Montag, 22. September 2008

Ein Wahnsinn, dieses Finanzsystem. Oder: Warum trotzdem niemand auf die Strasse geht.

„Ein Wahnsinn“, alle sind sich einig. Es ist nicht nur ein Wahnsinn, was zur Zeit abgeht in der Finanzwirtschaft weltweit, sondern, was in den letzten Jahren alles abgegangen ist, ohne dass irgend jemand wirklich Halt gerufen hat. Es hat diese „Finanzkrise“ gebraucht, damit uns bewusst wurde, – oder besser, dass die, die schon länger gesagt haben, dieses System sei ein Irrsinn, endlich angehört werden - dass da „irgendwo Verrückte herumlaufen, die bisher nicht aufgefallen sind, weil ihr Wahn identisch war mit der Logik des etablierten Systems“, wie es Frank Schirrmacher in seinem Artikel auf FAZnet „Mehr als eine Finanzkrise“ treffend formu-liert.

Schulden wurden als Guthaben gehandelt, ungedeckte Checks als Wertpapiere ausgegeben, verschleiert durch undurchsichtige Transaktionen, bis niemand mehr den Überblick behielt. „Das Modell basiert im Grunde darauf, das Risiko an ahnungslose Dritte weiterzureichen“, sagte der Branchenveteran und Finanzexperte Martin Mayer gegenüber der Zeit (Ausgabe 39/2008).

Und: „Eine sogenannte „Finanzkrise“ kann in einer Gesellschaft, wo Finanzen die Synonyme für gesellschaftliche Rationalität geworden sind, nichts anderes sein als eine brutale VERNUNFTKRISE.“ (immer noch Schirrmacher).

Die Welt - die Menschen innerhalb und ausserhalb der Bankinstitute - hat das Vertrauen in das Finanzsystem verloren. Mit Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sind sich eigentlich alle Kommentatoren einig: Das amerikanische Finanzsystem hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Und weil das amerikanische System nicht nur der Kern des weltweiten freien Marktes ist, sondern auch alle anderen Wirtschaftssysteme direkt von ihm abhängig sind, ist die Glaubwürdigkeit des gesamten Systems schwer erschüttert.

Wenn aber „Vertrauen, das Elixier des Kapitalismus zerstört ist, dann gibt es kein Halten mehr. Dann herrschen nur noch Panik und Herdentrieb“ (Robert von Heusinger, fr-online). Bisher ist die Panik mit darauffolgendem Herdentrieb erstaunlicherweise erst im Innern des Systems, bei den Finanzhändlern und der Bossen ausgebrochen. Glücklicherweise, denn die Macht der Mächtigen basiert gemäss Jan Philipp Reemtsma („Vertrauen und Gewalt“ S. 160ff) auf dem Vertrauen der (breiten Masse) der Unterprivilegierten, dass ihnen die Machthabenden eine Ordnung garantieren, die ihnen Sicherheit bietet, dass „man weiss, woran man ist“. Und dieses Vertrauen der Unteren muss durch die Machthabenden honoriert werden, eben mit Sicherheit, nicht zuletzt auch mit materieller Sicherheit. Und zumindest in der westlichen Welt konnte ein Grossteil der Bevölkerung ja eigentlich zufrieden sein, mit der Gratifikation, die sie bisher erhalten hat. Die Mächtigen haben zwar mächtig abgesahnt, aber auch die Minderprivilegierten haben einen Anteil erhalten, mit dem sie sich deutlich von den wirklich Benachteiligten abhoben. Nur: Wenn die Minderprivilegierten ihr Vertrauen verlieren, wenn sie nicht mehr dran glauben, dass die Mächtigen ihnen die nötige Ordnungssicherheit bieten, so dass sie ihren Anteil weiter erhalten, können sie den Mächtigen dieses Vertrauen entziehen. (Immer in Anlehnung an Reemtsma).

Und genau das fürchten die Bosse aus Wirtschaft und Politik: Dass die grosse Masse der Menschen, die mit ihrer täglichen Arbeit, ihrem Konsumieren/Kaufen und mit ihren Sparguthaben auf den Banken das System überhaupt erst ermöglicht, jetzt das Vertrauen verliert. Indem die „normale“ Bevölkerung zum Beispiel ihre Ersparnisse bei der Bank abhebt oder noch schlimmer, ihre Rechte einfordert, sei es in Form eines höheren Lohnes oder mit Garantien für die Sicherung ihrer Altersguthaben. Die Machthaber fürchten, dass die Untergebenen nicht mehr die Vertreter des Systems wählen (und dazu gehören heute ja auch die Sozialdemokraten), sondern Kreise, Leute, die ihnen eine echte (oder vermeintliche) Alternative anbieten.

Aus Angst vor dem Entzug des Vertrauens durch die breiten Massen und damit dem Verlust ihrer eigenen Macht und aller damit verbundenen Privilegien, haben sich die Mächtigen (von BR Merz über Bundeskanzlerin Merkel bis US-Finanzminister Paulson) beflissen beeilt, die Leute zu beschwichtigen. „Nicht so schlimm“, „Die Schweiz (oder Deutschland) wird nur marginal betroffen sein“, usw..

