Mittwoch, 7. Oktober 2009

Gastbeitrag aus Brasilien 2* : Grüezi neue Welt!

Bilder : Adrian Zschokke

Gestern habe ich Bahia in seiner ganzen Breite erlebt:

Am Morgen einmal mehr zum Flughafen, um mein Visum zu verlängern, weil das Büro das letzte Mal geschlossen war. Die Fahrt da hinaus ist immer wunderbar, etwa 30 km dem Meer entlang, wo sie surfen und fischen oder am Morgen einfach liegen, kostet etwa 1. 20 mit dem Bus (mit dem Taxi rund 30 fr).

Bustarif ist Einheitstarif. Einmal durchs Drehkreuz und du zahlst eben 1.20 ob du nun eine Station fährst oder bis ans Ende. Der Busfahrer fährt wie ein Teufel, es sitzen bloss 4 Personen drin. In Itapoan muss der Fahrer schnell raus, er hat Durst, kauft sich eine Cola und wir schmoren drin, - jetzt um 10:00 ist es so um die 32°. Ankunft im Flughafen. Polizeibüro, offen! Wieso ich nicht von Anfang an 6 Monate verlangt hätte. Gute Frage, ich wusste ja nicht, dass dies eine Option ist. Die Polizeierin lächelt, man müsse eben die Zettel lesen. na ja, kann ja nicht jeder Ankömmling schon Portugiesisch, obschon gelesen hätt ich’s auch so nicht. Ich kriege ein Märkli mit einer Preisangabe: 67 Reis. Soll das an der Lotterie Kasse zahlen, denn die Banken sind zu wegen Streiks.

An der Lotteriekasse stehen noch andere gewinnwillige Menschen, nach etwa 20 Minuten bin ich dran, die Lotteriedame sagt: das musst du zuerst ausdrucken. So gehe ich nach längerem verwirrten Suchen in ein Internetkaffee, wo ich tatsächlich mit den Angaben auf der Marke eine elektronische Quittung drucken kann. Cyberspace trifft Gutenberg.

Zurück zur Lotteriefee, die nun die 67 r gerne entgegennimmt, zurück zur Polizei, die mir nach 20 Min. bescheiden, ich hätte den Namen meines Vaters und meiner Mutteer nicht vollständig ausgefüllt. (woher die das wissen wollen?) Ich schrieb Wolfgang und Margrit. Nachdem ich noch Zschokke und Hirsig hingekritzelt habe, was ja kein Mensch überprüfen kann, blickt der Primarlehrer mich gnädig an, die Geschichte ist erledigt, ich darf weitere 90 Tage bleiben.

Nachmittags versuche ich, Waldir zu treffen, 80 jähriger Historiker und Autor eines Buches a saga dos suiços, er ist in der alten Medizinfakultät, die nun wieder geöffnet ist, s. Bilder, und steht am Rednerpult, weil sie 50 Jahre centro estudo afro oriental feiern. Auch interessant, nicht etwa die Afrobrasilianer und die Indios werden studiert, nein, gleich Afrika und der ferne Osten. Der Professor entwischt mir zwar, aber die Diskussion ist interessant.

Anschliessend gehe ich ins Museum de Arte Moderna. Sophie Calle, eine französische Künstlerin. Eine wunderschöne Ausstellung: prenez soin. Da hat sie einen Abschiedsbrief erhalten und gibt den 150 Frauen zur Interpretation, Anwältinnen, Psychologinnen, Maler, Clowns etc. und fotografiert oder filmt diese Interpretation, simpel aber wirklich beeindruckend.

Eine zweite Ausstellung , deretwegen ich eigentlich hingegangen bin, Architektur der Furcht, arcitetura do medo, von einem bahianer Fotografen, der Stacheldraht und Gitter fotografiert hat, ist leider etwas zu simpel. Nicht jeder Stacheldraht ist halt schon ein Bild. Ceci n’est pas une image, juste?

Und dann der Taxifahrer, der mich als Schweizer zuerst fragt, was denn unsere Kühe so ausmachen, dass wir soviel besseren Käse hätten als sie, (er kommt ursprünglich vom Land, hatte Ziegen und Schafe und Kühe ) und mich dann über meinen Eindruck über die Regierung Lula ausfragt. Er findet, dass die Stadt Fortschritte gemacht habe, seine Söhne studieren beide, Chemie und Pharmazeutik. hat eben zwei Notebooks gekauft für sie, 2500 fr, sei schon viel, aber für die Zukunft, und strahlt mich an.

Und daneben eben immer das Chaos, der ewige Stau auf den Hauptachsen, die täglichen Morde und das ganze Gewusel. Aber im grossen Ganzen, glaube ich, sind sie drauf und dran, mindestens so vielfältig, so verrückt, so grotesk und so fortschrittlich zu werden wie wir. Dann singen sie wohl weniger. Und die Meerkatzen fressen meine Bananen nicht mehr aus der Hand. Aber sie leihen dafür der Weltbank Geld und sind keine Bettler mehr.


* Gastbeitrag von Adrian Zschokke, Autor, Filmschaffender, Kameramann, Filmprdouzent. Zur Zeit in Salvador de Bahia, auch um einen neuen Roman zu schreiben.

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