Mittwoch, 29. Dezember 2010

Leuchtturm 2: Juli Zeh's Optimismus

Herausragend, intelligent, gar originell und gutgeschrieben sollen sie sein - die Leuchttürme, die ich mir vorgenommen habe, hier in Contextlink zu veröffentlichen. (Zuletzt "Vor-Weihnachtsgeschichte").
Heute lese ich mit grossem Genuss den Artikel "Lassen Sie uns lesen, schreiben und politisch sein" der deutschen Autorin Juli Zeh im Tagesanzeiger (Printausgabe; bisher online noch nicht publiziert).
Definitiv ein Leuchtturm. Zusätzliche Attribute: frech, wütend und ... optimistisch.
Auszüge:

Da die Leute gern von sich auf andere schliessen, werde ich von Journalisten immer wieder gefragt, ob hinter meiner "politischen Einmischung" eine "Strategie" stehe - und zwar nicht etwa eine politische, sondern eine mediale. Ob mir also irgendein Image- oder Corporate-Identity-Consultant dazu geraten habe,  die "Marke Juli Zeh" als eine politische zu "etablieren".
Man stelle sich vor: Das Weltbild manch eines gehirngewaschenen Sklaven des kommerziellen Meinungsbetriebs (Hervorhebung Contextlink) lässt die Vorstellung gar nicht mehr zu, jemand könne einfach nur tun oder sagen, was er für richtig hält, ohne dabei in den Kategorien von Vermarktung oder Verkäuflichkeit zu denken.

Seit ich gelegentlich politische Texte publiziere, weiss ich, dass das Volk keineswegs so dumm ist,  wie die Einschaltquotenfetischisten glauben. Mein Eindruck ist eher, dass die Menschen spüren, wie das Feld des politischen Mitdenkens, Mitredens und Mitwirkens zwischen den zusammenrückenden Fronten aus Administration und Showbusiness immer schmaler wird.

Leicht und anmutig, mit niedlich gerümpfter Nase segelt es sich auf den Schwingen des Zynismus hoch oben über dem politischen Geschehen. 

Juli Zeh verweist auf das Beispiel von Charlotte Roche, "ihres Zeichens Fernsehmoderatorin und Schriftstellering", die Bundespräsident Wulff öffentlich Sex angeboten hat, wenn er das Gesetz zur Verlängerung der Atomkraft nicht unterzeichne:

Das ist der Gipfel von Politikverachtung und Selbstverachtung. Die totale Erniedrigung vor dem Aufmerksamkeitsapparat. Die endgültige Vereinigung von Politik nd Spektakel in der Person einer zeitgenössischen Autorin.

Ich weigere mich anzunehmen, dass wir uns ausgrechnet jetzt, auf dem Höhepunkt von Demokratie, Aufklärung und Frieden, in eine Gesellschaft aus unmündigen, event- und entertainmentsüchtigen Schein-Bürgern verwandeln, in eine von ihren Dompteuren dressierte Kuhherde, die täglich mundgerechte Happen Brot und Spiele wiederkäut.


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Der Text im heutigen Tagi ist die Kurzfassung eines Referats, das Juli Zeh am 27. November an der 24. Tübinger Poetik-Dozentur unter dem Titel "Aufgedrängte Bereicherung" gehalten hat. (ebenfalls bisher noch nicht online verfügbar). Der Text soll aber laut Tagi im nächsten Frühling im Swirdoff-Verlag veröffentlicht werden.

Online gibt's einen anderen spannenden Zeh-Text zum Thema hier: "Juli Zeh - eine Rede ... über die Bedeutung und Funktion der Literatur im politischen Kontext".
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