Dienstag, 31. März 2009

Heilsbringer David Petraeus

Die Medien hatten ihn als „Bush’s letztes As“ im Irak bezeichnet und jetzt soll er es auch in „Obama’s Krieg“ in Afghanistan/Pakistan (Af-Pak) richten. Bei den US-Soldaten ist er heute schon eine Legende. Die Experten sind sich einig: Er wird in die Geschichte eingehen. Bei der amerikanischen Bevölkerung ist er schon ein Heiliger: Er hat die Wende im Irak gebracht. Und jetzt soll er auch der Heilsbringer in Afghanistan werden: General David Petraeus. Zu seinen Bewunderern gehören auch Journalisten ausserhalb Amerikas: "In seinem ganzen Habitus“ schreibt Alan Posener in „Welt Online“, „ ist der 55-Jährige das Gegenteil jener Karikatur des Militärs, das Intellektuelle und Massenmedien gern pflegen. Ihn schmächtig zu nennen wäre übertrieben; aber das Wort könnte einem einfallen. Jedenfalls dominiert er den Raum nicht physisch, sondern durch seine Persönlichkeit."

Wenn ich Publikationen oder Interviews von General Petraeus lese, oder wenn ich ihn wie am Wochenende in der CNN-Sendung "State of the Union" reden höre, ist meine spontane Reaktion: „Hey, welcome to the real world.“ „Willkommen in der realen Welt.“
Auch ich bin begeistert, oder besser: ich staune. Endlich ein (US-) Militär, der nicht überlegene Feuerkraft mit Intelligenz verwechselt. Viele Schlüsselbotschaften, die Petraeus bei seinen öffentlichen Auftritten immer wieder verbreitet und seinen Offizieren eintrichtert, lassen auch mich applaudieren. Dabei sind sie eigentlich total selbstverständlich und werden seit Jahren von „linken“ Kennern des Krieges oder von den meisten Menschen mit Kriegserfahrung immer wieder als einfach logisch wiederholt:

Prinzipien der Counterinsurgency-Doktrin
  • „Oberstes Ziel ist der Schutz der Bevölkerung. Statt möglichst viele Aufständische zu töten, sollte die Truppe sich darauf konzentrieren, für die Sicherheit der (lokalen) Bevölkerung zu sorgen.“
  • "Es genügt nicht, den Afghanen einfach Sicherheit bringen zu wollen. Wir müssen auch die wirtschaftliche Entwicklung fördern, die demokratischen Institutionen, die Rechtsstaatlichkeit, die Infrastruktur und die Bildung."
  • „Bring die Truppen raus unter die Leute, schütze sie, sei mit ihnen und sie werden mit dir zu reden beginnen.“„Je mehr Gewalt du brauchst, desto weniger effektiv/erfolgreich bist du.“
  • Oder: „Der militärische Rang ist viel weniger wichtig, als das Talent. Einige gute Männer, geführt von einem jungen, nicht-bevollmächtigten Offizier, können erfolgreicher sein, als hunderte gut-ausgerüsteter Soldaten unter einem mittelmässigen hohen Offizier.“
David Petraeus, der selbst auch einen Doktor in "International Relations" hat, sagt häufig Sätze, die unsere alten (linken) Vorurteile, welche allerdings auf einer Vielzahl schmerzhafter, praktischer Erfahrungen beruhen, endlich als richtige Beurteilung bestätigen: „Früher“, zitiert Thomas E. Ricks (Bild links) Petraeus in seinem Buch „The Gamble“, „früher hat die Armee den Offizieren beigebracht, WAS sie zu denken haben. Jetzt muss man ihnen beibringen WIE man denkt.“

Was wirklich frappiert ist nicht der Inhalt dieser Aussagen, sondern der Absender: Ein Militär, ein amerikanischer Militär. Der zur Zeit höchste und wichtigste General der arrogantesten Militärmacht unserer Zeit.
Tatsächlich ist einer der wichtigsten Vor- und Mitdenker ein Australier: David Kilcullen (Bild rechts), ein australischer ex-Oberst mit einem Doktortitel in Anthropologie für islamischen Extremismus, der bekannteste Theoretiker der Counterinsurgency-Doktrin, der Lehre der „Niederschlagung eines Aufstandes“, welche sich Petraeus zu eigen gemacht hat. Seine Ideen beschreibt er ausführlich in seinem eben erschienen Buch "The Accidental Guerrilla". Ein sehr spannendes Interview hat er bei "Charlie Rose" gegeben.

