Sonntag, 6. März 2011

Ein Pakt der Schweiz ... mit Tunesien.

Contextlink hat im Post "Der neue Süden als Chance für Europa" auf die Idee für einen "Pakt für Arbeit, Ausbildung und Energie" des Arabienspezialisten Volker Perthes hingewiesen.
Ich möchte hier eine Umsetzung dieses Bündnisses, "von dem beide Seiten profitieren", auf einen Pakt Schweiz-Tunesien versuchen.

Warum der Fokus Tunesien?
Die Schweiz hat nicht die Kapazität, allein und auf breiter Front im ganzen arabischen Raum zu handeln. Sie muss sich im Rahmen einer gesamteuropäischen Initiative, sei es bei einem Marschallplan oder einem Projekt "Aufbau Süd" beteiligen. Aber vielleicht wäre es sinnvoll, sich auf ein Land speziell zu konzentrieren, um dort gezielt Wirkung zu erzielen, die auch sichtbar und kommunizierbar wird.

Tunesien ist uns nah. Nicht nur geographisch. Das wissen die vielen Schweizerinnen und Schweizer, die schon mal ihre Ferien im "Land der Karthager" verbracht haben. Die Schweiz pflegt traditionell gute Beziehungen mit Tunesien. Relativ viele Tunesier leben schon heute in der Schweiz.  Tunesien ist ein überschaubares, relativ kleines Land (10 Millionen Einwohner) im arabischen Raum, wie die Schweiz in Europa. Aber vor allem: Tunesien hat eine grosse Anzahl junger, gut ausgebildeter, "westlich"-orientierter Menschen, die sich in der Schweiz wohl sehr schnell zurecht finden würden.

Zunächst: Die Position der Integrationsgegner, die Länder im arabischen Raum bräuchten vor allem eine "Stärkung der eigenen Kapazitäten" ist zwar eine Ausrede, um keine Migranten aufzunehmen, sie ist aber im Grunde genommen durchaus richtig.
Das heisst, die Schweiz müsste zuerst für eine befristete Übergangszeit ihren Markt für Produkte und Fachkräfte aus Tunesien öffnen. Bestehende Zölle, Quoten und andere nicht-tariffäre Handelshemmnissen, die heute den Handel von tunesischen Agrar- und Textilprodukten in die Schweiz behindern, müssten bis auf Weiteres ausgesetzt werden.
Diese Massnahme sollte gemäss Volker Perthes' Konzept auf zwei Jahre befristet sein. Während dieser Zeit sollte dann ein langfristiger "Pakt für Arbeit, Ausbildung und Energie" zwischen der Schweiz und Tunesien ausgehandelt werden.

Die Schweiz würde eine Art Patenschaft für Tunesien übernehmen - oder politisch korrekter: Wir würden eine Partnerschaft mit Tunesien aushandeln, deren Kern ein Programm für Ausbildung und Arbeit bildet. Dieses Programm wendet sich direkt an die jungen, häufig gut ausgebildeten Menschen, die in Tunesien die "demokratische" Revolution gemacht haben, in ihrem eigenen Land aber heute kurzfristig keine Perspektive für ihre Zukunft sehen.
So sieht das Programm aus:
  • Die Schweiz stellt jährlich 3000 Visa und Arbeitsgenehmigungen für graduierte Universitätsabgänger bereit, beschränkt auf 5 Jahre.
  • Das Visum ist verbunden mit einem Vertrag als Trainee in einer Schweizer Firma mit einer anschliessenden Beschäftigung bis zum Ablauf der Visagültigkeit.
  • In der Zeit vor dem Ablauf der Vertragszeit bereiten die jungen Tunesier ihre Rückkehr mit Unterstützung der Schweizer Behörden und ihrer Ausbildunsgfirma in der Schweiz aktiv vor.
  • Nach Ablauf des Fünfjahresprogramms müssen die in der Schweiz ausgebildeten Leute zurück nach Tunesien. Sie sind aber nicht nur mit reichhaltiger Berufserfahrung ausgestattet, sondern erhalten von der Schweiz auch einen Starthilfekredit, um in ihrem Heimatland einen eigenen Betrieb aufzumachen und dort neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Mit einem solchen Programm erreicht die Schweiz gleich mehrere Ziele:
  • Mit der offenisven Strategie und dem Angebot an die jungen Tunesier steigt ihre politische Glaubwürdigkeit international für eine begleitende, rigorose Migrationspolitik/Asylpolitik. Das Signal an die jungen Menschen im gesamten arabischen Raum wäre eindeutig. Die Schweiz tut etwas für Euch. Es gibt einen legalen Weg, für den ihr euch in eurem Heimatland bewerben könnt. Illegale Zuwanderer haben keine Chance.
  • Gleichzeitig verfügt die Schweiz dank einer "humanitären" Massnahme auf einmal über ein Reservoir an jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräften, die ihr auf Grund der ungünstigen demographischen Entwicklung im Land (Überalterung) eigentlich fehlen. 
  • Sie stellt aber auch sicher, dass diese jungen Leute die Schweiz auch wieder verlassen und Tunesien mittelfristig nicht nur nicht "ausblutet", sondern dank den in der Schweiz aus- und weitergebildeten Arbeitskräften prosperieren kann.
Die Befürchtung, diese junge Menschen wäre nicht mehr bereit, nach Tunesien zurückzukehren, halte ich für kurzsichtig und paranoid. (Und vielleicht stellt sich das Problem gar andersrum: Sind die Schweizer Wirtschaftsunternehmen überhaupt bereit, die Nachwuchskräfte, die sie ausgebildet haben, wieder gehen zu lassen?)
Die grosse Mehrheit der in der Schweiz ausgebildeten Tunesier  wird begierlich darauf sein zurückzukehren, wenn sie in ihrem Heimatland eine reale Perspektive für sich sieht.
Und hier muss der zweite Teil des Paktes greifen, den Volker Perthes nur andenkt und den ich hier etwas weiterentwickle:

