Adrian Zschokke (r-film: Kameramann, Produzent) Projekt "Kreuzzug" |
Ist nicht die hehrste Aufgabe eines Dokumentaristen, sei es nun schreibend oder mit der Kamera, die Wahrheit zu suchen?
Eine präzise Aussage, die sich aber wie eine Infinitesimalrechnung jedem noch so engen Gitter entzieht. Und trotzdem nur mit dieser nachhakenden Methode anzunähern ist. Im dialektischen Dreisprung sozusagen.
Eine präzise Aussage, die sich aber wie eine Infinitesimalrechnung jedem noch so engen Gitter entzieht. Und trotzdem nur mit dieser nachhakenden Methode anzunähern ist. Im dialektischen Dreisprung sozusagen.
Jeden Morgen tasten wir uns neu an den Brocken heran, den wir uns vorgenommen haben: Einen Heiler, Evangelisten. Einer der Wunder verspricht. Müsste leicht zu knacken sein. Diese grossspurig auftretenden Schreihälse, die den Leuten das Geld zur Tasche rausschwatzen, die Wasser predigen und Wein trinken. Heuchler, salbadernde, die überall Sodom und Gomorrha wittern und immer wieder in unappetitlichsten Kontexten auftauchen.
Konkret ist es der grossgewachsener Krist, Dag Heward-Mills, Gründer der ICL, International Lighthouse Chapel. Seine Mutter ist Schweizerin, der Vater Ghanaer. Er entspricht ziemlich gut dem oben entworfenen Feindbild, wenn ich mich im Internet mit ihm beschäftige. Wird mir die Realität zu einer andern Sehweise verhelfen?
Dag Heward-Mills kommt mit seinem ganzen Tross von sechs Sattelschleppern und 20 Bussen nach Niamey, der Hauptstadt des Niger, in ein zu über 90 Prozent muslimisches Land. "Healing Jesus Crusade, Campagne Jésus qui guérit”, schreit es von unzähligen Banderolen. Der zähnebleckende Evangelist in Überlebensgrösse auf Riesenplakaten und auf Klebezetteln an allen Hauswänden. Und die Kampagne sorgt für eine leichte Unruhe.
Das Terrain Musulman, auf dem das Grossereignis ursprünglich hätte stattfinden sollen, wurde nach Protesten der islamischen Frauenliga, die sich um die Ruhe der Toten sorgte, - Fussballspiele, die sonst hier abgehalten werden, sind dieser offensichtlich nicht abträglich -, zugunsten des Geländes der christlichen Agoraschule aufgegeben. Die evangelikalen Roadies bauen die bereits aufgestellten Bühnenelemente und Stühle wieder ab, gleichmütig und geduldig, und fahren zur neuen Arena. Halt etwas ausserhalb des Zentrums.
Hier müssen erst ein paar Neembäume, die ihrer Heilwirkung wegen angepflanzt worden waren, kräftig Äste lassen. Die Kameraleute monierten, in ihren Totalen würden sonst die 100'000 erwarteten Fans nicht richtig zur Geltung kommen. Bis zum angegeben Termin steht alles, eine grosse Bühne mit zwei enormen Lautsprechertürmen. Lichttechnik vom feinsten, Musikanlage, Bücherauslage mit den – französich übersetzten - Werken Dag Heward-Mills, alles ist da.
Um sechs Uhr abends, kurz vor Sonnenuntergang, geht es los. Bereits haben mehre Kleingruppen ihr evangelikales Einturnen abgehalten. Glossolalie, Gebete und aufpeitschendende Hallelujagesänge. Mir kommt immer Polt dazwischen mit “'Luja sog I”, aber ich verkneife mir mein Grinsen, schliesslich sind wir geladene und immer freundlich unterstütze Gäste in dieser mit Frohmut getränkten Versammlung.
Der Platz ist noch ziemlich leer. Wenn da 5000 Zuschauer sind, schätze ich, sind es viele. Davon ist die rechte Hälfte in wunderschöne orangene Talare gekleidet, die schon beim Auftritt der Vorgruppe, beim nigrischen Pastor, im richtigen Moment ihr Amen sagen und auch schon mal lasziv die Hüften wiegen. Eine Gruppe der evangelikalen Nigrinerinnen. (Noch immer weiss ich nicht, wie die Bewohner dieses Landers grammatisch richtig heissen. Hartnäckiges Nachfragen hilft nichts, es weiss es niemand, oder interessiert wohl nicht.)
Bis der Star des Abends auf die Bühne kommt, mit einer exzellenten französich singenden und einer noch besseren englischen Sängerin angekündet, gegen acht Uhr, sind schliesslich um 20'000 Leute im Areal. Dar Hauptkampagnienleiter Ebo, der sich um alles zu kümmern scheint, ein junger Pastor aus Ghana mit einer Ringerpostur, - ehemaliger Bodybuilder, wie ich erfahre -, runzelt die Stirn: Das lohnt sich einfach nicht. Wir sind trotzdem beeindruckt, es ist eine eindrückliche Menge.