Das Denken über den Krieg ändern
Das aber scheint eine der grossen Stärken David Petraeus' zu sein, der sonst als wenig Team-fähig und extrem ehrgeizig beschrieben wird: Er umgibt sich mit Leuten, die anders sind und anders denken. Thomas Ricks (links) erzählt vom ersten Meeting in der Militärbasis Fort Leavenworth in Kansas, wo Petraeus 135 Leute der unterschiedlichsten Couleur um sich versammelt hatte mit dem Ziel, „das Denken der Armee über den Krieg zu ändern“, respektive ein neues Handbuch für die US-Armee zu entwickeln: Es waren eben nicht nur Armeeoffiziere und Vertreter des Geheimdienstes, sondern „Wissenschaftler, Menschenrechtsvertreter und eine ausgewählte Gruppe von hoch-profilierten Journalisten“. (Ricks „The Gamble“ S. 24).
Das Kick-Off-Referat liess Petraeus durch einen weiteren Ausländer, Brigadier Nigel Aylwin-Foster, halten, der die amerikanische Armee in einem Aufsehen erregenden Artikel der US-Army-Zeitschrift „Military Review“ (Herausgeber: Petraeus), fundamental kritisiert hatte. Er beschuldigte die amerikanischen Militärs im Irak unter anderem der „kulturellen Ignoranz“, der „moralischen Selbstgerechtigkeit“ und des „unangebrachten Optimismus“. In seinem Referat sprach er erneut von „kultureller Unsensibilität“ der Amerikaner im Krieg und gar von „Rassismus“, welche grosse Teile der irakischen Bevölkerung den Amerikanern „entfremdet“ hätten.

Die Resultat der von Petraeus eingesetzten Expertengruppe ist das heute gültige „The U.S. Army Marine Corps Counterinsurgency Field Manual“, das Handbuch der Strategien und Taktiken der US-Armee für die Niederschlagung von Aufständen“. Und diese neue Einsatzdoktrin hat nach Meinung der allermeisten Experten einen wichtigen Teil dazu beigetragen, dass es ab 2007 zur „Wende“ im Irak kam. Der eigentliche Bürgerkrieg zwischen untereinender verfeindeten irakischen Milizen und der Regierungsarmee und einem unglaublichen Terror gegenüber der Zivilbevölkerung hat deutlich nachgelassen.

Mehr Soldaten, mehr Mittel
Petraeus selbst hat eine weitere Massnahme durchgesetzt - und verschiedene Experten sind er Meinung, diese Massnahme sei der Grund für den Erfolg der Petraeus-Doktrin im Iraq -, die die erfolgreiche Umsetzung der Counterinsurgency-Doktrin erst möglich machte: The Surge. Die massive Aufstockung der Truppenstärke. Viel mehr amerikanische Soldaten.

Obama's Auftrag: Counterinsurgency in Af-Pak
Genau nach diesem Schema, A) Mehr Soldaten und B) Hauptfokus Sicherheit der Bevölkerung, ist auch die neue Strategie der USA für Afghanistan/Pakistan. Obama hat in seiner Rede seit vergangenem Freitag immer teilweise wörtlich Petraeus’ Leitsätze wiederholt. Und oberster militärischer Befehlshaber im „Af-Pak-Theater“ ist natürlich General David Petraeus. Die Petraeus-Doktrin hat auch einen starken zivilen Pfeiler. Die Armee hat in Zusammenarbeit mit zivilen Kräften und den lokalen afghanischen Institutionen auch einen eigentlich zivilen Entwicklungsauftrag. Dazu gehören nicht nur der Bau von Strassen und anderer Infrastruktur wie die Stromversorgung, sondern auch Bildung und kulturelle Förderung.

Selbstverständlich ist Petraeus optimistisch, macht sich aber keine Illusionen:
„Es ist wichtig, das Schlüsselprinzip der Counterinsurgency-Operationen in Erinnerung zu rufen,“ mahnt er in einem Interview mit dem Online-Portal des Magazins „Foreign Policy“.
„Das gilt natürlich auch für Afghanistan. Generelle Konzepte, die sich im Irak als richtig erwiesen haben, mögen auch in Afghanistan anwendbar sein – Konzepte wie die Wichtigkeit der Sicherheit der Bevölkerung und die Notwendigkeit unter den Leuten zu leben um ihnen Sicherheit zu bieten – die praktische Umsetzung dieser „grossen Ideen“, muss für Afghanistan adaptiert werden.“

