Pause für Adi und Andy bei den Dreharbeiten im Slum von Avenor/Accra |
Ich finde den Entscheid bei aller Enttäuschung nicht unlogisch. "Zum Beispiel Surberg" liegt wirklich mitten drin in der thematischen Vorgabe „Lebenswelten – miteinander leben“.
Unser Filmprojekt "Reverse Flow" liegt doch eher am Rand dieses Themenbereichs. Und an der Preisverleihung im Theater Solothurn haben wir heute auch mehrfach gehört, dass ein wichtiges Ziele des Wettbewerbs auch die "Förderung junger Talente" sei. Das Talent bringen wir, das mit dem "jung" aber definitiv nicht mehr.
Wir haben aber viel Lob und Schulterklopfen (gratis) erhalten und werden den allseitigen Empfehlungen entsprechen und unser "porduktionsreifes Projekt" auf dem normalen Weg über die verschiedenen Kulturbehörden einreichen, respektive zu finanzieren versuchen. Wir haben uns heute versprochen, den Film auf jeden Fall zu machen.
Der Migros möchte ich sehr herzlich danken für die grosszügige Finanzierung der Entwicklung unseres Projekts. Es hat viel Spass gemacht und uns eine perfekte Ausgangslage für die Realisierung des Films ermöglicht.
Adrian hat im eingereichten Produktionsdossier zu "Reverse Flow" eine "Anmerkung" geschrieben, die ich viel besser finde als mein offizielles Exposé ("Einleitung") in der Drehvorlage. Er ist ja schliesslich nicht nur Kameramann und Produzent, sondern auch Schriftsteller.
Adrian stellt seine "Anmerkung" unter ein Zitat des (Süd-)afrikanischen Idols und Friedensnobelpreisträger, Bischof Desmond Tutu:
Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, besaßen sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land.
Adrians Text:
"Das Bonmot von Desmond Tutu kann auch so gelesen werden: Haben die Weissen mit dem Buch, das sie so schlau einzutauschen vermochten, sich ihrer Seele entledigt? Sind sie ihrer moralischen Richtschnur verlustig gegangen? Besitzen sie heute zwar das Land, haben aber die Bibel verloren?
Fast scheint es so: Der Papst gründet ein Ministerium für Neuevangelisierung der westlichen Welt, europäische Staaten wollen die (christliche) Religion in der Verfassung verankern, Fundamentalisten jeglicher Couleur wettern gegen den Wertezerfall und gewinnen laufend Anhänger. Die Rechtspopulisten sind auf dem Vormarsch. Wer immer den konservativ-reaktionären Kanon singt, kann sich einer grossen Anhängerschaft gewiss sein. Und immer geht die Xenophobie Hand in Hand mit solchen Bewegungen.
Ausgerechnet jene, gegen die sich solche Tendenzen bei uns richten, vertreten häufig ebenso rückschrittliches Gedankengut, die MigrantInnen aus islamischen und - vermehrt - aus christlichen, afrikanischen Ländern. Die Frauen aus den Slums von Accra, die eine praktische Lebenshilfe in ihrer Gemeinschaft erfahren und die Gläubigen der charismatischen Kirchen hier mögen zwar gleiche Werte hochhalten, es ist doch nicht das selbe. Was mir hier aufstösst, die Herbetung eines Kodex, gegen den wir uns in der Hoffnung auf mehr Toleranz aufgelehnt haben, ist dort eine Haltung gegen den allgegenwärtigen Zerfall. Und wo siedelt sich unser Protagonist Dag an, der Grossverdiener aus Accra, der Kirchenunternehmer der Lighthouse Chapel? Ist er ein reiner Scharlatan oder ist er der Heilsbringer für Ghana und die ganze Welt? Mit jeder Frage, die sich in unserem Film stellt, dreht sich das Bild radikal. Er gleicht dem Spiel, bei dem mit jedem neuen Spielstein das Ganze von Grund auf neu betrachtet werden muss:
Der Name des Spiels ist REVERSI!
Der Rückfluss oder Einfluss des Südens nach Europa ist allgegenwärtig. Wo noch in meiner Jugend ein „Tschingg“ eine Sensation im Dorf war, sind heute auch in ländlichen Gegenden farbige Mitbewohner eine Selbstverständlichkeit. In der Musik, in der Esskultur, in der Malerei und Literatur stürzt man sich auf die neuen Impulse aus Afrika. Im Alltag, in der Schule, am Arbeitsplatz... tun wir uns viel schwerer mit ihnen. Dass sie nun auch unser Bedürfnis nach festen Werten, unsere Suche nach Spiritualität zu besetzen versuchen, ist eine Herausforderung, eine „Anmassung“, die wir in alle Richtungen ausloten möchten.
Glücklicherweise ist gerade jetzt eine neue Generation von kleinen Kameras auf dem Markt erschienen mit einem grösseren Chip und der Möglichkeit, lichtstarke Wechselobjektive zu nutzen. So können wir die überwältigenden Szenen in den Slums frühmorgens, wenn kein Licht die Zeremonien erhellt, aufnehmen, ohne als Fremdkörper allzu sehr zu stören. Und damit den Gegensatz zu dem multimedialen Grossanlass der Lighhouse Chapel Gottesdienste, aber auch die sterile Kirchenatmosphäre in der Schweiz im grösstmöglichen Kontrast zeigen.
Wir freuen uns auf ein kontroverses, aufwühlendes Kinoereignis!"
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