Freitag, 18. Juli 2008

Sharia in der Schweiz?


Unterschwellig ist es auch in der Schweiz schon heute ein Riesenthema: das Zusammenleben der Schweizerinnen und Schweizer mit den Muslimen, respektive die Diskussion über die Frage, wie sehr sich ein in der Schweiz lebender Ausländer zu assimilieren hat.

Oeffentlich wird die Thematik bisher nur punktuell behandelt, wenn es zum Beispiel um die Frage der Minarette oder der Kopftücher der Frauen geht oder zuletzt in Basel bei der Bespitzelung der türkisch-stämmigen Grossräte durch den Schweizer Staatsschutz.

Es wäre aber dringend nötig, das Thema generell und breit zu diskutieren, auch wenn dies sicher schmerzhaft und mit einiger Emotionalität verbunden ist. Die anhaltende Tabuisierung birgt aber mittelfristig grössere Risiken und führt dazu, dass die Thematik von Fundamentalisten auf allen Seiten für ihre Interessen missbraucht wird.

In England geben inzwischen wichtige Exponenten der Kirche und der Justiz mutige Impulse. Sie fordern, dass die Sharia den anderen kirchlichen Rechtsordnungen (christliche und jüdische) gleichgestellt wird. Die Aeusserungen des geistliche Oberhaupts der anglikanischen Staatskirche, Erzbischofs von Canterbury, die Sharia in das britische Rechtssystem zu integrieren, hat heftige Reaktionen ausgelöst:



Der oberste Geistliche Englands hat dann überraschend Unterstützung vom höchsten Richter von England und Wales, Lord Nicholas Phillips erhalten. Er sehe "keinen Grund, warum Grundsätze der Scharia oder andere Religionsgesetze nicht als Grundlage für außergerichtliche Schlichtungsverfahren dienen sollten" , sagte Nicholas Phillips bei einer Rede im Ostlondoner Muslimischen Zentrum.
Die Rede ist ausrücklich von "aussergerichtlichen Schlichtungsverfahren", die insbesondere den privaten Bereich betreffen. Sanktionen wie Auspeitschungen, Verstümmelungen oder Steinigungen, die von Scharia-Gerichten verhängt werden, kämen dabei "keinesfalls in Frage". Und tatsächlich gibt es in England schon seit einigen Jahren solche «Islamic Shari’a Councils». Die Richter beraten muslimische Familien und helfen, familiäre Probleme zu lösen.

Das Primat des staatlichen Rechts wird in England von niemandem angezweifelt, auch nicht von der staatlichen Kirche.

Das Nebeneinander des zivilen, staatlichen Rechts und des kirchlichen Rechts ist der Bevölkerung der Region Basel mit der Affäre um den Röschenzer Pfarrer Szabo ja wieder etwas mehr ins Bewusstsein gerückt. Leider musste man dabei feststellen, dass die Kirchenoberen in der Schweiz weit weniger tolerant denken und sich anders als ihre englischen Kollegen insbesondere mit dem Primat der staatlichen Rechts schwer tun:
Der Sprecher der Schweizerische Bischofskonferenz Erwin Tanner unterstreicht, dass Schweizer Katholiken sowohl der staatlichen wie der kirchlichen Rechtssprechung unterstehen: «Allerdings nur so weit, als staatliche Regelungen nach kirchlicher Ansicht nicht gegen
göttliches Recht verstossen oder kirchliches Recht nicht etwas anderes vorsieht.»("Plädoyer" 4/08).

Einen islamischen Geistlichen, der sich so äussert würde man wohl fundamentalistisch nennen. Die Baselbieter Gerichet und Behörden haben denn auch im Fall Szabo klar gemacht, wer heir das Primat hat. Kirchendirektor Adrian Ballmer (Regierungsrat BL): «Der Staat garantiert die Grundrechte, und daran hat sich auch die Landeskirche zu halten.»

Doch gläubige Katholiken wissen, dass sie sich trotz einem entlastenden Urteil der staatlichen Instanz mit einer kirchlichen Sanktion rechnen müssen. Die Konsequenzen – bis hin zur Exkommunikation – hätten sie «parallel zu tragen, da sie beiden Systemen mit bestem Wissen
und Gewissen zur Gehorsam verpflichtet sind" ("Plädoyer" 4/08, Scrrenshot Artikel siehe unten).


Die Schweiz kennt im Uebrigen auch jüdische Schiedsgerichte, analog zu de englischen islamischen Einrichtungen. Sie beurteilen jährlich zwischen 10 und 20 Fälle "unter weitmöglichster Wahrung jüdische Rechts". Geprägt von ihrer jahrhundertelangen, schmerzhaften Erfahrung, sind die Juden sehr pragmatisch. Haben die Juden unter sich eine zivilrechtliche Auseinandersetzung, müssen sie diese eigentlich zuerst vor ein rabbinisches Schiedsgericht bringen. Ist eine Partei dazu aber nicht bereit, kann auch ein staatliches Gericht nagerufen werden. Eine sture Beurteilung nur nach jüdischem Recht lehnen die jüdischen Schiedsgerichte ab. Dies können zu "unbilligen Entscheiden" führen, solchen, die dem staatlichen Zivilrecht widersprechen, was man tunlichst vermeiden will, um die eigenen Glaubensbrüder nicht in Schwierigkeiten zu bringen (Zitate des Zürcher Anwalts Alfred Strauss gemäss dem Sharia-Artikel in "Plädoyer" 4/08, Scrrenshot Artikel siehe unten).

Die Toleranz und Offenheit der Englischen Würdenträger könnte uns ein Vorbild sein und uns ermutigen, die schwelende Thematik der Integration der fremden (diesmal muslimischen) Kultur mutig anzugehen. Die Juden könnten ein Vorbild sein für die Muslime und von deren Erfahrung in "Sich-Anpassen" sein. Doch sowohl die Muslime in England wie in der Schweiz meiden die Diskussion zum Thema Scharia aus einem ganz andren Grund: Sie fürchten eine erneute Diskriminierung durch extreme politischen Gruppe, sowohl in den eigenen Reihen, wie auch bei Schweizer Organisationen und Parteien.


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