Es ist keine Frage, ob man ihn mag oder nicht, ob man seine Meinung teilt oder nicht. Es ist schlicht ein Fakt: Christoph Blocher ist der wichtigste Politiker der Schweiz seit dem 2. Weltkrieg. Er hat die Schweizer Politlandschaft nachhaltig verändert. Grundsätzlich. Er hat die Zeit des Konsens beendet und das Gesetz des Marktes, die Konkurrenz, auch in der Politik durchgesetzt.
Damit hat Christoph Blocher, der immer als Bewahrer der Schweiz auftritt, eine der Grundfesten zerschlagen, auf der die Schweizer Politik seit rund 100 Jahren basiert. Ein Grundkonsens der "Classe Politique": Steter, einvernehmlicher Ausgleich der Interessen der wichtigsten Stakeholder, das "Volk" massvoll am ständig wachsenden Wohlstand beteiligen, abstimmen lassen über dies und das, aber wichtige Entscheide im Konsens der Landesführung, in engster Absprache mit der Wirtschaft treffen.
Spätestens seit der Einführung der Zauberformel Ende der 50er Jahre war auch die SP in das Spiel des grossen Konsens eingebunden und hat sich staatsmännisch daran gehalten.
Dieses freisinnige System könnte mit den Wahlen 2011 definitiv Geschichte ein. Sinnbildlich mit der definitiven Marginalisierung der seit der Staatsgründung im vorletzten Jahrhundert wichtigsten Partei der Schweiz, der FDP. Und diese historische Veränderung, diese "Revolution", trägt einen Namen: Christoph Blocher.
Seit den 80er Jahren hat er mit seiner SVP das Konsens-System untergraben und demontiert. Er hat die alte "Classe Politique" systematisch desavouiert und die Regeln der Schweizer Politik verändert - unter Nutzung der demokratischen Mittel des alten Systems.
Statt der Staatsräson gelten heute die Interessen der Partei. In der neuen Politik geht es nur noch vordergründig um Sachentscheide. Tatsächlich geht es um Einfluss, politische Ämter und Pfründe, um Macht. Auch sogenannte Volksentscheide sind immer ein Plebiszit für die Macht. Damit befindet sich die Schweiz im ständigen Wahlkampf.
Im neuen System bleibt wenig Platz für Konsens, Kompromisse, Ausgleich der Interessen oder gar Solidarität. Die Politik muss greifbar sein. These und Antithese. Gut und böse.
Das Mittel der neuen Politik heisst Populismus.
Die SVP bedient klare Feindbilder (die "Classe Politique, die Ausländer, alles Fremde, die EU) und sie hat einen offensichtlichen politischen Gegner definiert: "Die Linke", die SP. Denn auch das gehört zum neuen Spiel: Der Pluralismus einer vielfältigen Parteienlandschaft hat ausgedient. Es gibt nur noch links oder rechts. Die "Mitte"-Parteien dienen je länger je mehr einzig dazu, kurzfristig nötige Mehrheiten für die Linken oder Rechten zu schaffen. Und die Wahlen von 2011 dürften die Polarisierung weiter vertiefen.
Die Plattform der neuen Politik sind die Medien. Mit Abstand wichtigstes Organ ist das Fernsehen SRF, das einzig wirkliche nationale Medium der Schweiz, mit dem die breite Masse erreicht wird. Eine Schlüsselrolle in der Umwandlung der Schweizer Politik nach den Regeln des Marktes hat in den 80er Jahren die Sendung "Arena" gespielt.
Mit dem damaligen SP-Präsidenten Peter Bodenmann hatte Blocher einen kongenialen Partner gefunden, eine Art Waffenbruder, mit dem er in der Arena die Klinge kreuzen und die neuen Regeln einüben und zelebrieren konnte: Spektakel, Unterhaltung, Polarisierung.
Längst haben die übrigen Medien nachgezogen. Politik und Medien leben in einer ständigen Interessengemeinschaft. Kurzfristige Effekte und kurzfristiger Erfolg sind gefragt. Populismus und Boulevard sind heute zwei Seiten derselben Medaille.
Peter Bodenmann hat sich inzwischen zurückgezogen, aber die junge neue SP-Führung hat bisher das Spiel nach den neuen Regeln mitgespielt - sichtlich lustvoll. Es ist die Lust am Strippenziehen, Manipulieren, konspirative Strategien entwickeln und den Reiz zu erleben, ob und wie diese Strategien aufgehen. Aber die SP weiss auch, dass sie bei einer weiteren Polarisierung zwar kurzfristig einige Machtpositionen verlieren, aber - anders als die Mitte-Parteien - langfristig nur profitieren kann.
