Montag, 22. September 2008

„Das Ende eines desaströsen Geschäftsmodells“

Unglaublich, wie die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft versuchen, die weltweite Finanzkrise klein zu reden – und die Medien beten ihre Schönfärbereien und Durchhalteparolen brav nach. Das Thema wird abge-handelt wie eine gottgegebenen Naturkatastrophe. Immerhin erscheinen jetzt auch vereinzelt Artikel, die die Katastrophe in ihre richtige Dimension rücken und auch die Ursachen und Verantwortlichen beim Namen nennen.

Frank Schirrmacher regt sich auf FAZnet zurecht auf in seinem Artikel „Mehr als eine Finanzkrise. Das Zeitalter des Unglücks“:

„Eine „Finanzkrise“? Mit gleichem Recht könnte man behaupten, dass die infame Spezialität
von Hurrikan „Ike“ darin bestehe, Open-Airkonzerte am dreißigsten Breitengrad zu stören, aber alles andere, das er auch durcheinanderwirbelt, verschweigen.“

Auch der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger und Berater von Ex-US-Präsident Bill Clinton, Joseph Stiglitz, konstatiert schlicht «das Ende der Ideologie, dass freie, deregulierte Märkte immer funktionieren» und „Das Ende eines desaströsen Geschäftsmodells.

„Die Zeit“ fragt in ihrer Ausgabe vom 18. September „Ist der Finanzkapitalismus am Ende?“, um gleich die eigene Frage zu bejahen: „Jetzt birst die Blase des angelsächsischen Finanzkapitalimus. Aufgepumpt durch die Gier der Banker, .....“ Und: „... es ist das Ende der Herrschaft der angelsächsischen Finanzindustrie, der andere Länder nachstrebten und von der sie bedenkenlos Schulden übernahmen.“

Und Robert von Heusinger macht in der Frankfurter Rundschau in seinem Artikel "Lehrstunde in Kapitalismus" den logischen Link zur Religion, zum Glauben:
„Jeder, der liest, sieht und finanzielle Verluste bedauert, und sei es nur in künftig niedriger verzinsten Lebensversicherungen, muss VOM GLAUBEN abfallen. Vom Glauben an die Überlegenheit freier Märkte. Denn das Desaster, dessen Zeuge wir werden, haben unregulierte Finanzprodukte angerichtet, die auf unregulierten Märkten von oftmals unregulierten Vehikeln wie Hedgefonds oder Zweckgesellschaften gehandelt worden sind.“

Tatsächlich wurde uns die Marktwirtschaft und ihre Regeln quasi als Religion inklusive Heilsversprechung verkauft, deren Gesetze wenn nicht heilig, so doch naturgegeben sind. Der Kapitalismus und seine extreme Form der freien Marktwirtschaft als ein sich selbstregulierendes System, das schliesslich allen zum Glück verhelfen wird.


Die Katastrophe ist hausgemacht, "man-made".

Schon länger haben wir eigentlich alle gesehen, das etwas nicht stimmen konnte an „dem System“. Es machte die einen immer reicher, während immer mehr Menschen und ganze Kontinente immer weiter ver-tröstet wurden, sie würden dann schon noch am Erfolg teilhaben. Doch wer gewagt hat, kritische Fragen zu stellen, wurde entweder als Ignorant milde belächelt oder gar als Linker oder Kommunist - eben als Sytem-gefährder - verdächtigt und disqualifiziert. Ein berufliches (Karriere-) Risiko.

Jetzt müssen alle schmerzhaft erfahren, dass nicht nur dieses „System ganz offensichtlich nicht funktioniert, sondern dass es auch nicht von irgendwelchen „rationalen Gesetzen“ gesteuert wird, sondern von den ganz profanen, menschlich-biologischen Trieben der Top-Manager und ihren Zauberlehrlingen an den Börsen, die sich selbst gerne als „Herrscher des Universums“ sahen.
Unter dem Titel „Der Testosteron-Wahn der Broker“ fasst baz.online die Ergebnisse eines Forschungspro-jekts norwegischer Wissenschaftler zusammen: „Urzeitliche Reflexe, Herdentrieb und Hormone spielen aus Sicht von Psychologen und Biologen eine wichtige Rolle bei Kauf- und Verkaufsentscheidungen von Börsen- und Finanzhändlern.“ Ein zu hoher Testosteron- oder Cortisol-Spiegel verneble allzu oft das Urteilsvermögen der meist jungen Börsenhändler.
Die Chefs der jungen Wilden, welche mit ihren irrationalen Entscheiden Schicksal für ganze Finanzsystem spielen, geben - wie beim Fall der deutschen IKB - offen zu, „dass sie die Praxis, die
Handlungen und Verfahren nicht verstehen und nie verstanden haben.“
Sie haben es nicht verstanden!“

Fazit:
Schirrmacher: „Das Unglück, von dem man reden muss, ist ein hergestelltes, ein produziertes, ein vor unseren Augen zusammengeschraubtes Unglück - ein Unglück, das mit Fleiß in die Welt gesetzt wird und dessen Anstifter, Täter, Mittäter, Beihelfer, Mitwisser anders als bei einem
Wohnungseinbruch (um Enzensberger zu zitieren) nicht zu benennen sind.“

Die aktuelle „Finanzkrise“ hat eine tiefgreifende Dimension, nicht nur weil sie uns alle ganz direkt betrifft, sondern weil sie eine grundsätzliche Erschütterung des Vertrauens in die Marktwirtschaft bedeutet. Die folgen sind noch nicht offensichtlich, aber liegen eigentlich auf der Hand.

Aber dazu in einem nächsten Beitrag mehr.

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