Bild: Agnes von Ungarn, Habsburgerin, Aargauerin, gest. 1364
Es steht mir nicht an, meine ex-Kollegen vom Newsnetz zu kritisieren, aber weil ich mich zur Zeit intensiv mit den Habsburgern beschäftige, kommt mir ein Artikel auf baz.ch/tagesanzeiger.ch gerade Recht: "Familiensex-bis-zum-bitteren-Ende". Als spontane Reax habe ich dem Autor des Artikels, Matthias Chapman, ein Mail geschickt, das ich hier veröffentlichen und in einem Punkt ergänzen möchte, dem Passus zu Agnes von Ungarn am Schluss.
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Lieber Matthias
Was man nicht alles tut für eine Schlagzeile. Ich fürchte aber, mit dem Artikel beleidigst Du Deinen Intellekt. Die Verbindung Deiner Habsburger-Inzuchtgeschichte mit dem Schweizer Mythos (Morgarten, etc.) ist hanebüchen.
Generell sind Mythen immer gefährlich (manchmal mörderisch, echt. Siehe Backgroundinfos z.B. hier: "Mörderische Mythen"). Und alle, die sich ihrer bedienen, seien es Politiker, Journis oder andere Populisten, machen sich mitschuldig.
Ich gehe davon aus, dass Du die Hintergründe der Schweizer Mythen, geschaffen im 19. Jahrhundert, kennst. Zu Morgarten und der Rolle der "alten Eidgenossen" habe ich vor einiger Zeit ein kleines Stück geschrieben: "Der Blocher der alten Eidgenossen".
Spannend, aber auch Missbrauch-gefährdet wäre eine andere Habsburg-Schweiz-Geschichte: Die Geschichte "Ein Königshaus aus der Schweiz" (von Bruno Meier, Verlag Hier&Jetzt 2008). Es ist die Geschichte eines kleinen Grafengeschlechts aus dem Aargau, das sich zur Herrschaft über das römisch-deutschen Reich aufschwang, das Interesse an der hinterwäldlerischen Innerschweiz schnell verlor und sich statt dessen Oesterreich, Böhmen und Ungarn unter den Nagel riss. Keineswegs mit Inzucht-Sex, sondern - wenn schon - mit einer skrupellosen Heiratspolitik, welche die Söhne und Töchter des Hauses mit häufig wildfremden Partnern, häufig aus dem feindlichen Lager, verband.
Es könnte die Geschichte einer offenen, vernetzten Schweiz sein, die die "Globalisierung" seit Jahrhunderten geübt hat. Die Geschichte eines typisch schweizerischen Clans, echt europäisch. Die Habsburger wären Vorbilder, an denen sich moderne Schweizer orientieren könnten, nicht zuletzt unsere Bundesräte. Da könnten wir etwas lernen: Wie man Allianzen schmiedet, respektive die Grossen gegeneinander ausspielt, wie man Widersacher aus dem Weg räumt und andere (z.B. die alten Eidgenossen) das dreckig Geschäft für einen erledigen lässt.
Es gibt auch wunderschöne Parallelen - sehr boulevardesken Geschichten-Stoff - zwischen dem, was die habsburgischen Herren damals mit den Hinterwäldlern vom Vierwaldstättersee anstellten und dem was einige moderne Herren mit den bäurischen Pseudo-Patrioten in der aktuellen Schweiz anrichten. Eben Z.B. "Der Blocher der alten Eidgenossen".
Für die Frauen (ja, natürlich auch für die Männer) gäbe es unter den frühen Habsburgern eine äusserst spannende "Schweizerin" zu entdecken: Agnes von Ungarn (Bild oben am Kopf des Beitrags), Tochter von König Albrecht I. und Elisabetz von Görz-Tirol, mit 16 nach Ungarn verheiratet kehrte sie 1317 definitiv in ihre aargauische Heimat zurück. Vom Kloster Königsfelden aus zog sie bis zu ihrem Tod 1364 die Fäden der habsburgischen Interessen. Sie hat sich zwar sehr wohl auch um das Lokale (eher um die wichtigen Städte Zürich, Basel oder Bern als um die Waldstätte) gekümmert, ihr Horizont war aber das heutige Europa: Vom Burgund und Savoyen im Westen über die deutschen Fürstenhäuser im Norden, über Böhmen, Oesterreich und Ungarn im Osten bis Italien im Süden. (Meier S. 110 ff).
Ich wünsche Euch weiter viel Erfolg und auch einigen Spass bei der Arbeit
Gruss auch an die anderen Kollegen
Andrea
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