Das Programm zur Aus- und Weiterbildung junger Tunesier müsste Teil eines umfassenden Paktes Schweiz-Tunesien sein: einer Wirtschaftspartnerschaft. Folgende Massnahmen sind denkbar. (Die Liste ist selbstverständlich nicht abschliessend):
  • Tunesien ermöglicht Schweizer Firmen eine privilegierte Ansiedlung im Land (Steuern, Landkauf, etc.). 
  • Die Schweiz setzt einen wesentlichen Teil ihrer Entwicklungshilfegelder und Mittel zur Förderung der Wirtschaft im Ausland (inkl. Exportrisikogarantie) privilegiert für Projekte und Massnahmen in Tunesien ein.
  • Die Schweiz baut in Tunesien eine neue Berufsbildung auf.
  • Schweizer Banken bauen ihr Geschäft in Tunesien aus und vergeben vermehrt Investitionskredite für Firmen aus der Schweiz in Tunesien und mit der Schweiz assoziierte Firmen in Tunesien.
  • Schweizer Firmen verlagern ihre Produktion statt nach Asien nach Tunesien.
  • Migros und Coop schliessen mit tunesischen Bauern exklusive Verträge für die Produktion von Biogemüse und Früchten.
  • Usw.
Ein Kooperations-Thema das Volker Perthes Gesamteuropa vorschlägt, könnte die Schweiz in Tunesien schwerpunktässig realisieren: Eine Energiepartnerschaft:
Die Schweiz als Stromhändler Europas könnte nachhaltig in saubere Energie investieren (Stichwort "Wüstenstrom", Desertec): von Fotovoltaik über Kohlenwasserstoff bis zur Atomenergie. Attraktive Einspeisetarife ins schweizerische (europäische) Stromnetz einerseits, andererseits günstigere Elektrizität für den lokalen Markt (inkl. Schweizer Niederlassungen) zur weiteren Ankurbelung der tunesischen Wirtschaft.

Weiterdenken!
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2 Kommentare:

Titus hat gesagt…

Ja, das klingt besser als der vorherige Beitrag.

In der Fragestunde diesen Montag wird der Bundesrat Maya Grafs Frage beantworten müssen, weshalb Kartoffeln aus Ägypten importiert werden, wo es doch hierzulande genügend gäbe. Worauf ich damit hinaus will (und was Du sicher auch so meintest): Was auch immer wir importieren oder nach Tunesien verlagern, es sollte sich nicht konkurrenzieren, sondern ergänzen.

Ein wichtiger Punkt wäre noch die Sprachkompetenz und zwar beidseitig. Die Deutschschweizer müssten sich wieder etwas im Französisch üben um in gewissen Situation helfen zu können. Und die Tunesier müssten deutsch lernen... was ihnen aber sicher auch den zukünftigen Handel mit Deutschland erleichtern würde.

Ein letzter Gedanke: Wie könnte man auch den kulturellen Austausch fördern (das fördert auch das gegenseitige Verständnis und erlaubt beiden, sich weiter zu entwickeln)? "Passiert" das einfach so? Baucht es da Unterstützung und falls ja, in welcher Form?

Eveline hat gesagt…

Ihren Analysen und loesungsvorschlaegen kann ich nur beipflichten. Ich lebe mittlerweile schon 13 Jahre in Tunesien und bin zwischenzeitlich bestens mit der mentalitaet meiner Gastgeber vertraut. Es ist deshalb von groesster Wichtigkeit dass die junge ,gut gebildete Generation ,welcher wir den mut und den durchhaltewillen zur Revolution verdanken, ihre Ausbildung auch im Ausland absolvieren koennen . Ich hoffe deshalb sehr,dass ihre vorschlaege auch an die richtigen behördlichen stellen weitergeleitet werden ,denn ich denke genau wie sie, dass das weiterkommen in diesem ausbaufähigem Land ,so um einiges unkomplizierter und effizienter von statten gehen kann.