Der Evangelist legt los, etwas stockend, da seine englischen Parabeln immer zweifach übersetzt werden müssen, einmal französisch, einmal Haussa. Er beginnt mit Jesus, der immer gleich bleibt, der die immer gleiche Kraft ausstrahlt. Er malt die Hölle farbig aus, in die alle stürzen, stÜRZEN, STÜRZEN müssen, so sie nicht Jesum annehmen. Er erzählt Anekdoten aus seinem Medizinstudium, - Doug Heward-Mills ist ursprünglich Arzt und betreibt mit seiner Kirche in Accra auch mehrere Spitäler und Ambulatorien.
Es geht auf den Höhepunkt zu, die Wunderheilung. Die Musik wird rockiger, der Pastor rappt, die Übersetzer haben sich auf ihn eingespielt. Doug lädt die Lahmen, Blinden und Tauben zu sich. “Jesus kann euch heilen, ihr müsst ihn bloss annehmen, ihr müsst ihn lieben.” “Its a loving Christ” fällt die Sängerin, die Vivaldi heisst, immer wieder genial in den Pausen ein. Und ein Strom der Krüppel bewegt sich zur Bühne. Die vier Ärztinnen der LCI haben alle Hände voll zu tun, die Triage ist hart, nur die markantesten Fälle dürfen zum Pastor hinauf. Ein kräftiger 30jähriger etwa, mit einem lahmen Bein, vermutlich wegen einer Kinderlähmung. Er legt einen kleinen Breakdance auf der Bühne hin, während er seine Krücken fortwirft. Ein Mädchen, das vorher auf einem Auge blind war und nun, heUTE ABEND ZUM ERSTEN MALE, wieder sieht. Ismael, der uns vorher in der Menge aufgefalllen ist, ein “Libyer”, d.h. einer, der in Libyen gearbeitet hat, und vor dem Krieg nach Niger zurückgeflohen ist. Der Lastwagen, auf dem er mitfuhr, verunfallte, Ismael kann nur noch mit grossen Schmerzen und an Krücken gehen. Er erhält seinen Auftritt. Er geht strahlend auf den Pastor zu. Er kommt strahlend zu uns, mit unsicheren Schritten, aber ohne Krücken. Er ist geheilt!
Wir sind mässig überzeugt. Die Beispiele, die wir sahen, sind entweder nicht überprüfbar oder, wie im Falle Ismaels, in unsern Augen eher der Massenpsychose und Autosuggestion zuzuschreiben. Die Menge aber jauchzt, tanzt und betet hingebungsvoll. Die Zuschauer sind glücklich, begeistert. Die Leute, die um das Stadium herumsitzen, die Taxifahrer, Muslime, die wir mit unsern Fragen löchern, alle sind überzeugt, doch, doch, der Heiler kann etwas. Und Doug selbst? “Ich bin glücklich, dass Jesus in dieser schwierigen Umgebung, in einem der ärmsten Länder der Welt, so viel bewirken kann.” Immer freundlich, immer bescheiden. Sympathisch sogar.
Am nächsten Mittag ist die ambulante Klinik auf dem Areal. Die Patienten, ein paar Dutzend sind es, werden – etwas summarisch – untersucht, sie erhalten gratis eine Konsultation und Medikamente. Meist sind es Malariamittel oder etwas gegen Husten und Durchfallerkrankungen. Nabia, die Ärztin, neben der wir filmen können, ist freundlich, effizient. Die Übersetzerin, eine nigrische Krankenschwester, erklärt den Patienten die Dosierung.
Dann kommt der Bischof Doug hinzu. Auch er setzt sich mit Stethoskop an den Behandlungstisch. Fälle, bei denen die üblichen Arzneien nicht ausreichen, werden in einer Schulstube genauer untersucht. Eine alte, schwere Frau etwa, die eine Geschwulst an der Brust hat. Sie ist auf das doppelte angewachsen und der Nippel ist eingefallen. Doug und der zweite Arzt diagnostizieren übereinstimmend einen fortgeschrittenen Brustkrebs. “Hier kann die Medizin nichts mehr ausrichten, nur noch Gott kann helfen. Darf ich für dich beten?” Nach der Fürbitte entlässt er die Frau und wendet sich dem nächsten Patienten zu.
