Freitag, 21. Januar 2011

"Die Zeit": So nicht. Bitte!

(Ach Du) Liebe Zeit

Ich bin ein Fan der „Zeit“. Jetzt mache ich mir aber Sorgen, ob das so bleiben kann. Die aktuelle Schweizer Ausgabe lässt bei mir die Alarmglocken schrillen. Meine Spontanreaktion auf den doppelseitigen Schweizer Hauptbeitrag zum Zeit-Podium Juncker/Blocher diese Woche in Zürich: „Pfui, Zeit.“ – Der zweite Gedanke ist schon fast ein Hilferuf: „Bitte, nicht ihr auch!“

Zuerst: Bravo.
Gut gemacht. So geht Boulevard.
Titel: „Kampf der Eidgenossen“ – Untertitel „Schweiz gegen EU – Das Streitgespräch des Jahres“ und ein Kasten „Wer hat das Sagen?“.

Dazu grossflächig Bilder aus dem „intimen“ Backstage-Bereich („Wir sind exklusiv dabei!“):

Herr Blocher bodenständig-breitbeinig. Die Botschaft, die das Bild sendet: Ein starker Mann,  solide, voller Selbstsicherheit.
Mein Tipp: Wenn Sie mit der Kamera nächstes Mal noch etwas tiefer gehen, wirkt Herr Blocher noch stärker, bedrohlicher.

Im Bild gegenüber Herr Juncker - mit übereinander geschlagenen Beinen, die Hände wie zum Gebet verschränkt. Das Bild soll wohl suggerieren: Der arme verunsicherte Mann muss schon vor dem Auftritt um göttlichen Beistand flehen.
Mein Tipp: Wenn Sie mehr von oben fotographieren und einen totaleren Bildausschnitt wählen, wirkt Herr Juncker noch einsamer, verlorener.

Oder das Foto mit der Bildunterschrift „Eine Bombendrohung ist möglich“ (Warum hier? Gehört nicht zu diesem Bild): Die Botschaft des Bildes: Der einsame Held, allein gegen drei! Oder neigen die 3 Herren rechts gar unterwürfig das Haupt vor dem Sieger? Was wollt ihr damit sagen? Zufällig habt ihr die Bilder wohl nicht ausgewählt.

Dann der Einspruch: Nein!
Bitte nicht! Von diesem Boulevardgedöns haben wir schon mehr als genug in der Schweiz. Genau deshalb kaufe ich - und viele mehr - die Zeit: Wir haben die Nase voll von diesem Bullshit (gemäss Definition Harry G. Frankfurt). Also, bitte: Nicht ihr auch noch!
Bitte macht weiter eine Berichterstattung, die sich abhebt von dem, was man uns sonst täglich in den deutschschweizer Medien zumutet. Bringt neue Themen - oder zumindest einen anderen Zugriff - statt einfach nur More-of-the-Same. Wenn der Zeit auch nichts anderes mehr in den Sinn kommt, als Roger Köppel, dessen immergleiche Botschaften uns nur noch langweilen, auf ihr nächstes Podium einzuladen, dann macht sie sich überflüssig. Ihr zielt auf ein Publikum, das eure Zeitung nicht kauft und vergrault damit nicht nur eure treue Kundschaft, sondern auch all die, die eben daran sind, die Zeit als intelligente Alternative zu endecken.

Ich hoffe sehr, die Zeit geht mir nicht verloren.

Gruss
Andrea Müller

PS:
Und dass ihr euch am Schluss des Kastens „Reaktionen“ auch noch erdreistet, euch über den Kollegen der Basler Zeitung und seine boulevardeske Wortwahl zu mockieren („…Kriegsrhetorik zieht immer!“), setzt der Fehlleistung der Zeit die Krone auf.

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