Unterstützt werden sie von den Wirtschafts-Prognostikern. Das BAK Basel zum Beispiel hat seine Prognosen für das nächste Jahr zwar etwas nach unten korrigiert , geht aber weiterhin von einer „robusten Wirtschaftsentwicklung“ aus und prognostiziert, das, was alle hoffen: die Konsumentenstimmung bleibe gut.

Die Frage ist heute erlaubt: Wie glaubwürdig sind dieses Prognosen? Sie sind nach Modellen und Gesetzmässigkeiten gerechnet, die sich als irreal, weil in Krisen nicht haltbar, erwiesen haben. Vor allem nicht berechnet ist eine erneute irrationale Panik bei den Händlern und nicht zuletzt ein Vertrauensentzug durch die Sparer und Konsumenten.

Und die Zeichen stehen nicht wirklich gut: Offenbar glauben die System-Insider ihren eigenen Beschwichtigungen und Prognosen nicht: Täglich kommen neue Hiobsbotschaften über Firmenpleiten, Umstrukturierungen und fallende Börsenkurse.

Fast ein Rätsel ist es, warum die normalen Arbeitnehmer und Konsumenten auch in de Schweiz noch daran zu glauben scheinen, sich beschwichtigen lassen, respektive es ist höchst erstaunlich, warum sie nicht rea-gieren und aufbegehren. Fast stoisch nehmen sie neue Negativ-Information hin, in der Schweiz zum Beispiel dass die 2. Säule, die Pensionskasse wegen den wahnsinnigen Spekulationen der Mächtigen echt gefährdet ist. Auch in der Schweiz geht niemand auf die Strasse. Die Arbeitgeber können fast damit rechnen, dass die Arbeitnehmer bei den Lohnverhandlungen im Herbst „vernünftig“ sein werden. Jetzt erst recht, wo es doch „Sorge zur Wirtschaft zu tragen gilt“.

Ich wage zu bezweifeln, dass die breite Masse der Bevölkerung wirklich an die Rezepte glaubt, die die Mächtigen jetzt zur Bewältigung der Krise vorschlagen. Um glaubhaft zu sein muss man glaubWUERDIG sein und warum sollte man jetzt darauf vertrauen, dass ein US-Finanzminister Paulson jetzt plötzlich die Lösung für die Krise kennen soll, der bis vor Kurzem der Chef der wohl wichtigsten (gescheiterten) Investmentbank (Goldman und Sachs) war und heute deswegen selbst am Pranger steht.
Vorallem, wenn diese Lösung in erster Linie auf Kosten der Steuerzahler geht.

Es wird zwar geschimpft an de Stammtischen und in den Blogs, aber wirklich wehren, tut sich niemand.

Die Antwort für diese Passivität scheint mir eine doppelte zu sein:

1. Eine philosophische: Die „Passivität des Einordnens in eine Ordnung“ ist ein Grundbedürfnis der Menschen. „Auf eigene Faust zu handeln würde ein ungleich höheres Mass an Zukunftsunsicherheit mit sich bringen...“ (Reemtsma S. 161). Die Meisten haben schon zuviel in das aktuelle System investiert, sie sind nicht bereit, das Risiko einer ungewissen, radikale Veränderung einzugehen, weil sie „daran interessiert sind, den Ertrag ihrer Handlungen nicht zu verlieren.“ Und: „So wird er (der Untergebene) auch am (Weiter-) Bestehen der Ordnung interessiert sein, in die er diese Handlungen eingezahlt hat (Reemtsma zitiert Heinrich Popitz: „Phänomene der Macht“). Die Machthabende könne also auf die Passivität und das Sicherheitsbedürfnis der „gewöhnlichen Leute“ zählen. Nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Vorallem, wenn man keine Ahnung hat, ob überhaupt eine Taube auf dem Dach sitzt. Den das scheint mir der Hauptgrund, die zweite Antwort:

2. Eine rational-resignative: Es fehlen schlicht Alternativen oder es sind zumindest keine sichtbar. Man sagt uns: „Vogel friss oder stirb“, und wir scheinen bereit zu sein, die Suppe auszulöffeln, auch wenn sie magerer ist, als das, womit man uns bisher abgespiesen hat. Solange es doch noch für die Freien reicht und „irgendwie wird es schon weitergehen“.


Doch insgesamt ist dieser Vertrauensverlust in das System und noch mehr die fehlende Alternative eine grosse Gefahr: Leute werden bereit sein, einer einfachen Alternative hinterherzulaufen, an sie zu glauben und denen, die sie vertreten, die Macht zu geben in der Hoffnung, wieder sicher sein zu können, wieder zu wissen, woran man ist.

Eine andere Gefahr ist, dass die aktuelle (noch) Mächtigen in der Not der fehlenden Lösungen für das interne Probleme, ein externes Problem hochstilisieren, welches als kurzfristig dringender zu lösen erscheint. Dies nennt man in der Politik „die Externalisierung von internen Konflikten“, meist ist das ein Krieg.

Ein Feindbild habe die USA jetzt über Jahre aufgebaut, den Iran. Ich fürchte, Amerika ist in der jetzige Situation für uns alle äusserst gefährlich.

Doch dazu mehr in eine nächsten Beitrag.

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