Die Abwahl Bundesrat Blochers und die Inthronisierung von Eveline Widmer-Schlumpf durch die SP im Dezember 2007 war ein Triumph der neuen Regeln à la Blocher. Die SP hatte Blocher sozusagen mit dessen eigenen Waffen besiegt. Damit hat sich die Umwandlung der Schweizer Politik nur noch weiter beschleunigt. Blocher fühlte sich persönlich sehr verletzt, aber die SVP hat inzwischen begriffen, dass die Abwahl ihres Übervaters nützlich war. Das veraltete Argument "Konkordanz", die Forderung nach einer dem Wähleranteil entsprechenden Anzahl Bundesräte, dient jetzt als Instrument zur Durchsetzung der Konkurrenzstrategie.
Am vergangenen Wochenden hat die SVP die Maske definitiv fallen gelassen: Schluss mit Konsens und Konkordanz. Wir wollen die Macht. Offiziell hat Parteipräsident Toni Brunner zwar nur eine "Garantie für den 2. Sitz" in der Regierung gefordert, aber wenn diese Forderung nicht erfüllt werde, sei er für einen "Systemwechsel", für "ein Regierungs- und Oppositionssystem" logischerweise unter Führung der SVP.
Die SP hat mit der gestrigen Departementsverteilung im Bundesrat eine bittere Niederlage erlitten. Die Bürgerlichen haben ihr eine Lektion erteilt: Man kann die neuen Regeln nicht nur bei Bedarf spielerisch einsetzen, sie werde knallhart immer angewandt. Die SP-Führung muss erkennen, dass sie arg blauäugig den Versprechungen der Mitte-Parteien vertraut hat und naiv davon ausgegangen ist, die Staatsräson habe zumindest im Bundesrat noch das Primat vor der Parteipolitik.
Die FDP und CVP haben ganz offensichtlich die Lektionen für die Anwendung der neuen Regeln besser gelernt als die SP. Sie haben konsequent ihre eigenen Interessen wahrgenommen, nach dem Motto: Retten, was noch zu retten ist. Auch wenn nur für kurzfristigen Gewinn. Dabei haben CVP und FDP in Kauf genommen, dass sie sich von Christoph Blocher für eines seiner Zwischenziele instrumentalisieren liessen: Die Marginalisierung der SP-Wahllokomotive Simonetta Sommaruga. Die "Klavierspielerin", höhnen einzelne Kommentatoren, soll sich am Ausländerdossier die Finger verbrennen.
Die SP weiss heute, dass sie letzte Woche bei der Bundesratswahl eine einmalige Chance verpasst hat, die Taktik der SVP zu durchkreuzen. Es war offensichtlich, dass die SVP ihren Kandidaten Jean-Francois Rime gar nicht wirklich wählen lassen wollte, um mit dem scheinheiligen Empörungsargument "Konkurrenz" in den Wahlkampf 2011 einsteigen zu können. Hätte die SP im letzten Wahlgang geschlossen für den SVP Kandidaten gestimmt, wäre Rime gewählt und die Ausgangslage für 2011 ganz anders gewesen.
Warum die SP-Führung diese Chance nicht genutzt hat, ist reichlich rätselhaft. Oder kommt ihr die Entwicklung etwa gar nicht ungelegen?
Jetzt werden die Wahlen 2011 definitive nach den neuen (blocherschen) Regeln der modernen Schweiz gespielt. Es kommt zum Showdown der Parteien, zur weiteren Polarisierung und mit einiger Wahrscheinlichkeit zum Systemwechsel. Weg vom Konsens hin zur Konkurrenz. Mit Regierung und Opposition, ganz ähnlich wie das alle unsere Nachbarstaaten kennen. Zumindest in dieser Beziehung wäre die Schweiz kein Sonderfall mehr.
Kein anderer Politiker der Schweiz, hat in den letzten 50 Jahren eine ähnliche Wirkung erzielt wie Christoph Blocher. Er wird auf jeden Fall in die Geschichtsbücher eingehen. Ob positiv oder negativ müssen spätere Generationen entscheiden. Sie werden Christoph Blocher in die Verantwortung nehmen und an den konkreten Resultaten der neuen Schweizer Politik, die er entscheidend geprägt hat, messen.
1 Kommentar:
klug!
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