John A. Nagl, einer der Petraeus-Vertrauten, und Autor eines mit Spannung erwarteten Buches "Counterinsurgency Warfare. Theory and Praxis", hat für Foreign Policy eine erste Adaption der zentralen Elemente der Petraeus-Doktrin auf Afghanistan/Pakistan geschrieben. Die „Fünf Paradoxe der Counterinsurgency“ (intellektuell-kokettierend verweist Ricks in seinem "Gamble" S. 27 auf die Tradition des Denkens in Paradoxien im Islam: "Das Paradox ist ein Wesensmerkmal der klassischen arabischen Literatur, welche im alten Badghdad in der Hochkultur der Abbasiden-Kalifen enstanden ist."):
  • Paradox 1: Einige der besten Waffen schiessen nicht. Über kulturelle Sensibilität und die Priorität der zivile Entwicklung.
  • Paradox 2: Es kann sein, dass du weniger sicher bist, je mehr du deine Soldaten schützest. Über die Notwendigkeit nicht nur aus einer gesicherten Miltärbasis Raids zu führen, sondern ständig unter den Leuten zu leben.
  • Paradox 3: Was der lokale Gastgeber in einer noch zu tolerierenden Weise tut ist besser, als wenn es ein Fremder gut macht. Über kulturelle Akzeptanz und Korruption.
  • Paradox 4: Mehr Gewalt einzusetzen, ist manchmal weniger efektiv/erfolgreich. Über das Vermeiden von zivilen Opfern.
  • Paradox 5: Sometimes doing nothing is the best reaction. Über den Schaden, den einseitige Aktionen ohne Absprache mit den lokalen Kräft anrichten.
Details zu den Paradoxien hier. Sehr aufschlussreich.

Ein langer Krieg mit vielen Toten
Petraeus selbst betont bei jeder Gelegenheit, dass dies ein „langer Krieg“ werden wird und er macht auch keinen Hehl daraus, dass die neue Strategie zumindest in der ersten Phase viele Verluste („casualties“), tote amerikanische Soldaten, bringen wird. Aber Petraeus kann auf einen riesigen Goodwill in der amerikanischen Bevölkerung vertrauen. Er ist ein Star, fast ein Heiliger. Die Amerikaner glauben an Petraeus.
Eine Untersuchung in den USA hat ergeben, dass die amerikanische Öffentlichkeit es zwar „hasst, Soldaten in einer Verlierer-Sache zu verlieren, sie ist aber bereit, höhere Verluste in Kauf zu nehmen, wenn Amerika gewinnt.“ (zitiert nach Ricks S. 13)


Kommentar AM
Petraeus verfügt zusätzlich über eine wichtige Trumpfkarte, mit der er ursprünglich gar nicht rechnen konnte: Die Wirtschaftskrise. Kriege waren schon immer perfekte Konjunkturförderungsprogramme und es werden wegen der grossen Unsicherheit am Arbeitsmarkt wieder mehr junge Amerikaner zur Army gehen.

Zur Zeit wird die ganze Situation um Af-Pak - dank Obama, dank Petraeus - unglaublich optimistisch dargestellt. Doch Skepsis ist nicht nur angesichts der realen Probleme in Afghanistan/Pakistan angebracht, sondern auch gegenüber der im Grunde unveränderten Haltung der Amerikaner, nicht zuletzt auch von Obama und Petraeus. Mit der Counterinsurgency verfügen sie endlich über eine wirklich vernünftige Strategie für den „nicht-regulären Krieg“. Aber jetzt sind sie in altbekannt arroganter Weise felsenfest davon überzeugt, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Sie sind wild entschlossen, ihre neue Wahrheit und die ihnen zugrunde liegenden westlich-amerikanischen Werte wie Good-Governance, Demokratie oder Freiheit auch mit Gewalt in Af-Pak durchzusetzen. Man kann gespannt sein, wie die mittelalterliche Gesellschaft der Stammesführer und Dorfältesten, mit ihrer wenig gebildeten Bevölkerung und einer teils archaischen Kultur inklusive Blutrache, fundamentalistischem-islamischem Glaubenseifer und Korruption auf die Implementierung der neuen US-Strategie reagieren wird.
Die Absolutheit des Denkens der US-Führung erinnert doch stark an die kritisierte kulturelle Ignoranz und an den alten Glauben an die Macht der puren Feuerkraft.

1 Kommentar:

EJ hat gesagt…

Sehr informative Darstellung! Vielen Dank!

Mit Ihrer Bewertung, lieber Herr Müller, bin ich allerdings nicht ganz einverstanden. Wie kommen Sie darauf, dass die Amerikaner nun wieder "in altbekannt arroganter Weise felsenfest davon überzeugt [seien], den Stein der Weisen gefunden zu haben?" In Ihrer Darstellung ist das in keiner Weise enthalten. Können Sie Ihre Bewertung mit entsprechenden Belegen/ Indizien unterfüttern?