Samstag, 20. Dezember 2008

Weihnachtskitsch

Gastbeitrag von Martina Müller (Theologin)

Gestern war ich an einem traditionellen Krippenspiel, mit Maria und Josef, Hirten, Königen und allem, was sonst noch dazu gehört. Wenn es nach mir ginge, müsste dieser ganze Kitsch verboten werden. Nein, die Geschenke, die Musik, die Spendenfreudigkeit, auch der Stress vor dem Fest, das stört mich nicht. Ich kann mich ja raushalten. Aber diese unsägliche Geschichte von der Herbergssuche und der Geburt im Stall, dem Besuch der redlichen Hirten und der Könige.

Dabei ist diese Geschichte von der Geburt des Jesus von Nazareth eine Geschichte aus dem Untergrund, eine Geschichte vom Widerstand gegen ein diktatorisches Regime. Ob unsere Kinder diese Geschichte nicht viel spannender und vor allem inspirierender fänden als den süssen Krippenkitsch?

Ich denke, es war so (Bibeltext und Kommentare lassen diesen Schluss zu):

Die Geschichte
Maria, ein sehr junges Mädchen, vielleicht aus frommem Haus, bereits verlobt mit einem aufrechten jungen Mann, wird schwanger. Das Land ist unter Besatzung. Liegt der Gedanke, dass der Erzeuger dieses Kindes ein Besatzungssoldat ist, so fern? Es liegt nahe, dass auch damals die Soldaten in einem besetzten Land genauso verfuhren mit der Bevölkerung, den Mädchen und Frauen, wie heute. Josef, der junge Mann, gehörte vielleicht zum bewaffneten Widerstand gegen die Besatzer, ziemlich sicher aber zu deren Sympathisanten (die Namen aller seiner Söhne, inkl. Jesus, sind Widerstands-Namen). Er muss sehr wütend gewesen sein, als er das mit der Schwangerschaft seiner Verlobten erfuhr. Es war ihm aber offensichtlich auch klar, dass er sie jetzt nicht im Stich lassen konnte und durfte. Diese jungen Leute und mit ihnen andere, alte und junge, haben eine Vision von einer Welt, in der die Menschen von der eigenen Hände Arbeit in Frieden untereinander ein gutes Leben leben können. Manche dieser Leute, und ich denke unser junges Paar gehörte dazu, rechneten mit der Kraft des Himmels als Hilfe in dieser Sache, manche hofften auf einen ‚König’, eine integre Führungsfigur, beauftragt von Gott, genannt "Messias", der die Wende herbeiführen würde. Andere wollten diese mit Waffengewalt herbeiführen.

Nun kommt der Steuerbefehl der Besatzer in die Aufregung mit der Schwangerschaft. Josef wird wohl einer von denen gewesen sein, die sich geweigert haben, Steuern zu zahlen. Den Römern ist er nichts schuldig. Denen dient er nicht. Das heisst aber, er muss weg! Am Besten geht er nach Bethlehem, dort hat er Verwandtschaft, dort kann er untertauchen. (So verstehe ich die ‚Schatzung’ des Kaisers). Und Maria geht mit. Als das Kind in Bethlehem zur Welt kommt, legen sie es in eine Futterkrippe. Sie bringen es nicht um bzw. setzen es aus, obwohl sie bestimmt nicht in einer Lage sind, in der man sich ein Kind wünscht. Sie umsorgen es nach ihren Möglichkeiten. Natürlich waren Hirten in der Nähe. In deren Unterstand kam das Kind wahrscheinlich zur Welt.

Die Deutung

So beginnt das Heil der Welt. Immer, nicht nur damals: Eine junge Frau gibt sich nicht geschlagen, ein junger Mann lässt sie nicht im Stich. Sie weigern sich, den Herrschenden zu Diensten zu sein. Hirten, eine verachtete und übel beleumundete Spezies, geben ihnen Unterschlupf. Ein Kind kommt zur Welt und wird, so schlecht die Lage auch ist, willkommen geheissen und umsorgt, so gut es geht. Kein Wunder, dass Engel sich dies nicht entgehen lassen wollen, dass göttlicher Glanz auf der Erde erscheint, dass ein Stern aufgeht und Gelehrte vom Land der aufgehenden Sonne herbeilockt. Auch kein Wunder, dass ein machtbesessener König Herodes Angst bekommt vor soviel Widerstandskraft und versucht, dieses neue Leben, dieses Symbol des Widerstands, zu vernichten.

Gott selber sei damals zur Welt gekommen. Was für eine Vorstellung von Gott! Eine Kraft von unten. Ein Potential wie neugeborenes Kind. Unvollkommen, im Werden, ausgerichtet auf Zukunft, an dem, was sein kann.

Das wäre doch eine Mutgeschichte, nicht nur für unsere Kinder. Oder nicht?

Ach ja: die Originalgeschichte steht in der Bibel im Evangelium von Lukas und von Matthäus.

2 Kommentare:

Andrea Müller hat gesagt…

Martina

Warum diese vorsichtige Formulierung? Warum gebrauchst Du nicht das Wort "Vergewaltiung"? Im Internet wird ja die "These", dass Maria von einem römischen Besatzungssoldaten vergewaltigt und schwanger wurde, offen diskutiert. Der holländische Filmregisseur Paul Verhoeven (u.a. "Basic Instinct") hat darüber in seiner Jesus-Biographie geschrieben und will offenbar sogar einen Film dazu machen.

Ist dieses Thema für Dich als Pfarrerin heikel? Oder findest Du die "Geschichte" dann einfach nicht zumutbar?

Andrea

Anonym hat gesagt…

Nein, ich scheue eigentlich das Wort 'Vergewaltigung' nicht. Es ist einerseits, und das ist wohl die Pfarrerin, Vorsicht, anderen Menschen Bilder zu zerstören. Andererseits ist die These von der Vergewaltigung nicht viel besser historisch abgesichert als die Jungfrauengeburt!
Sollte es eine Vergewaltigung gewesen sein, erhält die Geschichte für mich allerdings noch mehr Kraft: Wieviel Selbstbewusstsein und Lebensvertrauen braucht es doch von der Frau Maria, dieses Kind als von Gott kommend zu sehen.
Auch das stellt alles, was wir über uns selbst und über Gott zu denken gewohnt sind, auf den Kopf.