freiheiten haben. Zum Beispiel nach Europa. Europa liegt so nah. Die jungen Araber leben am selben Meer wie wir Europäer, bloss auf der anderen Seite des Mittelmeers.
Jetzt fordern die Italiener Unterstützung wegen der Notlage in Lampedusa: Bewaffneter Schutz der Festung Europa wird eingefordert. Schutz vor den Menschen, die sich eben erst unter dem Applaus von uns Westlern ihre "Freiheit" erkämpft haben.
Vielleicht werden bald Schweizer Blaumützen benötigt, um Flüchtlingslager ausserhalb Tripolis zu bewachen. Oder wird gar das Bild real, das die üble Propaganda der Gegner der Anti-Waffeninitiative jetzt wochenlang suggeriert hat: Kommt bald der Tag, an dem von uns erwartet wird, dass wir unser Sturmgewehr aus dem Schrank holen, um die Drohung des Plakats wahr zu machen: Die Ausländer mit Waffengewalt in die Schranken weisen. Sollen wir, das waffentragende "Volk", auf die Flüchtlinge, die Helden von Tahrir, schiessen? Bei uns im Dorf oder oben an der Landes-Grenze auf der Chrischona?
Hoffentlich ist das wirklich absurd. Inch'allah. Aber statt auf Gott zu vertrauen, erwarte ich von den Mächtigen dieses Landes, die für sich in Anspruch nehmen, das Wohl dieses Landes und seines "Volkes" im Sinn zu haben, dass sie eine echte Lösung für dieses reale Problem suchen und finden. Wie werden wir mit den Flüchtlingen aus unserer Nachbarschaft leben? Wenn das Gewehr im Schrank nicht die Lösung ist, was dann? Oder vertrauen wir darauf, dass die EU das Problem für uns lösen wird? (Und wir horten dafür als Gegenleistung weiter die Gelder der Steuerhinterzieher aus der EU.)
Ohne die massive Verletzung aller von unserer (christlichen) Kultur globalisierten Werte wie Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, ohne die Anwendung massiver Gewalt, werden wir den Zustrom der Migranten aus dem arabischen Raum und weiter aus dem Süden nicht verhindern können.
Selbst wenn wir unsere Politik sofort ändern und alles in unsere Macht stehende beitragen, damit möglichst viele der potentiellen Migranten eine Zukunft bei sich zu Hause sehen (Öffnung der Agrarmärkte, internationale Finanz- und Rostoffmarktkontrolle, usw.) bleibt das Problem kurz und mittelfristig (20 Jahre?) bestehen.
Wir müssen uns damit arrangieren, dass vermehrt junge Menschen aus dem Süden MIT uns leben werden. Oder sei es auch nur BEI uns - in Parallelgesellschaften.
Doch statt uns, die Schweiz, auf das Unvermeidbare vorzubereiten, schüren die künftigen Wahlsieger mit jedem erdenklichen Thema den Fremdenhass. Sie sorgen aus kurzfristigem persönlichem Machtstreben dafür, dass wir nicht einmal daran denken, eine Lösung für das dringendste reale Problem unserer Zukunft zu finden. Sie befeuern die sich abzeichnende Katastrophe. "Verantwortungslos" ist das politisch korrekteste Wort, das mir dazu einfällt.
PS:_
Offenbar versucht Bundesrätin Sommaruga eine Lösung für das kurzfristige Tunesierproblem zu finden. Wann wird ihr die SVP in die Parade fahren?
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