Das Bild ist eine Ikone der aktuellen Kriegs-Fotographie: Lance Corporal James Blake Miller von den US Marines nach der "Schlacht um Falludja" im Irak 2004. Das Bild wurde von einem Fotojournalisten der Los Angeles Times, Luis Sinco geschossen.
Sinco war einer der "embedded journalists", der wochenlang mit den US-Einheiten im Irak unterwegs war. "Embedded", eingebunden, und damit auch unter ständiger Kontrolle der US-Armee, aber genauso exponiert und gefährdet. Im Unterschied zu den Soldaten kann - muss - sich ein "embedded journalist" nicht selbst verteidigen. Er ist damit völlig abhängig von den Soldaten, mit denen er die ganze Zeit lebt, vom "Schutz", den sie ihm bieten. Das ist keine einfache Situation, aber eben doch ein ganz entscheidender Unterschied: "Ich musste nie jemanden töten," sagt Luis Sinco in seiner eindrücklichen Reportage "The Marlboro Marine" über die Geschichte des Soldaten auf dem Bild auf Mediastorm.org. (alle weiteren Bilder sind Screenshots aus der MediaStorm-Reportage.)
Die ständige Todesangst stellt für jeden Menschen einen kaum zu ertragenden Stress dar. Aber was "normale" Menschen wirklich verrückt macht, ist das Töten. Menschen sind nicht gemacht, andere Menschen zu töten. Normale Menschen werden verrückt dabei. Sie werden krank. PTSD heisst die Krankheit, Post Traumatic Stress Disorder.
Das "Kriegstrauma" ist ein Riesenproblem schon im Feld während dem Einsatz, aber noch viel mehr hinterher für alle Heimkehrer und nicht zuletzt auch für die Gesellschaft, in der die Kriegs-"Veteranen" leben. Die PTSD-Problematik gibt's, seit es Kriege gibt. Schon der griechische "Held" Achilles war ein Opfer von Krankheit. Sein Verhalten im Krieg, wie von Homer in der Illias beschrieben, weist alle Merkmale eines PTSD-Gestörten auf, wie der US-amerikanische Psychiater und Autor Jonathan Shay in seinem berühmten Buch "Achilles in Vietnam" beschreibt.
Das Problem PTSD ist längst erforscht, aber deswegen wird es nicht kleiner. Die USA, die Familie der Rückkehrer aus dem Krieg im Irak, Freunde, Nachbarn oder Arbeitgeber müssen täglich damit leben. Rund die Hälfte der jungen USA-Männer, die laufend aus dem Irak zurückkommen, sind psychisch krank, depressiv und häufig gewalttätig. "Der Krieg im Kopf" geht weiter.
Auch der Marlboro-Soldat James Blake Miller (Bild oben "in Zivil") ist ein solches Kriegsopfer. Reporter Luis Sinco hat ihn bei seiner Rückkehr 2004 weiter begleitet. Die Reportage gibt es auf MediaStorm.org. Aufwühlend, schrecklich wie alle diese Geschichten, und es wurden schon sehr viele dieser Geschichten publiziert.
Und doch weise ich mit diesem Blog auf "The Marlboro Marine" und MediaStorm.org hin. Aus drei Gründen:
1. Weil man über den Krieg und was er mit den Menschen anrichtet, die ihn führen müssen, immer wieder berichten MUSS.
Auch als Gegengewicht zur täglichen Berichterstattungs-Routine in den Tagesschauen dieser Welt. Auch als Gegengewicht zu dem hurra-patriotischen PR-Bullshit, mit dem diese Kriege gerechtfertigt werden. Die kaputten jungen Männer, die in ihre Familien zurückkehren, geben dem Krieg ein Gesicht. Sie sind eine Anklage: Ein Krieg ist mit nichts zu rechtfertigen. Er ist nie gerecht, immer ein Verbrechen. An den Menschen. Menschen sterben, auch auf Seiten der Sieger. Sogar Täter sind Opfer. Mir stockt der Atem, wenn ich Lance Corporal Miller in der Reportage davon erzählen höre, was er empfindet, wenn er über die Kimme seines Gewehrs schaut, wenn er auf einen Iraki zielt.
2. Wegen dem direkten Einbezug des Autors:
Luis Sinco (Bild rechts) nimmt selber Teil an und in der Geschichte. Er ist nicht nur aussenstehender, neutraler Berichterstatter. Er ist Teil der Geschichte, nicht nur persönlich "betroffen", sondern auch engagiert. Wenn ich ihn sehe und vor allem höre, ist seine eigene Traumatiserung offensichtlich.
Und 3. - und nicht zuletzt - Wegen der Form der Reportage:
"The Marlboro Marine" ist eine sehr eindrückliche Art der Dokumentation. Erstklassige Fotos werden unterlegt mit Original-Tönen, mit Off-Kommentaren auch der abgebildeten Akteure, vermischt mit kurzen Videosequenzen und Texteinblendungen. Das ganze in einer sorgfältigen Dramaturgie, in einem eindringlichen Rhythmus.
Diese Form findet man in angelsächsischen und auch französsichen Medien immer häufiger. Ein grosser Gewinn. Jeder einzelne Beitrag auf "MediaStorm.org", der Internetsite, auf der auch "The Marlboro Marine" veröffentlicht wird, ist ein Stück Klassejournalismus, weil man es bei uns nur sehr selten zu sehen bekommet.
Und da scheint mir noch etwas Bemerkenswertes: MediaStorm ist eine unabhängige Organisation für Multimedia-Produktionen, die nicht von einem traditionellen Verlag geschaffen wurde. Die Los Angeles Times ist allerdings heute der wichtigste Sponsor der Organisation. Es wäre ein Traum, wenn deutschsprachige Medienhäuser, ein solches Projket finanzieren würden.
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