Am Nachmittag besuchen wir Ismael, den “Libyer” zuhause. Es ist nicht ganz leicht, in einer Millionenstadt, wo als Adresse bloss das Quartier angegeben ist und Hausnummern fehlen, aber nach etwa einer halben Stunde mit dem geduldigen Taxifahrer finden wir ihn schlesslich. Er humpelt wieder auf seinen Krücken zu uns. “Es ist nicht mehr so gut wie gestern”, meint er. Sein Neffe ist kategorischer, “Das ist überhaupt kein Wunder, es ist alles genau wie vorher.” Wir überreden Ismael, in die ambulante Klinik der Crusade zu fahren, damit sie ihm etwas gegen die Schmerzen verabreichen können.
Auch wir fahren nochmals hinaus. Als wir Nabia auf Ismael ansprechen, meint sie, “doch doch, ich kann mich an ihn erinnern. Er soll nochmals herkommen zur Wunderheilung. Es ist halt oft so, dass die Leute zuhause den Glauben verlieren, aber meist ist das Wunder nachhaltig.”
So kann man es natürlich auch interpretieren. Man könnte wohl ebensogut sagen, wenn nicht die Augen von 20'000 begeisterten, zu Wunder bereiten Anhängern auf einen gerichtet sind, kann man sich nicht so leicht einreden, dass die Schmerzen verschwunden sind.
Während der vier Veranstaltungen kamen schätzungsweise 50'000 Leute, manche jeden Abend, zu den Predigten. Wir fragen Doug, wie erfolgreich denn ökonomisch diese Tournee ist. “Sie können es sich selbst ausrechnen, sie können auch gerne bei der Buchhaltung vorbeigehen. Das alles hier hat mehr als hunderttausend Franken gekostet. Wenn wir 20'000 einnehmen, ist das viel. Wir machen das nicht des Geldes wegen. Aber ich bin glücklich, ich habe einen Auftrag, eine Berufung.”
Heute habe ich mir einen Zahn ausgebissen, real. Haben wir uns vielleicht doch einen zu grossen Brocken vorgenommen? Wir werden den Konvoi weiter nach Ouagadougou begleiten, da erwarten sie deutlich mehr Menschen, der Anteil der Christen an der Bevölkerung ist grösser. Und die evangelikalen Gemeinden wachsen noch schneller als anderswo in Afrika.
Aber ändert das etwas? Die Kindergarten-Sonntagschulpredigten, mit denen Bishop Doug seine Zuhörer bombardiert, stossen mir nach wie vor auf. Viele haben sich wohl nach der Prägung in ihrer Kindheit wie ich von der Kirche gelöst. Wir haben uns ihrer engen moralischen Fesseln entledigt. Weder die Verurteilung der Homosexualtät, die Verteufelung der Sexualität generell, noch die Erhebung des Christentums zum allein seligmachenden Weg zu Gott kann ich akzeptieren. Wenn uns aber der Kampagnenleiter Ebo mit Verve erklärt: “Was ist denn das Problem Afrikas? Wieso sind alle Führerfiguren, kaum sind sie an der Macht, korrupt oder unfähig? Sie haben keinen Halt. Nur in der Kirche werden die verschiedenen Temperamente zu einem grösseren Gesamtwohl zusammenarbeiten. Das Christentum ist die Lösung für Afrika”, so macht er mich zumindest einmal mehr sehr nachdenklich.
Aber wohin soll denn dieses Christentum schliesslich führen? Doug Heward-Mills, der auch schon mal in einer Predigt gegen die Antriebslosigkeit seiner Landsleute wettert, der von sich sagt, “ich bi halt Halbschwiizer, und wohl deshalb Perfektionist”, der mit den modernsten Mitteln kommuniziert, und das hervorragend, will er die Ghanaer zu Europäern machen? Ist das wünschenswert? Wenn ich uns im Grand Hotel Niger betrachte, wie wir Weissen genervt herumsitzen mit unsern digitalen Brettern vor den verkniffenen Gesichtern, weil das Internetz deutlich löchriger geknüpft ist als bei uns, wenn wir uns aufregen über die uns anlabernden Verkäufer der Schmuckstücke, die keiner will oder über die allgegenwärtigen Schlaglöcher in den Staubstrassen, vergessen wir, wie schnell wir zuhause wieder angstvoll auf die dunkel aufziehenden Krisenanzeichen starren, die uns die effizienten Christenregierungen aller Welt eingebrockt haben. Wir vergessen, wie schnell uns das total unverdorbene sizilianische Dörflein gefallen hat, und wie enttäuscht wir waren, als sie plötzlich auch da eine Wasserleitung ins Dorf gezogen hatten, als die Strasse erweitert und ausgebessert worden war. Es war nicht mehr das selbe. Und die freundlichen Einwohner waren plötzlich ebenso reserviert, wie wir das auch sind.
Die Lösung für Afrika? Überhaupt, die Lösung? Wir bleiben dran. Haben uns vorgenommen, unsere Positionen bei jedem Sprung, bei jeder Landung neu zu hinterfragen.
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