Montag, 11. Juni 2012

Der Fussball braucht eine spielerisch-taktische Revolution

Fussball ist langweilig.
Ein neuer Beweis für diese Tatsache waren die bisherigen Spiele der Fussballeuropameisterschaft, eines der wichtigsten Schaufenster dieser Sportart. Schon fast schmerzhaft langweilig war das Spiel der beiden europäischen Topmannschaften - eben: Frankreich und England. "Standfussball in Perfektion", ätzt der Tagi zurecht.
Sogar der Trainer-Clown Gilbert Gress im EM-Studio des Schwiezer Fernsehens findet's nur noch „langweilig“. Schiedsrichter Chef Bertolini ist „fast eingeschlafen“ und Arno Del Curto, der Eishockeytrainer, bringt es auf den Punkt: „Einfach schlecht.“
Barcelona hat den modernen Fussball erstickt. Alle wollen spielen wie Barcelona. Weil aber allen andern Mannschaften im Normalfall die zwei oder drei genialen Pässe, die Xavi pro Spiel schlägt und die unwiderstehlichen Einzelleistungen eines Lionel Messi fehlen, reduziert sich die Barcelona-Taktik auf endloses Ballgeschiebe: Kurzpass zum nächsten stehenden Spieler. Der nimmt den Ball an und dreht sich in 80 Prozent der Fälle, den Ball deckend, Richtung eigenes Tor, um den Ball anschliessend quer oder rückwärts zum nächsten stehenden Spieler weiterzuschieben.

Die Spieler sind eingezwängt in ein erstickendes, taktisches Konzept. Das tödliche Zauberwort des modernen Fussballs heisst „kompakt stehen.“ Die Offiside-Regel erlaubt es, das Spiel auf eine sich verschiebende Tiefe von 30 Metern zu reduzieren. Und es fehlt den fürstlich bezahlten Trainern offenbar die Fantasie, wie sie dieses Problem überwinden können. Und die Spieler sind entweder zu wenig clever oder einfach zu sehr in die erstickende Taktik eingezwängt.
Sie sind darauf getrimmt, bei Zweikämpfen beim geringsten Körperkontakt theatralisch zu Boden zu gehen in der Hoffnung, dank einer Standard-Situation endlich doch zu einer Torchance zu kommen. Sie "spekulieren auf einen Freistoss", sagt Beni eben am Sender. Gleichzeitig hoffen sie, den Schiedsrichter zu einer Verwarnung und später zu einem Ausschluss des Gegenspielers zu verleiten, was mehr Raum bringen und den Defensivbeton des Gegners weniger „kompakt“ machen sollte. Die Regeln fördern diese Taktik und bevorteilen kleine, leichte und wendige Spieler - und schauspielernde Weicheier, die statt sich körperlich durchzusetzen, die Füsse hochziehen und anschliessend sterbend liegen bleiben, um den Gegenstoss des Gegner zu unterbinden.

Meine Freunde, die aus beruflichen oder quasi-religiösen Gründen noch immer ins Stadion gehen, sagen, die Spannung des Fussballs liege darin, dass jederzeit etwas passieren könne. Was nichts anderes heisst, dass eigentlich die ganze übrige Zeit eben nichts passiert.

Der Fussball braucht eine spielerisch-taktische Revolution. Der Fussball könnte sich bei anderen „Ball“-Sportarten orientieren. Vielleicht sollte der Fussballverband mal Arno Del Curto engagieren, um den Fussballtrainern das Erfolgsrezept der andern Ball-Mannschaftssportarten wie Basketball, Handball, Eishockey oder Rugby verraten, die nicht auf dem Rückschlagprinzip basieren (Tennis, Volleyball).
Es heisst Speed, überfallartige Angriffswellen in hohem Tempo unter Nutzung des Raums.

Fussball sieht heute aus wie Handball zu den Zeiten als die Topspiele noch 18 : 16 ausgingen: Den Ball vor dem Strafraum hin und her schieben und auf eine Einzelleistung der Schlüsselspieler hoffen. Heute ist Handball eine Highspeed-Sportart bei der immer mehr Tore durch sogenannte Tempogegenstösse fallen und die Spiele 36 : 32 ausgehen.

Entscheidende Impulse könnten die mächtigen Funktionäre des Fussballs setzen, indem sie zum Beispiel die Regeln ändern: Sie müssten vor allem die Offside-Regel aufheben, womit plötzlich viel mehr Raum für längere Bälle in die Tiefe und ein eigentliches Laufspiel ermöglichen würde.
Gleichzeitig müssten mehr harte Körperkontakte erlaubt werden, während gleichzeitig „taktische Fouls und Angriffe auf die Füsse/Beine konsequent geahndet würden.

Doch die Fussball-Gewaltigen sehen keinen Anlass, etwas an ihrer Sportart zu ändern. Sie ist ja kommerziell so erfolgreich wie nie zuvor. Fussball wird längst nicht mehr wegen der objektiven Qualität des Sports geliebt, sondern wegen des Ereignisses - des Events - und dem pseudoreligiösen, massenmedial aufgeheizten Massenspektakel.

Vielleicht ist das auch gut so. Denn, wenn der Fussball wirklich zum modernen Leistungssport würde, wären hier auch plötzlich andere Sportlertypen gefragt. Dann wären plötzlich auch hier die grossen, kräftigen, aber gleichzeitig auch schnellen Typen gefragt und nicht mehr die herzigen Messis oder Xavis. Wäre doch schade - und auch ungerecht. So haben die Kleinen neben den unpopulären leichten Gewichtsklassen in den Kampfsportarten wenigstens eine grosse Bühne: den Fussball.

2 Kommentare:

M.M. hat gesagt…

So ist es!

Anonym hat gesagt…

Das predige ich seit Jahren (wenn auch nicht im Blog, mit dem ich hier eingeloggt bin). Das Jahr, in dem der Fussball starb, ist 1996. Das Jahr, in dem der sogenannte Systemfussball Schule zu machen begann.