Ja, ich bin auch begeistert, von den Jungs und werde mir morgen das Finale der U-17 Fussball-WM in Nigeria nicht entgehen lassen. Aber es ist schon erstaunlich, wie eine Gruppe von halbstarken Secondos die Schweiz kollektiv in einen Taumel der Begeisterung versetzt:„UNSERE Jungs“ und „Wir sind stolz auf Euch“.
Die Schweiz, wir Schweizer haben ein Problem. An den Fussball-Junioren wird es offensichtlich: Wir stecken in einer tiefen Identitätskrise. Die Erfahrungen der letzten Jahre und Monate haben die Schweiz schwer traumatisiert. Der erste Schock war wohl das Grounding der Swissair. UNSERE Swissair, die beste Fluggesellschaft der Welt: gescheitert, von den Deutschen übernommen. Das Bankgeheimnis, Heiliger Gral der Schweiz: zerzaust von respektlosen Fremden. Die UBS, Flaggschiff der Schweizer Finanzmacht: muss mit Steuermitteln gerettet werden. Ein despotischer Wüstenfürst spielt mit uns Katz und Maus.... Und wir sind die Maus.
Alle diese bis vor kurzem schlicht unvorstellbaren Ereignisse haben unser kollektives Selbstvertrauen erschüttert. Wir realisieren, dass dieses zentrale Gefühl, das unsere Identität, unser Selbstverständnis in den letzten Jahren geprägt hat, falsch ist. Dieses Gefühl des „Irgendwie-Auserwählt-Seins“, des Besser-Seins, dieses „Wir-fahren-am-Besten-wenn-wir-draussenbleiben-und nur-auf-uns-selbst-schauen“, das uns unsere Geschichte des letzten Jahrhunderts suggerierte und uns insbesondere die populistischen Parteien eintrichterten. Dieses Gefühl ist dem schockierenden Bewusstsein gewichen, dass wir abhängig und verwundbar sind. Unser Selbstvertrauen ist der Angst gewichen, bald zu den Verlierern zu gehören, unterzugehen.
Und jetzt also diese UNSERE Jungs: „Hey, wir sind ja doch noch wer!“ Diese Multikultitruppe mit dem Schweizer Kreuz auf der Brust verkörpert alles das, was wir nicht mehr sind, aber eigentlich sein möchten: mutig, frech, kämpferisch, manchmal sogar elegant und spielerisch leichtfüssig. Voller Selbstvertrauen und Optimismus. Vor allem aber: ERFOLGREICH.
„Unsere Helden in Nigeria“ sind eine grosse Chance für die Schweiz. Es ist höchste Zeit, uns Gedanken über die Schweiz in der globalisierten Welt zu machen. Eine Schweiz, vernetzt mit unseren Märkten, ein multikulturelles Einwanderungsland, wie es unserer Tradition auch entspricht. Es gilt zuerst die Angst zu überwinden, nicht zuletzt die Angst vor allem „Fremden“. Auch die Angst vor den Jungs, die heute die Schweiz in Nigeria vertreten.
Denn: Würden wir dieser Truppe von laut johlenden, mit Adrenalin vollgepumpten, halbstarken Secondos nachts um halb 2 in der Innenstadt begegnen, würden wir wohl die Strassenseite wechseln.
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