Samstag, 16. August 2008

Zum Beispiel: "Wir alle sind verführbar"


Die Frankfurter Rundschau (online) fragt den berühmten Psychologieprofessor Philip G. Zimbardo: "Ist der Mensch im Kern böse?"

Zimbardo hat schon 1971, das berühmte Experiment im Gefängnis von Stanford durchgeführt. Damals ließ er 24 Studenten zwei Wochen lang eine Gefängnis-Situation simulieren – zwölf waren die Häftlinge, zwölf die Wärter. Zimbardo wollte beobachten, wie es sich auf das Verhalten auswirkt, wenn man eine bestimmte Rolle einnimmt.
Die Misshandlungen der "Wärter" eskalierten aber in kürzester Zeit so, dass er das Experiment nach sechs Tagen abbrechen musste. Auch die "Guten" unter den Wärtern hatten nicht bei Alarm geschlagen und Zimbardo selbst hatte in der Rolle des Gefängnisdirektors fast sechs Tage lang indifferent den schlimmen Misshandlungen zugesehen.

Die Parallelen zu den Ereignissen im Foltergefängnis der US-Armee in Abu Ghraib (Irak) sind so frappierend wie logisch.

"Wir sind alle fasziniert vom Bösen" sagt er im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau.

FR-online: "Glauben Sie trotz Ihrer Erkenntnisse, dass es gute Menschen gibt, die niemals auf den schlechten Pfad geführt werden könnten?"

Zimbardo: "Wenige schaffen es, dem Druck zu widerstehen, dem Gruppendruck, dem Druck der Autorität. Faszinierend finde ich, dass wir nie vorhersagen können, wer das sein wird. Ein wichtiger Faktor ist das akzeptierte Sozialverhalten in der Gruppe. Was tun die anderen? Für was wird man belohnt?"

Immerhin stellt Zimbardo fest: "Wer ein Konzept von sich als 'wertvoll, geliebt, geschätzt' hat, ist weniger in Gefahr, dem Gruppendruck nachzugeben. Die Situation kann aber trotzdem so mächtig sein, dass man ihr nachgibt. C.S. Lewis hat 1941 in einer berühmten Rede Cambridge-Studenten davor gewarnt, dass sie irgendwann im Leben
verführt werden, Teil eines inneren Zirkels von Privilegierten zu werden. Für die meisten Menschen ist das unwiderstehlich. Lewis sagte: Manche derjenigen, die sich verführen lassen, werden Schurken und manche berühmte Politiker - aber beide haben dasselbe getan."

"Gerade wer sich für etwas Besonderes hält, ist noch leichter verführbar. Jeder Mensch ist in Gefahr, den Kräften der Situation zu erliegen."

Und:
"In meiner Kindheit waren die meisten Helden Kriegshelden - Männer, die Leute getötet hatten."

Das ganze Interview: hier.

1 Kommentar:

Martinamüller hat gesagt…

Es ist auf jeden Fall eine sehr effektive Art, sich aus der Verantwortung zu stehlen, wenn man behauptet, ‚der Mensch’ sei im Kern böse. Neu ist es nicht. Die Lehre von der Erbsünde sagt dasselbe.
Der Effekt: Täter werden entschuldigt. Sie sind eben böse, da kann man nichts machen. Höchstens vergeben. Die Opfer hingegen sind aus dem Blick.
Das berühmte Experiment von Zimbardo gibt es auch noch in anderen Versuchanlagen. Eine schlüssige und logische Erklärung für solches Verhalten gibt mir Alice Miller: Menschen, die als Kinder gedemütigt und geschlagen wurden und die, in ihrer existentiellen Abhängikeit von den Eltern, Zorn und Wut nicht spüren durften, werden diese im Erwachsenenalter ausleben. Wenn Miller recht hat, ist bei allen Folterern in der Kindheit grausame Behandlung zu finden.
Zimbardo gibt Miller im Grunde recht, wenn er sagt, was du zitierst: "Wer ein Konzept von sich als 'wertvoll, geliebt, geschätzt' hat, ist weniger in Gefahr, dem Gruppendruck nachzugeben. Das heisst, wer als Kind wertgeschätzt und um seiner selbst willen geliebt wurde, wird später nicht zum Misshandler.
Zitat Alice Miller, aus ihrer Homepage:
Menschen, deren Integrität in der Kindheit nicht verletzt wurde, die bei ihren Eltern Schutz, Respekt und Ehrlichkeit erfahren durften, werden in ihrer Jugend und auch später intelligent, sensibel, einfühlsam und hoch empfindungsfähig sein. Sie werden Freude am Leben haben und kein Bedürfnis verspüren, jemanden oder sich selber zu schädigen oder gar umzubringen. Sie werden ihre Macht gebrauchen, um sich zu verteidigen, aber nicht, um andere anzugreifen. Sie werden gar nicht anders können, als Schwächere, also auch ihre Kinder, zu achten und zu beschützen, weil sie dies einst selber erfahren haben und weil dieses Wissen (und nicht die Grausamkeit) in ihnen von Anfang an gespeichert wurde. Diese Menschen werden nie imstande sein zu verstehen, weshalb ihre Ahnen einst eine gigantische Kriegsindustrie haben aufbauen müssen, um sich in dieser Welt wohl und sicher zu fühlen. Da die Abwehr von frühesten Bedrohungen nicht ihre unbewusste Lebensaufgabe sein wird, werden sie mit realen Bedrohungen rationaler und kreativer umgehen können. www.alice-miller.com © 2008 Alice Miller
Mehr dazu für alle die neugierig sind.
„Wie kommt das Böse in die Welt?“
Artikel von Alice Miller.
http://www.alice-miller.com/artikel_de.php?lang=de&nid=23&grp=11
Martina Müller