Samstag, 21. Februar 2009

Kosovo und Serbien: heimliche Normalisierung?

Grafik-Bild: standard.at
Letzte Woche haben die Kosovaren ein Jahr Unabhängigkeit gefeiert. Quasi als Gegenmassnahme hat das serbische Parlament am Stichtag 17. Februar im nach wie vor unter serbischer Kontrolle stehenden Nordteil des Kosovo eine symbolische Sitzung abgehalten. Genau: Im Industrieort Zvecan unweit der Stadt Mitrovica, wo die grossen, veralteten Schmelzwerke der Trepca-Minen stehen - ehemals die wichtigste Devisenquelle Jugolsawiens. Die meisten Minen (vor allem Blei und Zink, aber auch Silber und etwas Gold) liegen im albanischen Teil Kosovas. Zum Trepca-Konglomerat gehörten im sozialistischen Jugoslawien übrigens auch die Minen im bosnischen Srebrenica, welches ja 1995 unrühmlich berühmt wurde. In der grössten Mine im Kosova, Stari Trg, habe ich im Februar 2000 eine 10vor10-Reportage gedreht. (Dazu das nebenstehende Nostalgiebildli vom damaligen 10vor10-Live-Duplex).

Anlässlich des Jahrestags der Unabhängigkeit des Kosova wurde auf serbischer Seite noch einmal absolute rhetorische Empörung über den "illegalen" Akt der "Sezession" zelebriert. Aber offenbar, so berichtet Eric Gordy im Internetportal "Open Democracy" in einem äusserst spannenden Hintergrund, entwickelt sich in der Praxis eine Normalität des Zusammenlebens aufgrund der alltäglichen gegenseitigen Abhängigkeit fern der ideologischen Propaganda.

Die radikalen politischen Kräfte in Serbien hätten in den letzten Monaten viel an Einfluss verloren, schreibt Gordy. Es könne aber auch in nächster Zeit nicht erwartet werden, dass Serbien offiziell seinen Widerstand gegen die Unabhängigkeit des Kosovo aufgebe. Aber die Realität des Faktischen und eine ganze Reihe von Skandalen im serbischen Ministerium für Kosovo und Methohija habe den Enthusiasmus für den Widerstand gegen die Unabhängigkeit des Kosovo in der serbischen Bevölkerung gedämpft. Auch die wenigen im albanischen Kosova verbliebenen Serben, welche in kleinen, von der UNO (inkl. Schweizer Truppen) beschützen Enklaven leben, seien inzwischen überzeugt, dass Belgrad ihre Interessen nicht länger wirklich vertreten könne oder wolle.

"Unter der politischen Oberfläche sind die gegenseitigen Interessen der Serben und Albaner weiterhin stark", stellt Gordy fest. "Kosovo und Serbien - und in noch stärkerem Masse die Serben im serbisch beherrschten Nordkosovo um die Stadt Mitrovica - bleiben gegenseitig wichtige Handelspartner, sei es im Bereich landwirtschaftliche Produkte, Energie oder Arbeit. Die massiven gemeinsamen Bedürfnisse in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Rentenwesen bestehen weiter." Dazu kämen vitale gemeinsame Interessen im Bereich Schmuggel und organisierte Kriminalität. "Während Politiker weiter (populistische) Äusserungen machen werden, um die Ressentiments gegen die Unabhängigkeit des Kosovo am Leben zu erhalten, ist es mehr als sicher, dass es auch Leute gibt, die einfach ihren Job machen und die Interessen und praktischen Bedürfnisse der breiten Bevölkerung über die Grenze wahrnehmen, aber darüber nicht in den Medien sprechen." Dass es gelungen sei, das Risiko von Gewaltakten zu kontrollieren, sei ein deutliches Zeichen für diese praktische Realität.

Die wirkliche Stimmung in der serbischen Bevölkerung zur hochpopulisierten Kosovofrage hat gemäss Open Democracy schon vor einem Jahr ein serbisches Video ausgedrückt, das in Serbien sehr populär war: Während am Tag der Unabhängigkeit des Kosova in der Belgrader Innenstadt Jugendliche randalierten und Geschäfte plünderten - mit dem Segen oder gar auf Geheiss der radikalen, politischen Kräfte - nutzten 2 junge serbische Frauen das Chaos, um sich mit dem zu bedienen, was sie wirklich interessiert: Klamotten. Das Video trägt denn auch den Titel "Kosovo za patike (“Kosovo for tennis shoes”):

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