Sonntag, 16. Januar 2011

Arabische Welt: Jetzt richtet sich die Wut gegen innen.

Bild: Al-Jazeera (EPA)
Noch immer ist die Situation in Tunesien "volatil". Es ist unsicher, wie's weiter geht. Kommen wirklich substantielle Veränderungen, wie sie die vornehmlichen jungen Menschen in ihrem "Cyberwar" gefordert hat? Oder gelingt es der herrschenden Elite, doch noch weiter an der Macht zu bleiben, respektive den grossen Rest der Bevölkerung weiter von einer angemessenen Teilhabe an der Moderne auszuschliessen?

Tunesien ist ansteckend

Sicher aber ist, dass das, was zur Zeit in Tunesien abgeht, die arabische Welt nachhaltig verändert. "Die Tunesier haben eine Botschaft in die arabische Welt ausgesandt. Eine Warnung an alle Machthaber, sie seien nicht länger immun gegen die Wut der Bevölkerung." schreibt Lamis Andoni heute Abend auf Al-Jazeera (im hervorragenden AJ-Tunesien-Dossier).

Die tunesische Botschaft ist bereits in der arabischen Welt angekommen. Es fanden (und finden) Demonstrationen statt in Jordanien, Jemen, Gaza, Ägypten. Algerien hat schon wochenlange gewaltsame Manifestationen hinter sich. Weitere werden folgen.

Die Wut gegen den Westen
...

Die Wut der Bevölkerung. Das Phänomen der Wut, des Zorns in der arabischen (muslimischen) Welt, ist nicht neu. (siehe Contextlink "Generation des Zorns"). Bisher ist es den Machthabern (und islamisch-fundamentalistischen Kreisen) aber meist gelungen, diesen Zorn nach aussen, "Gegen den Westen" zu richten.

Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk hat in seinem Buch "Zeit und Zorn" 2006 eine Theorie der "Weltbank des Zorns" entwickelt: Ueber Generationen hätte sich eine Frustration in der arabischen Welt gegnüber dem Westen aufgestaut. Der islamische Terror wäre demnach nichts anderes als ein Racheakt für die Demütigungen, welche die arabische Welt und die islamische Kultur in den letzten Jahrhunderten vom "Westen" erlitten hat. Auch der Schweizer Soziologieprofessor und Drittewelt-Spezialist Jean Ziegler spricht in seinem aktuellen Buch "Der Hass auf den Westen" von einem "verwundeten Gedächtnis"


.... ist auch hausgemacht.
Diese antiwestliche Ursache der Wut in der arabischen Welt diagnostiziert auch Volker Perthes von der Stifung Wissenschaft und Politik. Er stellt aber auch klar fest, das diese Wut zuerst hausgemacht ist: "Erstens sind da die als ungerecht empfundenen Verhältnisse in den eigenen Ländern": Korruption, Missachtung der Menschenrechte, fehlende Rechtsstaatlichkeit und soziale Ungleichheiten. 

Al Jazeera bringt es im Artikel "The 'bin Laden' of marginalisation" auf den Punkt: "Der wirklich Terror, der an der arabischen Welt nagt, ist ist dei weltwirtschaftliche Marginalsiation."

Die Mauer der Angst ist eingerbochen
Diese Wut gegen innen, gegenüber den eigenenMachthabern und deren pseudodemokratischen, autoritären Systemen, stand bisher eine Angst gegenüber, sich zu wehren, lauthals das eigene Unrecht anzuprangern und das Recht auf Beteiligung einzufordern.
Diese "Mauer des Angst" ist jetzt eingebrochen, schreibt Al-Jazeera: "Diese Mauer der Angst, errichtet durch Repression und Marginalisierung." Der Aufstand in Tunesien bringe jetzt den "Glauben an die Fähigkeit der arabischen Bevölkerungen zurück, soziale Gerechtigkeit und ein Ende der Tyrannei einzufordern."

Neues Leid und .... mehr Migration in den Westen
Langfristig ist das eine gute, überfällige Entwicklung. Es ist aber kurz- un mitelfristig keine gute Botschaft. Weder für die Menschen in der arabischen Welt, noch für uns, den Westen. Für die Menschen dort bedeutet es mehr soziale Unruhen, Unterdrückung, Regimewechsel, Leiden, Blut. 
Und auch bei uns braucht niemand zu frohlocken: Jetzt richtet sich diese Wut gegen innen, jetzt zerfleischen die sich selbst. Der islamische Terror ist damit nicht vorbei. Die Wut gegen den Westen bleibt bestehen. Offensichtlich und virulent ist nur eine zweite Wut, eben die gegen innen.
 Sie vergrössert die Not der Menschen und dieser Not werden noch merh Menschen zu entfliehen versuchen: Sie werden versuchen auszuwandern. Legal oder illegal. Nicht zuletzt nach Europa. es ist nicht weit. Nur über "unser" Meer.

Dazu das Cartoon von Ali Dilem (algerischer Cartoonist)
Text: "Die Algerier beim Befriedigen ihrer Grundbedürfnisse"


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