Samstag, 1. August 2009
1.Augustreden: Die Inkarnation von "Bullshit"
Der amerikanische Ausdruck "Bullshit" - oder "Bullshit reden"- ist längst in unseren täglichen Sprachgebrauch übergegangen. Er wird meist schlicht mit "Scheisse" oder "Mist" übersetzt. Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt hat schon 1986 ein kurzes Traktat "On Bullshit" geschrieben, das in seiner zweiten deutschen Auflage 2005 ein Beststeller war. Nicht zufällig, lese ich an diesem 1. August wieder darin:
Die 1. Augustreden zum Schweizer "Nationalfeiertag" sind so etwas wie die Inkarnation, die "Fleischwerdung" der Bullshit-Definition des amerikanischen Philosophen. Oder zumindest sind sie ideale Beispiele dafür.
Für Frankfurt kommt der deutsche Begriff "Humbug" dem englischen Bullshit am nächsten; oder das "Blödsinnquatschen", das "Rumpalavern", das "Heiße-Luft-Produzieren", wie es Daniel Schreiber in der taz formuliert.
Der Stoff aus dem 1. Augustreden sind, ist perfekt zum Bullshitten geeignet: "Freiheit" oder "Willen zur Unabhängigkeit, "alte Werte", "Vorväter", "Stolz", "Solidarität" oder "Einzigartigkeit".
Für Frankfurt wären wohl fast alle 1. Augustredner (und alle 1. August-Kolumnisten und - Inserenten) "Bullshitter" .... und gefährlich. Denn "Bullshit ist für die Wahrheit eine noch größere Gefahr als die Lüge".
Der Bullshitter, schreibt Frankfurt, ist schlimmer als der Lügner. Er umgeht die Wahrheit und erkennt so nicht einmal ihre Existenz an. Im Gegensatz zum Lügner, der absichtlich unwahre Behauptungen aufstellt und die Wahrheit daher auch kennen muss, interessiert sich der Bullshitter gar nicht für die Wahrheit - oder höchstens für seine eigene Wahrheit. Bullshit entsteht laut Frankfurter durch "Desinteresse an der Richtigkeit".
Der Bullshitter ist ein Opportunist. Es geht ihm nicht um die Sache, sondern immer nur darum, die aktuelle Situation so glatt und erfolgreich wie möglich zu meistern und die Gelegenheit zu nutzen, um Punkte zu sammeln. Für sich, für seine Partei.
Weil dem Bullshitter die Wahrheit aber egal ist, verzerrt sich auch seine eigene Wahrnehmung der Wahrheit. Er glaubt, was er sagt, auch wenn er sich fernab jeder Wahrheit oder Wirklichkeit befindet. Ob all seiner leeren Phrasen und Worthülsen hat der "Wortmüll-Lieferant" den Sinn für Tatsachenwahrheiten (oder zum Beispiel historische Fakten) längst verloren.
Bullshit ist für Frankfurt auch eine Folge des notorischen "Moralismus in der Politik". Und Bullshitter fühlen sich moralisch im Recht. Sie wollen uns immer glauben machen, sie meinten es gut. Sie versichern uns ihrer Aufrichtigkeit. Sie wollen uns überzeugen, sie seien sachkundig und zuverlässig. Sie reden über alles, am liebsten über Dinge, von denen sie nichts verstehen.
Bullshit, das Bullshitten, stellt für Frankfurt eine Gefahr für unsere Gesellschaft dar, denn "Bullshit ist ansteckend".
Je mehr Aussagen nur mit dem Augenmerk darauf gemacht würden, was im Moment am Besten passt, schreibt Frankfurt, desto stärker werde unsere Fähigkeit eingeschränkt, die Welt nach ihren realen Umständen zu beurteilen.
Wer diesen Contextlinkbeitrag bis hierhin gelesen hat, der hat natürlich längst erkannt, dass Harry G. Frankfurt mit seiner Kritik nicht nur auf gewöhnliche Schwätzer oder Politiker zielt, sondern auch auf die Medien - und die Journalisten.
Sie sind mitschuldig am grassierenden Problem des Bullshitting, indem sie immer häufiger, immer unkritischer, den immer gleichen Bullshittern eine Plattform zur Verbreitung ihrer "Botschaften" zur Verfügung stellen. Gleichzeitig erfüllt zunehmend auch das Themensetting der Medien den Umstand des Bullshittings. Mit der Aufblähung der Medienlandschaft habe auch der Blödsinn zugenommen, mit dem die Leser/Zuschauer/Zuhörer konfrontiert werden, schreibt Frankfurt. In einem Interview auf Amazon hat er seine Wahrnehmung des Phänomens so beschrieben: "Das meiste von dem, was ich in den Medien wahrnehme, ist Bullshit".
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